Wie hat der Presserat entschieden?
Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.
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6657 Entscheidungen
Eine vermutliche Selbsttötung am Bahnhof einer Kleinstadt ist Thema in einer Regionalzeitung. Es heißt, ein Mann sei von einem Güterzug überrollt worden. Bei ihm soll es sich um einen 52-Jährigen aus dem Ort handeln. Er habe identifiziert werden können, da man bei ihm einen Schließanlagen-Schlüssel gefunden habe, den man habe zuordnen können. Die Zeitung berichtet, auf Grund des Vorfalls sei es zu zwei Zugausfällen gekommen. Ein Leser der Zeitung vertritt die Auffassung, dass die Berichterstattung über den vermutlichen Suizid zu detailliert ausgefallen ist. Der Chefredakteur der Zeitung betont in seiner Stellungnahme, dass die Richtlinie 8.7 des Pressekodex kein Verbot enthalte, über vermutliche Selbsttötungen zu berichten. Die Richtlinie lege der Presse lediglich Zurückhaltung bei der Berichterstattung auf. Daraus ergebe sich, dass die Berichterstattung über Selbsttötungen an sich presseethisch vertretbar sei. Als regional einzige Tageszeitung – so der Chefredakteur – sei man gehalten, die Öffentlichkeit über Vorfälle transparent zu informieren, die im öffentlichen Interesse lägen. Es sei für die lokale Öffentlichkeit von Interesse gewesen, über den Grund für einen mehrstündigen Zugausfall wahrheitsgemäß informiert zu werden. Im konkreten Fall habe man das öffentliche Interesse ausgesprochen hoch gewichtet, da der Zugausfall nicht durch einen Schienenersatzverkehr kompensiert worden sei. Dies habe in der Leserschaft ein hohes Interesse und auch entsprechenden Ärger ausgelöst. Die vom Kodex geforderte Zurückhaltung bei der Berichterstattung sei umfassend beachtet worden. Umfangreiche Einsätze von Feuerwehr und Polizei hätten sich in der Öffentlichkeit abgespielt. Sie seien – so der Chefredakteur abschießend – Stadtgespräch gewesen. Um Spekulationen zu begegnen, habe die Redaktion den Sachverhalt verantwortungsvoll und zurückhaltend aufgegriffen und sachlich-nüchtern berichtet.
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Eine Regionalzeitung berichtet online und gedruckt über eine „Massenschlägerei mit Flüchtlingen“. Dieser Begriff ist jeweils in den Überschriften enthalten. Laut Polizeibericht seien sieben Afghanen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren und mehrere Deutsche beteiligt gewesen. Ausgangspunkt sei der Polizei zufolge eine Schubserei während einer Tanzveranstaltung gewesen. Die Zeitung vermerkt, dass es sich bei den Afghanen um Asylbewerber gehandelt habe. Aus dem Printartikel geht zusätzlich hervor, dass die Hintergründe für den Vorfall unklar sind. Wer den Streit angefangen habe, gehe aus dem Polizeibericht nicht hervor. Ein Leser der Zeitung – er spricht für den Verein für Alternative Konzert Kultur – kritisiert die Veröffentlichung als unzutreffend und reißerisch aufgemacht. Er sieht Verstöße gegen mehrere Ziffern des Pressekodex. Nach der Vorprüfung wurde die Beschwerde nach Paragraf 5 der Beschwerdeordnung beschränkt auf mögliche Verstöße nach Ziffer 12 des Pressekodex (Diskriminierungen). Der stellvertretende Chefredakteur hält die Beschwerde auch im Hinblick auf die Ziffer 12 für unbegründet. Er vertritt die Auffassung, dass die Redaktion darüber informieren durfte, dass sich bei der Schlägerei Afghanen und Deutsche gegenübergestanden hätten. Die Gruppe der Afghanen werde auch nicht als Aggressor dargestellt. Die Redaktion habe im Gegenteil in der Printversion festgestellt, dass die Hintergründe unklar seien und nicht geklärt sei, wer die Auseinandersetzung begonnen habe.
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Die Bad Hersfelder Festspiele sind in der örtlichen Zeitung gedruckt und online Gegenstand der Berichterstattung. Die Redaktion berichtet, Regisseur Dieter Wedel weile auf Einladung des Bürgermeisters in der Stadt. Zitat aus dem Bericht: „Dem Vernehmen nach soll es dabei auch um eine mögliche Rückkehr von Wedel auf die Festspielbühne gehen.“ Dieser habe noch ein bestimmtes Projekt in der Schublade. In der Stadtpolitik gebe es wegen der noch laufenden Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung Bedenken gegen eine Neuverpflichtung von Wedel. Beschwerdeführer ist der Bürgermeister. Die Behauptung, Wedel sei auf Einladung des Bürgermeisters in der Stadt gewesen und habe über eine Rückkehr auf die Festspielbühne verhandelt, sei falsch. Die Informationen seien ungeprüft veröffentlicht worden. Die Redaktion habe die Betroffenen nicht befragt. Mit dem Artikel werde in der Stadt Stimmung gegen ihn – den Bürgermeister und Beschwerdeführer – gemacht. Der Geschäftsführer der Zeitung weist die Vorwürfe zurück. Es überrasche und verstöre nicht wenige Menschen in der Stadt, dass sich Dieter Wedel im Sommer 2019 zu einem Besuch der Festspiele in Bad Hersfeld eingefunden habe. Er habe eine Aufführung besucht und sich anschließend mit dem Bürgermeister zu einem Abendessen getroffen. Der Bürgermeister habe gewollt, dass sich der Magistrat mit dem Thema „Wedel in Bad Hersfeld“ befasst. Dagegen hätten sich die übrigen verantwortlichen Magistratsräte aufgrund der Brisanz des Themas gesträubt. Der Geschäftsführer der Zeitung teilt mit, dass die Redaktion das Thema in einem Kommentar aufgegriffen habe. Darin seien auch die vom Bürgermeister beanstandeten Passagen enthalten gewesen. Diese seien in ihrem Tatsachenkern zutreffend, wobei die Zeitung die Quellen, aus denen sie die Informationen erhalten habe, nicht offenlegen möchte. Der Kommentar sei in seiner erlaubten Zuspitzung „wahrhaftig“ und „sorgfältig“ verfasst. „Neutral“ müsse er – anders als der Bürgermeister meine – nicht sein.
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Die Online-Ausgabe einer Regionalzeitung befasst sich in mehreren Artikeln mit Beiträgen eines Privat-Senders, in denen es immer um „Hartz IV-Empfänger“ geht. Die Artikel dokumentieren und kommentieren die jeweiligen Sendungen. Ein Beispiel: „Es klingt wie blanker Hohn. Wie ein Schlag ins Gesicht eines jeden, der seine Steuern pünktlich zahlt. `Wofür soll ich denn arbeiten, es gibt genug Leute, die für mich das Geld verdienen. Ich bin froh, dass ich von der Steuer leben und das Leben genießen kann´, posaunt Hartz IV-Empfänger Dennis (34) zu Beginn einer Folge ´Armes Deutschland´ fröhlich hinaus, steckt sich eine Kippe an und grinst fröhlich in die Kamera.“ Ein Leser der Zeitung kritisiert, diese hetze fortgesetzt gegen Menschen, die von Hartz IV-Leistungen abhängig seien, mit dem Ziel, diese Menschen generell als arbeitsscheu und unmotiviert darzustellen. Damit würden Vorurteile geschürt. Der Beschwerdeführer empfindet das als eine besonders niederträchtige und menschenverachtende Vorgehensweise. Diese Darstellung von Menschen sei diskriminierend, ehrverletzend, eine Verletzung der Menschenwürde und damit ein Verstoß gegen den Pressekodex. Er habe der Redaktion gegenüber seinen Standpunkt schriftlich dargelegt, aber keine Antwort erhalten. Die Rechtsabteilung der Zeitung weist darauf hin, dass die Redaktion über TV-Sendungen berichtet habe. Mehrmals seien die Leser darauf hingewiesen worden, dass es sich bei der Veröffentlichung des Online-Portals um eine Zusammenfassung des Inhalts der TV-Sendungen handele. Für den Leser sei durch den jeweiligen Hinweis auf eine bestimmte Sendung und konkrete Einzelpersonen erkennbar, dass sich die Berichterstattung auf Einzelfälle beziehe. Eine Verallgemeinerung der beschriebenen Verhaltensweisen der konkreten Personen habe nicht stattgefunden.
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Eine überregionale Tageszeitung veröffentlicht gedruckt und online einen Artikel unter der Überschrift „Keiner will die Drecksarbeit machen“. Der Beitrag informiert über Tarifverhandlungen im Gebäudereiniger-Handwerk. Dabei wird eine Gewerkschafterin mit der Aussage zitiert, dass es derzeit sehr schwer sei, überhaupt noch Reinigungskräfte zu finden. Der Beschwerdeführer wendet sich für den Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks an den Presserat. Er kritisiert die in der Überschrift verwendete Formulierung „Drecksarbeit“. Damit werde eine ganze Branche diffamiert. Die Rechtsvertretung der Zeitung lässt den Autor des Beitrages auf die Beschwerde antworten. Der äußert Verständnis dafür, dass der Bundesinnungsverband gern ein anderes Wort in der Schlagzeile gelesen hätte. Allerdings sei die Arbeit des Reinigungspersonals doch in erster Linie die, den Dreck zu beseitigen. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, das den deutschen Wortschatz von 1600 bis heute erfasst, definiere „Drecksarbeit“ als niedere Arbeit, für die sich andere zu gut dünken. Es gehe dabei um als unangenehm empfundene, nicht sehr beliebte Aufgabe sowie Schmutz verursachende Arbeit. Dies sei aus seiner Sicht, so der Autor, im vorliegenden Fall durchaus angemessen und in allen Punkten zutreffend. Er teilt mit, dass er seit der Veröffentlichung mit dem Beschwerdeführer in Kontakt stehe. Es gebe zwar weiterhin einen Dissens in der Sache, doch sei der Innungsvertreter dankbar für die ausführliche Rückmeldung und den offenen Gedankenaustausch.
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Eine Großstadtzeitung berichtet gedruckt und online unter der Überschrift „Hamburger Reinigungskräfte in Not: Nach Tarif-Kündigung werden Löhne gedrückt“ über die Kündigung des Rahmentarifvertrages durch den Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks. Weniger Urlaubstage, gestrichene Zuschläge, Arbeit auf Abruf: Diese Einbußen drohten rund 30.500 Hamburger Reinigungskräften. Ein Vertreter des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks ist in diesem Fall der Beschwerdeführer. Er bezeichnet die Überschrift als skandalisierend und schlichtweg falsch. Die Verhandlungen berührten in keiner Weise den Lohntarifvertrag. Das heiße, die Löhne blieben absolut gleich und würden nicht „gedrückt“. Auch würden von der Zeitung falsche Behauptungen aufgestellt, indem einfach eine Pressemitteilung der IG Bau abgeschrieben worden sei. Die Arbeitgeberseite sei nicht einmal um eine Stellungnahme gebeten worden. Das widerspreche einem Mindermaß an objektiver Recherche. Der Chefredakteur der Zeitung nimmt zu der Beschwerde Stellung. Grund für die Veröffentlichung sei ein Fairness-Check unter 177 Hotels zur Bezahlung und Anstellung von Reinigungskräften in einem Hamburger Magazin gewesen. In dieser Umfrage seien Hamburger Hotels nach unterschiedlichen Kriterien befragt worden. Ein wichtiger Aspekt sei dabei gewesen, ob die Hotels ihre Reinigungskräfte selbst angestellt hätten oder sie über andere Firmen rekrutierten. Die Hotels mit eigenem Personal landeten in dem Check weiter oben, da sie meistens auch mehr zahlten. Die Autorin habe mehrere Hotels aus dem Ranking herausgesucht und diese dann nach den Bedingungen im Haus befragt. Die Arbeitgeberseite sei also entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers eingebunden gewesen. Der Chefredakteur kann keine Versäumnisse durch die Autorin feststellen.
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Ein Nachrichtenmagazin lässt in einem Gastkommentar online einen Autor zu Wort kommen, der sich unter der Überschrift „Greta Thunberg und die erstaunlich kreativen Geschäfte ihrer Hintermänner“ mit den Aktivitäten der schwedischen Umwelt-Aktivistin auseinandersetzt. Im Beitrag wird die Frage gestellt, ob sie womöglich ein klar inszeniertes Produkt cleverer Marketing-Strategen sei, die aus dem medialen Hype Profit schlagen wollten. Genannt wird Ingmar Rentzhog, ein schwedischer PR-Manager und Börsenspezialist, der das weltweit größte Netzwerk für Klimaaktion schaffen wolle. Er baue Thunberg gezielt dafür auf. Rentzhog selbst bezeichne sich als „Entdecker Gretas“. Thunberg sei sogar Beraterin im Vorstand der Stiftung Rentzhogs. Ein Leser des Nachrichtenmagazins kritisiert, dass der Kommentar wahrheitswidrig den Eindruck erwecke, hinter den Aktivitäten Gretas stünden dubiose Hintermänner, die lukrative Geschäfte machten. Der Autor – so der Beschwerdeführer weiter – suggeriere wahrheitswidrig, die Figur „Greta Thunberg“ sei ausschließlich zu dem Zweck aufgebaut worden, Rentzhog und seinen Leuten Geld in die Kassen zu spülen. Der Chefredakteur der Online-Ausgabe des Magazins hält dem Beschwerdeführer entgegen, dieser ärgere sich darüber, dass die geschäftlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit Greta Thunberg aufgedeckt worden seien. Der Beschwerdeführer behaupte im Kern, es gebe keinen ersichtlichen Zusammenhang zwischen Greta Thunberg und dem Unternehmen von Ingmar Rentzhog. Diese Behauptung sei nachweislich falsch. Rentzhog habe diese Beziehung in mehreren Interviews - zuletzt dem ZDF gegenüber – selbst beschrieben.
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„Hier bummelt der Schlecker-Sohn durch Berlin“ – so überschreibt eine Boulevardzeitung online einen Artikel. Darin wird mitgeteilt, dass der Sohn des einstigen Drogerie-Ketten-Besitzers, der zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt worden war, sich im offenen Vollzug befinde. Zum Bericht gestellt sind zwei Fotos, die Lars Schlecker beim Einkaufen bzw. beim Spaziergang mit seiner Frau zeigen. Eine Leserin der Zeitung sieht eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes von Lars Schlecker. Seine Resozialisierung habe Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an einer Berichterstattung. Der Chefredakteur der Zeitung nimmt zu der Beschwerde Stellung. Er meint, vor allem bei spektakulären Geschehnissen und – so wie im Fall Schlecker – in Fällen von schwerem Betrug und einer hohen Zahl von Geschädigten habe die Öffentlichkeit ein besonderes Interesse daran, von den Medien umfassend, durchaus auch personalisierend mit Fotos über die Aufarbeitung des Unrechts durch die Strafverfolgungsbehörden informiert zu werden. Der Chefredakteur betont den Grundsatz, dass zur Gewährleistung einer erfolgreichen Resozialisierung nur eine eingeschränkte Berichterstattung über verurteilte Straftäter und ihre Taten presseethisch zulässig sei. Eine Veröffentlichung von Namen, Fotos und anderen Angaben begegne aber keinen presseethischen Bedenken, wenn im Einzelfall das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen überwiege. Dies sei hier der Fall. Anlass der Berichterstattung sei nämlich – so der Chefredakteur – nicht der Haftantritt oder das Verbüßen der Strafe von Lars Schlecker, sondern die mehr als „lockeren“ Haftbedingungen, über die man durchaus geteilter Meinung sein könne. Trotz tausender Betroffenen und Opfer seiner Straftaten genieße der Verurteilte schon kurz nach Haftantritt erhebliche Lockerungen im Strafvollzug und bewege sich wiederholt völlig entspannt in der Öffentlichkeit. An der Frage, ob es im Fall von Straftaten wohlhabender Konzern-Erben möglicherweise einen „Promi-Bonus“ für das Verbüßen ihrer Haftstrafen gebe, bestehe ein hohes Interesse der Öffentlichkeit. Insofern dürfe die Presse ihre Berichterstattung auch bebildern. Sie müsse es sogar tun, weil die Fotos das öffentliche Interesse gewissermaßen verkörpern, dem Leser also den Berichterstattungsanlass („Promi-Bonus“?) überhaupt erst vor Augen führen.
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Eine Regionalzeitung berichtet gedruckt und online unter der Überschrift „Pfarrer verweist in (…) einige Frauen der Kirche“ über eine Aktion der Bewegung „Maria 2.0“ in einer Kirche im Verbreitungsgebiet. Ein Leser der Zeitung berichtet, die Autorin des Artikels sei als Ehefrau eines hohen Funktionärs der kirchenkritischen Organisation „Wir sind Kirche“ sowie als Aktive bei der Bewegung „Maria 2.0“ kaum geeignet, eine neutrale Berichterstattung über eine Aktion von „Maria 2.0“ zu leisten. Zudem werde dieser Umstand im Artikel nicht erwähnt, auch wenn man ihn mit ihrer eindeutigen Positionierung und den Formulierungen, die eigentlich als persönlicher Kommentar der Autorin gekennzeichnet sein müssten, erahnen könne. Der Leseranwalt der Zeitung nimmt im Auftrag der Chefredaktion zu der Beschwerde Stellung. Er bekennt, dass die Beschwerde zum überwiegenden Teil begründet sei. Den Fehler habe er als Leseranwalt der Zeitung nach Leserbeschwerden bereits in seinen Beiträgen in der gedruckten Zeitung und ihren digitalen Angeboten eingestanden. Die Autorin des Beitrages sei zur Berichterstattung aus dem Gottesdienst im weißen Gewand der protestierenden Frauen von „Maria 2.0“ erschienen. Damit habe die Frau ihre Unabhängigkeit und Überparteilichkeit als von der Redaktion beauftragte freie Journalistin vor Ort aufgegeben. Die Berichterstatterin sei auf ihr Verhalten angesprochen worden. Sie habe dieses selbst als schweren Fehler bezeichnet. Auch die Redaktion bedauere den Vorgang ausdrücklich. Grundsätzlich – so der Leseranwalt – wäre es besser gewesen, einen anderen Berichterstatter oder eine andere Berichterstatterin mit der Wahrnehmung dieses Termins zu beauftragen. Die überregionale Folgeberichterstattung habe die Redaktion selbst übernommen.
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„Besoffener Afghane (20) tritt Krankenschwester ins Gesicht“ – so überschreibt eine Boulevardzeitung online einen Beitrag. Darin informiert die Redaktion einen Vorfall in der Münchner U-Bahn. Dort habe ein betrunkener 20-jähriger Afghane eine Frau attackiert. Im Beitrag wird die Staatsangehörigkeit des Verdächtigen insgesamt viermal genannt. Auch wird mitgeteilt, dass es sich bei dem jungen Mann um einen abgelehnten Asylbewerber handele. Ein Leser der Zeitung vertritt die Auffassung, dass die Angabe der Nationalität ohne erkennbaren Grund erfolgt. Durch die Überschrift würden Stereotypen bedient. Der Chefredakteur der Zeitung betont, dass die Nennung der Herkunft des Täters im Zusammenhang mit seinem Aufenthaltsstatus stehe und keine diskriminierende Verallgemeinerung bewirke oder bezwecke. In derartigen Fällen halte die Redaktion an der grundsätzlichen presseethischen Position fest, dass die Öffentlichkeit bei spektakulären Straftaten, die sich im öffentlichen Raum wie etwa der U-Bahn ereigneten, ein besonderes Interesse daran habe, von den Medien umfassend informiert zu werden. Die Information über die Herkunft gehöre zu dem Bericht, weil sie ein Detail zeitgeschichtlicher Ereignisse sei, das nicht unterdrückt werden dürfe. Im Rahmen der Chronistenpflicht sei die Erwähnung des Flüchtlingsstatus eines mutmaßlichen Straftäters nicht unethisch. Die bloße Nennung einer Minderheitenzugehörigkeit stelle gerade keine Diskriminierung im Sinne der Presseethik dar. Das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung in dieser Form überwiege die Gefahr einer diskriminierenden Verallgemeinerung. Eine Verunglimpfung der Volksgruppe der Afghanen habe in diesem Fall nicht stattgefunden. Vielmehr seien Herkunft und Aufenthaltsstatus des Täters von erheblicher Relevanz, da die von dem Mann begangene Straftat bei einer ordnungsgemäßen und zügigen Ausreise wohl hätte verhindert werden können.
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