Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

Bitte beachten: Im Volltext abrufbar sind nur Entscheidungen mit den Aktenzeichen ab 2024, z.B. 0123/24/3-BA!
Sie müssen dazu immer das volle Aktenzeichen eingeben, also 0123/24/3-BA.

Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.

Sie haben Fragen zu unseren Sanktionen? Hier finden Sie Erläuterungen.

 

Entscheidungsjahr
6738 Entscheidungen

Leserbrief befürwortet Gewalt

“Ich bin sehr bestürzt über einen Leserbrief”, schreibt eine Zeitungsleserin an den Deutschen Presserat. “Meiner Meinung nach stellt dieser einen Aufruf zum Mord dar.” Der Leserbrief in der Lokalzeitung trägt die Überschrift “Schnelle Abhilfe” und befasst sich mit einer Aktion von Castor-Gegnern, die sich in einem Tunnel unter der Transportstrecke eingraben ließen. Die Autorin des Leserbriefes schreibt: “Bei mir hätte es schnelle Abhilfe gegeben, indem ich die beiden Lochbewohner bewässert oder ausgeräuchert hätte.” Die Geschäftsleitung der Zeitung erklärt, die Leserbriefspalte sei als solche deutlich gekennzeichnet und spiegele nicht die Meinung der Redaktion wider, sondern diene der freien Meinungsäußerung der Leserschaft. Der Vorwurf des Mordaufrufes sei falsch. An keiner Stelle des Leserbriefes werde zu irgend etwas aufgerufen. Ausdrücklich beziehe die Briefschreiberin ihre Ansicht auf ihre eigene Person (“Bei mir...”). Der Inhalt des Schreibens sei demzufolge durch das Recht auf freie Meinungsäußerung voll gedeckt. (1998)

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Arzt unter dem Verdacht der fahrlässigen Tötung

Unter der Überschrift “Schnelle Messer, volle Betten” berichtet ein Nachrichtenmagazin unter voller Namensnennung über die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen einen Chefarzt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung von Patienten. In dem Beitrag werden diverse Fälle von fragwürdigen Operationen geschildert. Des weiteren wird der Vorgänger des Arztes zitiert, der gesagt haben soll, dass bei früheren Operationen des betroffenen Arztes “das Blut nur so gespritzt sei”. Auch der unter Verdacht geratene Mediziner kommt mit folgender Feststellung zu Wort: “Als ich vor zwei Jahren nach ... (Sitz des Krankenhauses) kam, fand ich ein Provinzkrankenhaus in tiefem Schlummer, schlecht belegt und mit antiquierten chirurgischen Techniken. Ich habe es aus dem Dornröschenschlaf geweckt.” Der betroffene Mediziner und sein Anwalt legen die Veröffentlichung dem Deutschen Presserat vor. Sie sind der Ansicht, dass die Namensnennung gegen das Persönlichkeitsrecht verstößt. Die Redaktion habe den Arzt nie befragt, so dass auch das wiedergegebene Zitat falsch sei. Auch die als beispielhaft dargestellten Fälle seien allesamt falsch wiedergegeben worden. Bei keiner der Operationen, denen sein Vorgänger beigewohnt habe, sei Blut gespritzt. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hätten bislang den Vorwurf der fahrlässigen Tötung nicht bestätigt. Der Beschwerdeführer übermittelt dem Presserat Unterlagen, aus denen nach seiner Ansicht hervorgeht, dass die Behauptung, er habe in den strittigen Fällen die Totenscheine ausgestellt, falsch ist. Die Rechtsabteilung des Verlages erklärt, die Redaktion sei sich sehr wohl bewusst gewesen, dass die Veröffentlichung für den Beschwerdeführer erhebliche Folgen haben könnte. Sie habe deshalb eine ausführliche Recherche durchgeführt, sich sachverständig beraten lassen und sich intensiv um eine Stellungnahme des betroffenen Arztes bemüht. Dabei habe ein ehemaliger Chefarzt, der häufig selbst journalistisch tätig sei, die Redaktion umfassend unterstützt und nach mehrfachen Versuchen den betroffenen Kollegen schließlich telefonisch erreicht. Jener sei aber zu einer Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen nicht bereit gewesen. Er habe lediglich jene Bemerkungen gemacht, die in dem Artikel zitiert worden seien. Unrichtig sei auch die Behauptung, dass im Rahmen der Recherchen nicht mit den Ermittlungsbehörden gesprochen worden sei. Dies sei sehr wohl und sogar sehr intensiv geschehen. Einzelheiten könnten aber aus Gründen des Informantenschutzes nicht genannt werden. Bei der in dem Artikel vorgenommenen Beurteilung ärztlichen Handelns handele es sich durchweg um Meinungsäußerungen und Werturteile. Die Anmerkung, dass Blut gespritzt sei, beruhe auf der Beobachtung des Amtsvorgängers während einer Magenresektion. Dabei seien die Blutgefäße schlicht durchtrennt worden. Die Ermittlungen gegen den Chefarzt seien dadurch ausgelöst worden, dass auf einer Reihe von Totenscheinen jeweils natürliche Todesursachen genannt, die vorangegangenen Operationen aber nicht erwähnt wurden. Die Totenscheine seien – davon gingen auch die Ermittlungsbehörden aus – vom Beschwerdeführer zu verantworten. Hinsichtlich der dargelegten Operationen sei die Redaktion aufgrund medizinischer Fachberatung zu dem Ergebnis gelangt, dass sie alle aus medizinischer Sicht fragwürdig waren. Die zuständige Staatsanwaltschaft teilt dem Presserat auf Anfrage mit, dass in dem Ermittlungsverfahren drei Todesbescheinigungen vorliegen, die nicht von dem Beschuldigten ausgestellt seien. Ob er diese Bescheinigungen zu verantworten habe, könne nicht gesagt werden, da dazu keine Ermittlungen geführt worden seien. Grundsätzlich habe jedoch der Arzt, der die Todesbescheinigung ausstellt, den Inhalt zu verantworten. (1998)

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Zitat – falsch oder richtig

Unter der Überschrift “Abenteuer Bahnfahren” berichtet eine Zeitschrift über Verbrechen in Zügen, die sich nach ihrer Ansicht auf alarmierende Weise häufen. Ein namentlich genannter Dienstgruppenleiter des Bundesgrenzschutzes wird in dem Beitrag wie folgt zitiert: “Kriminelle können im Zug in aller Ruhe auf die Gelegenheit warten” und “Auf bestimmten Strecken geht es zu wie im Wilden Westen”. In einer Beschwerde beim Deutschen Presserat erklärt der zitierte Beamte, dass die Aussagen nicht von ihm stammen und nicht den tatsächlichen, ihm bekannten Gegebenheiten entsprechen. Der Autor des Artikels habe nie mit ihm gesprochen. Die Chefredaktion der Zeitschrift gesteht den Fehler ein. Sie habe sich bei dem Betroffenen schriftlich entschuldigt, eine Richtigstellung veröffentlicht und darin vermerkt, dass die Zeitschrift den Fehler begangen habe. (1998)

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Satanskult

Unter der Überschrift “Grausamer Satans-Kult” kündigt eine Zeitschrift einen Artikel über Satansmessen in Rumänien an. Der Ankündigung beigestellt ist ein Foto, das ein kleines Mädchen nackt und gefesselt vor “Satans-Dienern” in schwarzen Kutten zeigt. Im Text wird darauf hingewiesen, dass Reporter der Zeitschrift vor Ort “abgehackte Leichenteile” und “blutverschmierte Äxte” gefunden hätten. Der Verein Menschen, Umwelt, Tiere sieht in der Ankündigung die Schutzinteressen von Kindern verletzt und fordert den Deutschen Presserat zu einer Rüge auf. Eine Stellungnahme der Zeitschrift geht nicht ein. (1998)

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Verbraucheraufklärung

Eine Fernsehzeitschrift enthält eine Beilage zum Thema “Internet”. Im Impressum wird darauf hingewiesen, dass die Beilage in Gemeinschaft mit einem Softwarehersteller produziert worden ist. In der Broschüre werden demzufolge ausschließlich Produkte dieses Unternehmens vorgestellt und behandelt. Ein Konkurrenzunternehmen und zwei Leser der Zeitschrift beklagen sich beim Deutschen Presserat. Da die Beilage redaktionell gestaltet sei, gewinne der Leser den Eindruck, dass sich das Internet ausschließlich mit Produkten des immer wieder genannten Herstellers nutzen lasse. Eine klare Trennung von Information durch die Redaktion und Werbung des Herstellers sei nicht zu erkennen. Es liege eine massiv verschleierte Werbung vor, durch die der Leser in die Irre geführt werde. Die Rechtsabteilung der betroffenen Verlagsgruppe verweist auf das Impressum, aus dem zweifelsfrei die Zusammenarbeit der Beteiligten hervorgehe. Damit werde der Leser unmittelbar über die Urheberschaft der Veröffentlichung informiert. Folgerichtig finde sich auch auf der Titelseite des Internet-Specials neben dem Logo der Zeitschrift auch das Logo der beteiligten Firma. Da man keinen Zweifel an der Gemeinschaftsproduktion aufkommen lasse, verstoße es nicht gegen den Kodex, wenn das Special darauf verzichte, die Vorzüge und Nachteile der gesamten im Markt erhältlichen Zugangssoftware für das Internet mit den Vor- und Nachteilen des hier präsentierten Internet Explorers abzuwägen. (1998)

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Polizist der Bestechlichkeit bezichtigt

Unter der Überschrift “Dirty Harry und seine Tricks” berichtet eine Zeitschrift über einen dubiosen Privatdetektiv und dessen Methoden. In diesem Zusammenhang wird behauptet, die “Karriere” des Mannes werde von einem Kommissar einer Sonderfahndung “gefördert”. Der Polizeibeamte schanze dem Detektiv Aufträge zu und recherchiere für ihn im Polizeicomputer. Dafür kassiere er zehn Prozent des Honorars. Der volle Name des Kommissars wird genannt. Ein Foto von ihm wird veröffentlicht. Das zuständige Polizeipräsidium erhebt Beschwerde beim Deutschen Presserat. Das Persönlichkeitsrecht des Beamten werde verletzt. Die Darstellung sei vorverurteilend und ehrverletzend, da dem Betroffenen Bestechlichkeit vorgeworfen werde. Die Rechtsabteilung des Verlages verteidigt die Darstellung der Zeitschrift. Dass es sich hierbei um eine Sache von hoher Brisanz handele und die Berichterstattung über den Fall in ein Wespennest stoße, zeige nicht nur die ungewöhnliche Reaktion des Polizeipräsidiums. Zwei Redakteure der Zeitschrift seien von einem Mitarbeiter des Privatdetektivs massiv bedroht worden. Man habe ihnen angekündigt, dass drei gedungene Täter aus Kiew ihnen in die Beine schießen würden, um zu verhindern, dass in der Sache weitere Artikel erscheinen. Der Stellungnahme ist ein Strafbefehl des zuständigen Amtsgerichts gegen den Täter beigefügt. (1998)

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Gerichtsberichterstattung

Eine Regionalzeitung berichtet in mehreren Beiträgen über die Gerichtsverhandlung gegen einen Psychiater, der unter dem Verdacht steht, Patientinnen sexuell missbraucht zu haben. Wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Patientin und sexueller Nötigung wird der Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Zeitung informiert ihre Leserinnen und Leser schließlich über eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der das Tatbestandsmerkmal der Widerstandsunfähigkeit durch das Landgericht nicht ausreichend dargelegt sieht, das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang aufhebt und den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverweist. Die Ehefrau des betroffenen Psychiaters führt Beschwerde beim Deutschen Presserat, weil sie ihren Ehemann durch die Berichterstattung in seiner Ehre verletzt und vorverurteilt sieht. Als Beispiele führt sie Zitate wie “mieses Geschlechtsleben”, “gewiss mannigfaltige Macken” und “ausufernde sexuelle Begierden” an. Die Beschwerdeführerin kritisiert ferner die Behauptung in einem der Beiträge, dass es Indizien für schwerste Misshandlungen gebe, obwohl im Prozess von Misshandlungen gar nicht die Rede gewesen sei. Falsch sei auch die Aussage, ihr Mann habe in seiner Praxis eine bestimmte Patientin offenbar mehrfach missbraucht. In diesem Punkt sei er jedoch vom Landgericht und auch in der Revisionsverhandlung vom BGH freigesprochen worden. Auch nach Aufhebung des Urteils durch den BGH spreche die Zeitung in ihren Beiträgen weiter von “Opfern” und “missbrauchten Patientinnen”. Die Chefredaktion der Zeitung erklärt, dem erstinstanzlichen Urteil liege zwar lediglich der jahrelange Missbrauch einer Patientin zugrunde, jedoch hätten zahlreiche andere Zeuginnen im Verlauf des Prozesses die in den Beiträgen angeführten “mannigfachen Macken”, “ausufernden Begierden” und das “ganze miese Geschlechtsleben” geschildert. Grundlage für die Aussage “Es gab Indizien für schwerste Misshandlungen” sei die Darstellung der Tochter der Hauptbelastungszeugin, sie habe ihre Mutter eines Tages völlig entstellt mit abrasierten Haaren vorgefunden. Zuvor habe sie ein verbranntes Kleid ihrer Mutter im Mülleimer entdeckt. Die Behauptung, der Angeklagte habe seine Opfer “gezielt” ausgesucht, stamme nicht von der Redaktion, sondern vom Oberstaatsanwalt und sei deutlich als Zitat gekennzeichnet. Auch die Formulierung “offenbar mehrfach missbraucht” sei zulässig, da in diesem Fall der Angeklagte nur freigesprochen worden sei, weil das Landgericht “gewisse Restzweifel” gehabt habe. Der Bundesgerichtshof habe das erstinstanzliche Urteil zwar aufgehoben, dies jedoch nur deshalb, weil er Zweifel gehabt habe, ob in 20 weiteren Fällen von Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten das Opfer “widerstandsunfähig” im Sinne des Strafgesetzbuches war oder ob es sich in irgendeiner Form gegen die Übergriffe des Psychotherapeuten hätte wehren können. Für sich gesehen sei die Verurteilung des Angeklagten wegen der sexuellen Nötigungen nach Ansicht des BGH rechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Dies werde im entsprechenden Artikel auch so dargelegt. (1997)

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Reportage inszeniert

Die Anfälligkeit von Jugendlichen gegenüber der rechten Szene ist das Thema eines Reports in einer Jugendzeitschrift. “Rechts ist geil!” lautet die Schlagzeile. Der Beitrag ist reich illustriert. Die Fotos zeigen einzelne Jugendliche mit Utensilien, die in der rechten Szene verbreitet sind. U.a. wird ein 15jähriges Mädchen mit Bild, Vornamen, Altersangabe und einem Zitat zur Gewalt gegen Ausländer vorgestellt. In einer Passage wird festgestellt: “Darin sind sie sich einig, die 20 Jungs und Mädchen, die sich täglich nach der Schule im Jugendclub in ... (Name des Ortes), einem kleinen Ort östlich von Berlin, treffen.” Ein Anwalt legt im Namen der 15jährigen und deren Mutter Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Die Darstellungen der Zeitschrift seien erfunden, die Szenen gestellt. Den Jugendlichen sei für ihre Mitwirkung eine Vergütung von 200 D-Mark zugesagt worden. Diese sei jedoch dann nicht ausgezahlt worden. Aussagen zur DVU habe man den Beteiligten in den Mund gelegt. Alle auf den Fotos dargestellten Utensilien aus der rechten Szene seien von den Reportern der Zeitschrift mitgebracht worden. Man werde sie in der Zeitschrift als Schüler abbilden, habe man ihnen zugesagt, nicht jedoch als rechtsradikale Schlägertruppe. Der Beschwerde schließt sich auch das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg an. Der Artikel enthalte erhebliche Verstöße gegen die Publizistischen Grundsätze. Die Redaktion der Zeitschrift informiert den Presserat über die Absicht ihres Beitrags. Sie habe herausfinden wollen, ob rechtsradikale Thesen von ostdeutschen Jugendlichen reflektiert werden, weshalb der Rechtsradikalismus im Osten Deutschlands eine nicht unerhebliche Anhängerschaft findet und ob Jugendliche davon zu überzeugen seien, dass Rechtsradikalismus eine Gefahr für die deutsche Demokratie darstelle. Es treffe zu, dass den Jugendlichen Exemplare einer rechten Zeitung vorgelegt worden seien. Man habe die Jugendlichen konkret zu den darin enthaltenen Thesen befragen und herausfinden wollen, inwieweit Jugendliche die von der rechtsradikalen DVU verbreiteten Thesen und Parolen akzeptieren oder auch nicht akzeptieren. Dass es sich bei den befragten Jugendlichen um zufällig ausgewählte handelte, gehe aus dem Beitrag selbst deutlich hervor. Gerade die 15jährige, die mit ihrer Mutter die Beschwerde initiiert habe, sei diejenige Jugendliche gewesen, die sich vom rechtsradikalen Gedankengut distanziert habe. “Es verwundert schon sehr, dass gerade die anderen Jugendlichen, die sich deutlich zu rechtsradikalen Thesen bekannt haben, gegen den Beitrag selbst nichts unternehmen. Trifft der Beitrag also doch den Kern der Sache?” Die zunächst versprochene Vergütung von 200 D-Mark sie nicht bezahlt worden, weil die Mutter des Mädchens zunächst nicht bereit gewesen sei, ihre Kontonummer anzugeben. (1998)

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Journalismus in den neuen Bundesländern

Unter der Überschrift “Genosse Alzheimer” berichtet eine Tageszeitung über die Arbeitsbedingungen der Journalisten in der DDR und deren Rolle als “staatstreue Diener”. Der Leser erfährt, dass die früheren SED-Bezirkszeitungen auf dem gesamten Gebiet der ehemaligen DDR den Untergang des Arbeiter- und Bauernstaates zumeist bestens überstanden und kaum an Einfluss verloren haben. Der Autor, von 1993 bis 1997 Redakteur bei einer ostdeutschen Zeitung, belegt seine Behauptung mit Namen und Beispielen. So bestimmten noch immer die alten Kader die Tendenz einer namentlich genannten Regionalzeitung. In diesem Milieu gelte eine engagierte Darstellung des staatskriminellen Unrechts der DDR und seiner Vollstrecker als Tabu. Im redaktionellen Alltag sei Genosse Alzheimer federführend. Dem Sozialismus dienten die ehemaligen Genossen heute nicht durch offene Bekenntnisse zum SED-Staat, sondern versteckt durch Zensur. Der Beitrag schildert das vergebliche Bemühen eines Radiojournalisten, über dieses Thema eine Debatte anzuregen. In den ehemals sozialistischen Tageszeitungen einer bestimmten Region “reagierten die gelernten ‘Agitatoren und Propagandisten’, die dort überwiegend die Redaktionsstuben bevölkern, in altbewährter Manier: abwiegeln, verzerren, totschweigen”. Wer sich dem Willen zum Verschweigen der Exgenossen nicht füge, sehe sich rasch zahlreichen Behinderungen ausgesetzt. Für die Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur in den neuen Ländern birge dies hohe Risiken. Der stellvertretende Chefredakteur einer der betroffenen Zeitungen legt Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Er bewertet den Beitrag als ein Pamphlet, das perfide auf dem schmalen Grat zwischen Tatsachenbehauptung und Wertung wandele, jede Objektivität vermissen lasse und nicht zuletzt persönlichen Motiven entspringe: Dem Autor sei im Rahmen wirtschaftlicher Sanierungsmaßnahmen unter Beachtung sozialer Auswahlkriterien gekündigt worden. Dass er quasi als Zeuge und Anwalt in eigener Sache fungierte, hätte eine besonders sorgfältige Prüfung durch die Redaktion erforderlich gemacht. Die Forderung der Chefredaktion, ihre Sicht der Dinge an gleicher Stelle und in vergleichbarem Umfang ebenfalls darstellen zu können, sei von den Kollegen unter Hinweis auf die Möglichkeit der Veröffentlichung eines Leserbriefes abgelehnt worden.

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Kundenzeitung

Unterstützt von einer Regionalzeitung, bringt ein Bekleidungshaus an zwei Tagen eine jeweils achtseitige Sonderzeitung heraus. Die Titelseiten tragen die Logos beider Unternehmen. Ihre Zusammenarbeit ist in einer Rubrik “Stichwort” beschrieben. Im Impressum wird die Abteilung Kommunikation des Unternehmens als Herausgeber genannt. Eingebettet in ein Nachrichtenangebot aus aller Welt sind zwei Seiten mit zahlreichen “News aus dem Traditionsunternehmen”. Beide Seiten sind mit dem Wort “Anzeige” überschrieben. Des weiteren enthalten die Ausgaben Werbebotschaften, die von ihrer Gestaltung her klar als Anzeigen erkennbar sind. Ein Wirtschaftsdienst führt Beschwerde beim Deutschen Presserat. Die Sonderzeitungen erweckten auf den ersten Blick den Eindruck, als handele es sich um Exemplare der beteiligten Regionalzeitung. Das gesamte Layout einschließlich Schrift- und Farbgestaltung sei von der aktuellen Ausgabe übernommen worden. Zwar enthielten die im Innenteil der beiden Ausgaben enthaltenen redaktionellen Beiträge den Hinweis “Anzeige”, jedoch sei die jeweilige Überschrift “Mode-News” in der zeitungstypischen Sparten-Überschrift gestaltet. Im Sportteil werde der Chefredakteur der Regionalzeitung gezeigt und als solcher auch bezeichnet. Der Beschwerdeführer vermutet, dass der Chefredakteur sich hier wohl nicht als Chefredakteur der Sonderzeitung habe vorstellen wollen, zumal im Impressum das Bekleidungshaus als Herausgeber genannt sei. Der Beschwerdeführer bezweifelt ferner, dass die mit Namen benannten Autoren der einzelnen Artikel ihr Einverständnis zu der werblichen Nutzung gegeben hätten. Der Eindruck, dass sich die Zeitung die Unterstützung mit einer beträchtlichen Summe hat bezahlen lassen, sei mit dem Anspruch einer unabhängigen und freien Presse nicht vereinbar. Die Geschäftsführung des Verlags betont, die mit redaktioneller Unterstützung entstandene Sonderzeitung verstoße nicht gegen den Pressekodex, da die redaktionellen Teile, die PR-Teile und die Anzeigen deutlich voneinander getrennt seien. Unter einem “Stichwort” auf Seite 1 beider Ausgaben sei den Lesern die Kooperation beider Häuser erläutert worden. Die Gestaltung des Titels lasse zudem deutlich erkennen, dass es sei bei dem Blatt um ein Produkt des Bekleidungshauses handele. Die genannten Redakteure seien selbstverständlich vorher um ihre Zustimmung zu einer Veröffentlichung ihrer Artikel in der Sonderzeitung gebeten worden. Diese Einverständnisse seien gegeben worden. Schließlich sei die Unabhängigkeit der Berichterstattung voll und ganz gewährleistet. Das Handelshaus habe keinerlei Einfluss auf den redaktionellen Teil gehabt, hätte u.U. auch eine negative Berichterstattung in Kauf nehmen müssen. (1998)

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