Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

Bitte beachten: Im Volltext abrufbar sind nur Entscheidungen mit den Aktenzeichen ab 2024, z.B. 0123/24/3!

Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.

Sie haben Fragen zu unseren Sanktionen? Hier finden Sie Erläuterungen.

 

Entscheidungsjahr
6657 Entscheidungen

„Die Klinge steckt in seinem Bauch“

Vor dem Hamburger Hauptbahnhof wird ein Mann erstochen, der mutmaßliche Täter wenig später festgenommen. Eine Boulevardzeitung berichtet gedruckt und online und illustriert ihren Artikel mit mehreren Fotos. Eines zeigt das am Boden liegende Opfer. Bildtext: „17.18 Uhr: Das blutüberströmte Opfer sitzt am Boden, die Klinge steckt in seinem Bauch. Direkt hinter ihm der Messerstecher (blaue Jacke). Geschockte Passanten beobachten die Szene, darunter auch Kinder.“ Im Beitrag wird weiter mitgeteilt, dass die Zeitung das Foto-Protokoll eines Messer-Mordes zeige, mitten in der Großstadt und am helllichten Tag. Ein freier Fotograf, der den Vorgang festgehalten hat, wird mit den Worten zitiert: „Ich mache nur die Fotos – alles andere ist Sache der Redaktionen.“ Ein Beschwerdeführer ist der Meinung, dass die Veröffentlichung Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung, Jugendschutz) verletze. An der Darstellung eines sterbenden Menschen bestehe kein überwiegendes berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit. Mehrere andere Beschwerdeführer sehen Verstöße gegen mehrere presseethische Grundsätze. Der Fall werde reißerisch dargestellt. Das Opfer sei schlecht verpixelt und werde sterbend in den Mittelpunkt eines Bildes gerückt. Zudem zeige die Zeitung den mutmaßlichen Täter, umstehende Personen und Polizeibeamte auf unverfremdeten Bildern. Jugendliche und Kinder könnten – so die Beschwerdeführer – problemlos auf diese Inhalte zugreifen. Für die Angehörigen des Opfers müsse dieser Anblick traumatisch sein. Der Leser werde in diesem Fall voyeuristisch in die Tat hineingezogen. Ein Beschwerdeführer schreibt, er schäme sich als angehender Journalist für die Art, wie die Zeitung mit diesem Ereignis umgegangen sei. Nach Meinung der Rechtsabteilung des Verlages sei es verständlich, wenn an der Art der Berichterstattung wie im vorliegenden Fall Kritik geübt werde. Sie beruft sich aber auf ein überwiegendes öffentliches Interesse und eine vollumfängliche Informationspflicht. Die Rechtsvertretung stellt fest, dass aus ihrer Sicht der Verletzte nicht herabgewürdigt worden sei. Die Zeitung habe in dieser Weise berichten dürfen, weil sich die Tat öffentlich ereignet habe und der mutmaßliche Täter öffentlich verfolgt und schließlich festgenommen worden sei. Eine Zeitung aus dem gleichen Verlag habe statt der Fotos eine Skizze vom Tathergang abgedruckt, weil die Redaktion nicht bereit gewesen sei, das für die Fotos übliche Honorar zu zahlen.

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Ein Mann ersticht seinen Zechkumpan

Dem Bericht der Online-Ausgabe einer Regionalzeitung zufolge hat ein 56-Jähriger einen 15 Jahre jüngeren Zechkumpan mit einem Messer im Streit tödlich verletzt. Der festgenommene Tatverdächtige sei der Mieter der Wohnung, in der sich die Bluttat ereignet habe. Der Autor des Berichts schildert den mutmaßlichen Tathergang und nennt die genaue Adresse und das Stockwerk der Wohnung. Fotos zeigen das Haus, die versiegelte Eingangstür zur Wohnung, eine vermutliche Blutspur an einer Tapete und eine Nahaufnahme vom amtlichen Siegel an der Wohnungstür. Ein Leser der Zeitung sieht in der detaillierten Darstellung des Vorgangs – vor allem die Einzelheiten des Wohnhauses und der Wohnung - eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Tatverdächtigen. Nach Auffassung des Chefredakteurs der Zeitung widerspricht die Berichterstattung unter keinem Gesichtspunkt dem Pressekodex. Die Schwere der Tat rechtfertige die Berichterstattung in der gewählten Weise. Die Redaktion habe zwar den Tatort abgebildet, darüber hinaus aber keine identifizierende Darstellung mit Namensnennung oder ähnlichem vorgenommen. Dies gehe mit Richtlinie 8.1 konform. Dass der Tatverdächtige bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten habe, sei der Redaktion bewusst. Er werde jedoch nicht im Umkehrschluss zum Opfer, wie der Beschwerdeführer offenbar glaube.

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Ein Mann erschießt seine Ehefrau

„Hier bedroht der Mörder seine Frau mit dem Gewehr“ – unter dieser Überschrift berichtet die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung über eine Beziehungstat, bei der ein Mann offenbar seine Ehefrau erschossen hat. Die Redaktion druckt ein Foto der Frau und nennt im Bildtext ihren vollen Namen. Auch wird die Adresse der Eltern der Getöteten – der Tatort - genannt. Ein unscharfes Foto, aufgenommen von einem Amateur, ist dem Bericht beigestellt. Es zeigt angeblich das Ehepaar im Garten des Elternhauses der Frau. Dort soll der Tatverdächtige ein Gewehr auf seine Frau gerichtet haben. Ein Leser der Zeitung sieht eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes des Opfers, das durch Foto und Namensnennung identifizierbar werde. Zu dieser Identifizierbarkeit trage auch die Angabe der vollen Adresse der Eltern des Opfers bei. Insgesamt – so der Beschwerdeführer – sei die Berichterstattung unangemessen sensationell durch den Abdruck der Amateuraufnahme, die kurz vor der Tötung der Frau entstanden sein soll. Nach Auffassung der Rechtsabteilung der Zeitung sei der außergewöhnliche Vorfall von so hohem öffentlichem Interesse, dass das Berichterstattungsinteresse etwaige Belange der Betroffenen überwiege. Die Redaktion habe sich bewusst für die Veröffentlichung der Fotos entschieden, um die Grausamkeit der Tat zu verdeutlichen und anzuprangern. Es müsse im Rahmen des Informationsauftrages erlaubt sein, dem Leser dramatische Ereignisse wie im vorliegenden Fall nahe zu bringen. Den Ausschlag für die Veröffentlichung habe letztlich gegeben, dass weder Täter noch Opfer wegen der unscharfen Aufnahmen zu erkennen seien. Die Zeitung hält die Berichterstattung insgesamt für zurückhaltend. Bei der Beurteilung dieses Falles sei zu berücksichtigen, dass sich der Täter auf der Flucht befand und die Berichterstattung auch dazu dienen sollte, die Bevölkerung zur Mithilfe an der Aufklärung der Tat zu bewegen. Eine unangemessen sensationelle Darstellung liege ebenfalls nicht vor, da die Fotos auf der Wiese das Geschehen vor der Tat, nicht jedoch die Tat selbst dokumentierten. Was das Porträtfoto des Opfers betreffe, sei die Redaktion zunächst von einem Einverständnis des Opfers mit einer Veröffentlichung ausgegangen, da dieses das Bild in sein Facebook-Profil eingestellt habe. Die Zeitung bekam jedoch ein Schreiben des Anwalts der Eltern des Opfers. Daraufhin habe die Zeitung eine strafbewährte Unterlassungserklärung abgegeben und das Bild umgehend aus allen Veröffentlichungen entfernt. Auch das Foto von der Wiese sei gelöscht worden. Die Rechtsabteilung schließt ihre Stellungnahme mit dem Hinweis, dass die Berichterstattung nicht die vollständige Adresse des Elternhauses des Opfers enthalte. Lediglich der Ortsteil sei genannt worden.

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Mädchen nach Vergewaltigung aufgehängt

„Schon wieder Mädchen in Indien aufgehängt!“ titelt die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung. Im Artikel wird über den Mord an einem indischen Mädchen berichtet, das nach einer mutmaßlichen Vergewaltigung von seinen Peinigern an einem Baum aufgehängt wurde. Dem Artikel ist ein Foto beigestellt, auf dem das Mordopfer im Vordergrund deutlich erkennbar abgebildet ist. Im Hintergrund ist eine Menschenmenge – zumeist aus Männern bestehend – zu sehen. Ein Nutzer der Online-Ausgabe sieht durch das Foto den Jugendschutz verletzt. Es sei unangemessen sensationell. Der Beschwerdeführer erkennt in der Veröffentlichung eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde) und 11 (Sensationsberichterstattung, Jugendschutz) des Pressekodex. Die Rechtsabteilung der Zeitung teilt mit, die Redaktion habe sich gewissenhaft mit der Frage befasst, ob das Foto presseethisch zu beanstanden sei. Die Entscheidung, das Bild zu veröffentlichen, sei eindeutig gewesen. Es sei die Pflicht der Zeitung, auf grausame Gewalttaten aufmerksam zu machen und diese anzuprangern. Sie sehe sich gegenüber der Öffentlichkeit aufgrund des ihr obliegenden Informationsauftrages zu einer umfänglichen und ungefilterten Berichterstattung verpflichtet. Ausschlagend für die Bildberichterstattung sei am Ende gewesen, dass das Mordopfer nicht identifizierbar gezeigt werde. Es sei lediglich von hinten zu sehen. Das Foto – so die Rechtsabteilung weiter – dokumentiere und verdeutliche Brutalität und grausame Realität der Tat. Der Textbeitrag ordne das Foto journalistisch ein. Die Redaktion habe durchaus auch die möglichen Wirkungen auf Jugendliche bedacht. Sie sei aber angesichts der aktuellen gesellschaftlich relevanten Information nach wie vor davon überzeugt, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit in diesem Fall den Ausschlag für den Abdruck zu Recht gegeben habe.

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Formulierung letztlich eine Geschmacksfrage

Kontrollieren Sie Ihr Finanzamt“ – so überschreibt eine Zeitschrift einen Beitrag zur Einführung der vorausgefüllten Steuererklärung. Dieser beginnt so: „Die Finanzämter dürften heute mehr über ihre Schäfchen wissen als das frühere Ministerium für Staatssicherheit über den durchschnittlichen DDR-Bürger.“ Ein Leser der Zeitschrift sieht gleich mehrere Ziffern des Pressekodex verletzt. Der Vergleich der Finanzämter mit der einstigen Stasi sei bei aller journalistischen Freiheit unangemessen. Er erwecke den Anschein, als handelten die Finanzämter rechtswidrig. Die Daten, die die Ämter sammelten, schreibe jedoch der Gesetzgeber vor. Die Formulierung am Beginn des Beitrages ist nach Ansicht des Beschwerdeführers auch deshalb unsachgemäß, weil Finanzämter und MfS keine inhaltlich vergleichbaren Einrichtungen seien bzw. gewesen seien. Auch – so der Beschwerdeführer weiter – sei der Vergleich eine Verhöhnung der Stasi-Opfer. Schließlich beleidige er die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Finanzämtern. Der Chefredakteur der Zeitschrift nimmt Stellung. Der Journalist im allgemeinen und auch er selbst tendiere dazu, Themen zuzuspitzen, um den Leser für den Text zu interessieren. Diese Technik sei in dem kritisierten Beitrag bewusst gewählt worden. Natürlich habe der Beschwerdeführer Recht, wenn er darauf hinweise, dass das MfS seine Informationen meist mit kriminellen Methoden gewonnen habe. Das sei bei den Finanzämtern selbstverständlich nicht der Fall. Der Chefredakteur vertritt die Meinung, dass die Finanzverwaltung heute über Daten des Durchschnittsbürgers verfüge, die dem MfS allein aufgrund der fehlenden technischen Grundlagen nicht zur Verfügung gestanden hätten. Differenziere man zwischen den beiden Themen „Repression“ und „Datenmenge“, sei der im Konjunktiv angestellte Vergleich durchaus zulässig. Der Autor des Beitrages zeige auf, wie der Steuerbürger die Datenmassen, über die die Finanzverwaltung verfüge, kontrollieren und nutzen könne. Spätestens an dieser Stelle werde deutlich, dass der kritisierte Beitrag alles andere als eine Banalisierung oder Verharmlosung der Tätigkeit des früheren MfS zum Inhalt habe. (2014)

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Dr. Mbongo: „Viele Heilung. Alle Kasse“

„Hausärzte finden oft keinen Nachfolger“ – so überschreibt die Online-Ausgabe einer überregionalen Zeitung einen Bericht über den vor allem im ländlichen Raum immer bedrohlicher werdenden Ärztemangel. Zum Bericht gestellt ist eine Karikatur. Sie ist überschrieben mit dem Satz „Deutschland profitiert von eingewanderten Fachkräften“. Zu sehen ist ein schwarzafrikanischer Mann, der eine Holzmaske vor sein Gesicht hält. Er trägt einen Lendenschurz und tanzt mit einem Totenschädel in der Hand um ein Feuer herum. Im Hintergrund ist an einer Hauswand ein Schild mit der Aufschrift „Praxis Dr. Mbongo. Viele Heilung. Alle Kasse“ angebracht. Ein alter Mann, gestützt von einem Sanitäter, sagt zum Doktor: „… ich bin so froh, dass die Praxis endlich wieder besetzt ist.“ Im Artikel wird berichtet, dass die meisten Ärzte Schwierigkeiten hätten, einen Nachfolger zu finden. Vor allem im ländlichen Raum drohten Versorgungslücken. 58 Prozent der befragten Ärzte hätten angegeben, noch keinen Nachfolger für ihre Praxis gefunden zu haben. Ein Leser der Zeitung kritisiert, dass die Karikatur rassistische Klischees bemühe, so z. B., dass Ausländer kein Deutsch könnten, ausländische Medizin nur Hokuspokus sei und schwarze Menschen nackt herumliefen und um ein Feuer tanzten. Nach Auskunft der Geschäftsführung der Zeitung habe die Redaktion bewusst keine real existierenden Personen, sondern Stereotypen verwendet. Durch die Wiedergabe der Kunstfigur des Dr. Mbongo sollten die diesen Stereotypen zugeschriebenen Klischees benutzt werden, um die Absurdität von Vorurteilen oder Ängsten gegenüber ausländischen Ärzten offenzulegen. Ziel der Zeichnung sei es, durch eine völlige Überhöhung und Übertreibung bestehende Ressentiments der Lächerlichkeit preiszugeben. Dadurch erhalte die Karikatur den gegenteiligen Aussagegehalt, nämlich den, dass die Furcht vor Ärzten aus dem Ausland unbegründet sei.

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Behauptungen ungeprüft wiedergegeben

Ärger über Führungsstil von Katja Kipping“ titelt die Online-Ausgabe einer Tageszeitung. Einige Tage später berichtet die Zeitung online unter der Überschrift „Gysi warnt Linke vor Unkultur“ über ein angeblich in den Reihen der Linkspartei zirkulierendes Konzeptpapier, das angeblich aus dem Büro der Parteivorsitzenden Katja Kipping stammt. Es enthält eine Aufstellung zum künftigen Personalabbau der Bundestagsfraktion. Darin seien die Kategorien „Führungspersonal“, „Prämissen“, „personelle No-Gos“ und „zu schützende Personen“ erwähnt. Der Autor des Papiers fordert, dass die Fraktion „nicht zur ´Reste-Rampe´ der Abgewählten oder Rausgeschmissenen“ werden dürfe. Er nennt mehrere „Personelle No-Gos“ mit Namen. Unter der Rubrik „zu schützende Personen“ ist eine Liste von Politikern der Linkspartei ausgeführt, deren Weiterbeschäftigung verlangt wird. Beschwerdeführer in diesem Fall ist ein Regionalmitarbeiter der Bundestagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Er wird in dem anonymen Papier mit vollem Namen und Dienststelle genannt. Er teilt mit, dass er ein abhängig Beschäftigter der Bundestagsfraktion sei und kein politisches Wahlamt innehabe. Er kenne das interne Papier nur aus der Berichterstattung der Zeitung. Er stehe nicht - wie im Papier behauptet – unter dem Schutz der Parteivorsitzenden und habe bei ihr auch nicht darum nachgesucht. Der Beschwerdeführer sieht in der Berichterstattung über seine Person eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte nach Ziffer 8 des Pressekodex. Die Veröffentlichung seines Namens habe keinerlei Nachrichtenwert und verletze sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Art der Darstellung in der Veröffentlichung sei dazu geeignet, sein berufliches Ansehen dauerhaft und schwer zu beschädigen. Das gelte umso mehr, als die berichteten Behauptungen falsch seien. Der Beschwerdeführer sieht auch eine Verletzung der Ziffer 2 des Pressekodex (Journalistische Sorgfaltspflicht). Die Redaktion habe das Papier offenkundig nicht auf seinen Wahrheitsgehalt geprüft. Sie habe es auch nicht für erforderlich gehalten, ihn – den Beschwerdeführer – um eine Stellungnahme zu den über ihn im Papier gemachten Aussagen zu bitten. Schließlich will der Beschwerdeführer erreichen, dass der Beitrag aus dem Internet genommen, nicht weiter verbreitet wird und die Details über ihn nicht mehr veröffentlicht werden. Der Redaktionsleiter Online der Zeitung teilt mit, dass man die Sorge um die Nennung der Namen von Mitarbeitern nachvollziehen könne. Da es aber in dem Papier nun einmal gerade um den aus Sicht der Redaktion berichtenswerten Umgang mit Personal in der Partei „Die Linke“ gehe und das Papier die Form einer Namensliste habe, wäre die Schwärzung von Namen einer Gesamtschwärzung des Papiers bedenklich nahegekommen. Der Redaktionsleiter berichtet, man habe abgewogen, welches Interesse das bedeutendere sei: Das öffentliche oder das persönliche. Die Redaktion bitte um Verständnis, dass sie zu dem Schluss gekommen sei, dass das öffentliche Interesse an dem Papier überwiege. Im Übrigen sei der kritisierte Beitrag schon vor der Beschwerde aus dem Netz entfernt worden. (2014)

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„Kollateralschäden spürbar gemacht“

„Ist Putin schuld an diesen Toten?“ titelt eine Boulevardzeitung. Sie zeigt Porträtfotos von mehreren Opfern des Absturzes von MH17 über der Ukraine. In der Bildunterschrift stehen teilweise deren komplette Namen, Alter, Beruf, Wohnort und Herkunftsland. Ein Leser kritisiert, dass die Zeitung Russlands Präsidenten Putin so darstelle, als ob dieser an der Katastrophe von MH17 schuld wäre. Ein anderer Beschwerdeführer sieht in der Veröffentlichung der Opferfotos einen Verstoß gegen den Pressekodex (Ziffer 8, Richtlinie 8.2, Schutz der Persönlichkeit, Opferschutz). Die Identität der Opfer sei für das Verständnis des Unglückshergangs unerheblich. Es sei davon auszugehen, dass eine Einwilligung der Angehörigen in die Veröffentlichung der Fotos nicht vorgelegen habe. In vielen Fällen stammten die veröffentlichten Fotos offensichtlich von Facebook-Profilen der Opfer. Neben Persönlichkeitsrechten seien vermutlich auch Urheberrechte verletzt worden. Der Beschwerdeführer verweist auf ein Positivbeispiel: Eine große Regionalzeitung habe nur Fotos verwendet, die Angehörige zuvor selbst veröffentlicht bzw. der Presse zur Verfügung gestellt hätten. Die Rechtsvertretung der Zeitung teilt mit, die Redaktion habe sich bewusst für die Veröffentlichung entschieden, um so die schreckliche Realität und die „Kollateralschäden“ der heftigen Kämpfe zwischen der Ukraine und russischen Separatisten im Südosten des Landes „spürbar“ zu machen. Auf Grund ihres Informationsauftrages habe die Presse eine vollumfängliche Chronistenpflicht. Auf diese beruft sich die Zeitung und rechtfertigt so die Art der Berichterstattung. Zur Veröffentlichung der Fotos erklärt die Rechtsvertretung, es handele sich um Bilder, die weltweit in der Presse gezeigt worden seien. Vollständige Bildergalerien aller 298 Opfer seien im Internet nach wie vor abrufbar. Die Zeitung steht auf dem Standpunkt, dass die herausragende Bedeutung des zeitgeschichtlichen Ereignisses von größtem öffentlichem Interesse sei, das die schutzwürdigen Belange der Abgebildeten und ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen überwiege. Abschließend stellt die Rechtsvertretung fest, die Berichterstattung sei nicht unangemessen sensationell, sondern reine Information.

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Bild einer verkohlten Hand veröffentlicht

Eine Boulevardzeitung bebildert gedruckt und online einen Artikel unter der Überschrift „Die Bilder des Terrors“ mit Fotos von der Absturzstelle von MH17 in der Ost-Ukraine. Auf mehreren Fotos sind Leichen von Passagieren mit Hilfe von Weißraum unkenntlich gemacht. Auf einem Bild ist die nicht unkenntlich gemachte, verkohlte Hand einer Leiche zu sehen. Der Bildtext lautet: „GESPENSTISCH: Die völlig verkohlte Hand eines Opfers ragt aus einem Wrackteil. Viele Passagiere starben im Feuerball des explodierenden Treibstoffs.“ Zu dieser Veröffentlichung äußern sich mehrere Beschwerdeführer. Eine Leserin der Zeitung hält die Darstellung von tödlich verunglückten, verbrannten Menschen bzw. Körperteilen den Angehörigen der Opfer gegenüber für unzumutbar. Sie liefere auch keinerlei journalistischen Mehrwert oder zusätzlichen Informationsgehalt, der für das Verständnis der Situation und des Textes erforderlich wäre. Ein Beschwerdeführer hält die Darstellung von verkohlten Leichenteilen für menschenverachtend. Sie bringe keinen Mehrwert, wenn man von Klicks im Internet absehe, die von purer Sensationsgier veranlasst würden. Wiederum ein anderer Leser meint, als Erwachsener könne er wohl mit der Darstellung von Leichenteilen fertig werden. Anders sei wohl die Wirkung auf Kinder und Jugendliche einzuschätzen. Das Foto mit der gut sichtbaren verkohlten Hand sei pietät- und verantwortungslos. Die Rechtsvertretung der Zeitung beruft sich darauf, dass keines der Absturz-Opfer identifizierbar dargestellt worden sei. Ganz bewusst hätten sich Print- und Online-Redaktion entschieden, die Leichen vollständig unkenntlich zu machen. Dass die unter einem Flugzeugsitz hervorragende, verkohlte Hand einer Leiche bei manchen Lesern für Widerspruch gesorgt habe, sei nicht weiter verwunderlich. Es sei gut nachvollziehbar, dass es bei einem von Schrecken, Wut und Unverständnis belegten Thema zu Kritik an der Berichterstattung komme. Dieser wolle sich die Zeitung im Bewusstsein der eigenen besonderen journalistischen Verantwortung nicht verschließen. Angesichts einer Katastrophe mit 298 Toten hätten die Medien jedoch eine umfassende Informationspflicht. Dies umso mehr, als es sich bei der Katastrophe möglicherweise um einen Abschuss gehandelt habe. Die Art der Berichterstattung sei notwendig gewesen, um das Ausmaß der steigenden Gewaltbereitschaft und ihre Entwicklung klar und angemessen zu dokumentieren. Den Vorwurf der Pietätlosigkeit weist die Zeitung zurück. Das Foto sei eines von vielen und habe im Kontext der Berichterstattung nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

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Kommentar-Konflikt im gemeinsamen Verlag

In der Sonntagsausgabe einer Boulevardzeitung erscheint gedruckt und online ein Kommentar unter der Überschrift „Islam als Integrationshindernis“. Der Autor setzt sich äußerst kritisch mit dem Islam auseinander. Der Beitrag enthält diese Passage: „Mich stört die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund. Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle. (…) Nun frage ich mich: Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: Nicht immer. Aber beim Islam ja.“ Einen Tag später setzt sich – nunmehr in der während der Woche erscheinenden Boulevardzeitung – deren Chefredakteur und Herausgeber kritisch mit der sonntäglichen Islam-Kritik auseinander. Im Verlag – so heißt es da – sei kein Platz für pauschalierende, herabwürdigende Äußerungen gegenüber dem Islam und den Menschen, die an Allah glaubten. In derselben Ausgabe bezieht sich Gastkommentator Özcan Mutlu, Mitglied des Bundestages, in seinem Kommentar „Judenhass bekämpft man nicht mit Islamhass“ ausdrücklich auf den Kommentar aus der Sonntagsausgabe. Er stellt fest: „Der Kommentar ist für mich jedoch Rassismus pur. Die Hasstiraden des Autors schüren ohne Not Vorurteile, Ängste und Menschenfeindlichkeit.“ 215 Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer wenden sich im Zusammenhang mit dem Kommentar „Islam als Integrationshindernis“ an den Presserat, der diese Wortmeldungen als Sammelbeschwerde unter einem Aktenzeichen zusammenfasst. Im Kern werfen sie dem Kommentator eine pauschale Beschimpfung, Verächtlichmachung, Verleumdung, Beleidigung, Kriminalisierung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen vor. Der Kommentar sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Viele Beschwerdeführer verweisen auf eine ohnehin aufgeheizte und hoch-emotionalisierte „Nahost“-Debatte, eine Debatte um Flüchtlinge und auch über die Auswirkungen der NSU-Morde. Sie sehen eine ausgewogene und differenzierende Debatte als gefährdet an. In der Sammelbeschwerde werden viele Ziffern des Pressekodex angesprochen, vor allem jedoch die Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde), 10 (Religion, Weltanschauung, Sitte) und 12 (Diskriminierungen) des Pressekodex. Der Autor des heftig kritisierten Kommentars nimmt zu den Beschwerden Stellung. Er konzentriert sich auf die Ziffern 10 und 12, hält seinen Beitrag jedoch selbst für eine Meinungsäußerung, die mit dem Pressekodex vereinbar sei. Aus seiner Sicht sind sämtliche Beschwerden in diesem Fall unbegründet. Scharfe Kritik an fraglichen Weltanschauungen müsse möglich sein. Der Autor betont die „Ich-Perspektive“ und verweist damit auf eine persönliche Meinungsäußerung. Zitat: „So nenne ich präzise die Dinge, die mich stören (Homophobie, ´Ehrenmorde´, ´Friedensrichter´, antisemitische Ausschreitungen, Frauenentrechtung)“. Über Fragen der persönlichen Einstellung, des individuellen Weltbildes und des Geschmacks entscheide der Presserat aus guten Gründen nicht. Der Kommentator bezieht sich auf die Spruchpraxis des Presserats. Danach lebe gerade die Meinungsfreiheit vom - auch scharfen – Pro und Contra. Nochmals ein Zitat: „Man muss eben auch die Frage stellen dürfen, ob eine Religion, die keine Aufklärung erlebt und in anderen europäischen Ländern bereits existierende Parallelgesellschaften errichtet hat, überhaupt mit unserer Grundordnung vereinbar ist.“ (2014)

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