Wie hat der Presserat entschieden?
Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.
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6738 Entscheidungen
Eine Tageszeitung berichtet über eine mögliche Steuerhinterziehung durch einen namentlich genannten CSU-Stadtrat, der zugleich Pächter des Kiosks in einem städtischen Freibad ist: Recherchen der Redaktion würden den Schluss nahelegen, dass er Kiosk-Einnahmen nicht registriert haben könnte. Die elektronische Registrierkasse habe oftmals offen gestanden, ohne dass der Pächter oder sein Mitarbeiter die Verkäufe eingetippt habe. Der Bericht befasst sich detailliert mit der Frage, wie die Vorgänge bewertet werden könnten, vor allem, ob hier ein zulässiger Ausnahmefall vorliegt. Die Zeitung zitiert dazu einen namentlich genannten Wirtschaftskriminologen, das örtliche Finanzamt und auch einen erfahrenen Steuerstrafrechtler, der anonym bleiben möchte. Er antwortet auf die Frage, ob das geschilderte Vorgehen zulässig sein könnte, mit den Worten: „Nein, da fällt mir wirklich nichts ein. Eine elektronische Registrierkasse wie eine offene Kasse zu nutzen, macht nur Sinn, wenn vorsätzlich nicht jeder Vorgang registriert werden soll, um Steuern zu hinterziehen.“ Und weiter: „Das ist klare Steuerhinterziehung und für die Steuerfahndung müsste das leicht nachzuweisen sein. Bei den beschriebenen Vorgängen sprechen wir nicht mehr über eine Ordnungswidrigkeit, sondern über eine Straftat.“ Abschließend schreibt die Zeitung, es sei Sache der Ermittlungsbehörden, zu klären, ob hier tatsächlich ein Anfangsverdacht für eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat vorliege. Der beschuldigte Stadtrat äußerte sich auf Anfrage der Zeitung nicht zu den Vorwürfen. - Drei Beschwerdeführende sehen die gebotene Unschuldsvermutung verletzt. Es handele sich um reine Verdachtsberichterstattung. Der gesamte Artikel sei in einer Art und Weise verfasst, dass ein Leser am Ende nur die Schlussfolgerung ziehen könne, der Betroffene hätte sicher den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. An keiner Stelle werde den Lesern klar, dass die befragten „Experten“ den Sachverhalt gar nicht genau genug kennen könnten, um eine abschließende rechtliche Bewertung vorzunehmen. Dass eine nicht ordnungsgemäße Kassenführung zwangsläufig eine Steuerhinterziehung darstelle, sei auch inhaltlich falsch, da noch keine Steuererklärung abgegeben worden sei. Eine fehlerhafte Kassenführung möge allenfalls ein Indiz für eine Ordnungswidrigkeit (Steuergefährdung) darstellen. - Der Chefredakteur entgegnet, bei der mehrmonatigen aufwändigen Recherche habe ein Hauptaugenmerk darauf gelegen, die Unschuldsvermutung zu wahren. In der Tat handele es sich um Verdachtsberichterstattung; die dafür geltenden Kriterien seien aber durchweg eingehalten worden: Es gebe einen Mindestbestand an Beweistatsachen, nämlich Beobachtungen eines Zeugen, das Video eines Hinweisgebers, eigene dokumentierte Beobachtungen über einen längeren Zeitraum sowie gesicherte Experteneinschätzungen dazu. Das besondere öffentliche Interesse sei gegeben, weil es sich bei dem Betroffenen um ein Stadtratsmitglied handele. Die Unschuldsvermutung sei in jedem Beitrag herausgestellt worden, indem sie explizit benannt worden sei und indem der Betroffene angehört worden sei. Die Redaktion habe deutlich unterschieden zwischen Tatsachen und Einschätzungen dieser Tatsachen, etwa durch Experten. Eine anonyme Zitierung des Steuerfachanwalts sei in diesem Fall notwendig, um die Quelle zu schützen. Nur der auch gesetzlich sichergestellte Informantenschutz gewährleiste die Bereitschaft kompetenter Gesprächspartner, sich in der Presse ungefährdet zu solchen Sachverhalten zu äußern. - Der Beschwerdeausschuss erklärt die Beschwerde einstimmig für unbegründet. Denn die Berichterstattung verstößt nicht gegen die in Ziffer 4 des Pressekodex gezogenen Grenzen der Recherche oder das in Ziffer 13 festgeschriebene Gebot zur Unschuldsvermutung. Das Gremium folgt dabei weitgehend der Argumentation der Redaktion. Sie macht glaubhaft, dass die Anonymisierung des Experten notwendig war, um den Quellenschutz zu gewährleisten und die veröffentlichte Einschätzung zu bekommen. Zudem gibt die Zeitung an, den Experten lediglich zum abstrakten Sachverhalt befragt zu haben. Insofern war hinreichend sichergestellt, dass er seine Auffassung ohne Ansehen der Person und somit frei von sachfremden Erwägungen äußerte. Sofern die Leserschaft durch die Berichterstattung einen für den Betroffenen unvorteilhaften Gesamteindruck bekommen sollte, wäre dies vor allem darauf zurückzuführen, dass der Betroffene nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Stellungnahme abzugeben. Dies ist jedoch nicht der Redaktion zur Last zu legen und kann vor allem nicht dazu führen, dass eine umfassend recherchierte Verdachtsberichterstattung zu unterbleiben hätte.
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In zwei Artikeln berichtet eine Tageszeitung über die bevorstehende Reform der Grundsteuer. Dabei verwendet die Redaktion die Begriffe „Eigentum" und „Besitz" synonym. - Der Beschwerdeführer sieht darin einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, denn die Begriffe bedeuten rechtlich nicht dasselbe. - In der Vorprüfung des Falles bewertet der Presserat die Beschwerde zunächst als „offensichtlich unbegründet“. Laut Ziffer 2 des Pressekodex müssen Redaktionen mit „der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt“ arbeiten. Welche Sorgfalt nach den Umständen geboten ist, kann sich zum Beispiel nach der Art der Publikation, der Person des Äußernden oder der gewählten Darstellungsform richten. Demnach ist bei der Verwendung von Rechtsbegriffen in juristischen Fachpublikationen ein anderer Maßstab anzulegen als bei Tageszeitungen. Zudem sind Redaktionen laut Pressekodex nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für ihre (durchschnittliche) Leserschaft unerheblich sind. Eine Zeitung darf solche Begriffe auch in ihrer umgangssprachlichen Form verwenden. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe „Eigentum“ und „Besitz“ synonym verwendet; also ist dies auch einer Tageszeitung erlaubt. Gegen diese Entscheidung legt der Beschwerdeführer Einspruch ein. Auch im allgemeinen Sprachgebrauch würden die Begriffe „Eigentum“ und „Besitz“ nicht völlig austauschbar verwendet. Richtigerweise werde der Begriff „Besitz“ auch für „Eigentum“ verwendet, jedoch nicht umgekehrt (beispielsweise werde ein Mieter nicht als Wohnungseigentümer bezeichnet). Diese Unterscheidung sei hier relevant. Bei der Grundsteuer handele es sich um ein juristisches Thema. Wenn sich eine Redaktion auf dieses Terrain begebe, müsse sie die dort geltende erhöhte Sorgfaltspflicht beachten. Die Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen sei für die Leser nicht unerheblich. Wenn in den Artikeln von „Besitzern“ die Rede sei, könne dies beispielsweise dazu führen, dass Mieter irrigerweise davon ausgingen, eine Grundsteuererklärung abgeben zu müssen. Der Chefredakteur schließt sich der ursprünglichen Argumentation des Presserats an.
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Das Onlineportal einer großen Mediengruppe veröffentlicht eine Artikelserie über Vorgänge an einer Grundschule. Dort hatten Eltern einen Lehrermangel und „unüberbrückbare Differenzen mit der Schulleitung“ beklagt. Einmal hielten Eltern und Kinder sogar eine Demonstration ab. Die Redaktion zitiert Vorwürfe von Eltern, wonach mehrere Lehrkräfte aus Unzufriedenheit über die namentlich nicht genannte Schulleitung an andere Schulen gewechselt seien oder dies vorhätten. Ein Vater berichtete: „Wir hatten viele Wechsel in der Klassenleitung, teilweise zusammengelegte Klassen und nur formal einer erfüllte Stundentafel.“ Schließlich, so berichtet das Portal weiter, sei die Schulleiterin nach Angaben der Bezirksregierung „auf eigenen Wunsch“ mit der Leitung einer anderen Schule betraut worden. „Die Eltern berichten, dass eine Lehrerin ihren Versetzungsantrag wieder zurückgenommen habe, als sie vom Wechsel der Schulleiterin erfuhr.“ Beschwerdeführerin ist die ehemalige Schulleiterin. Die Berichterstattung sei lückenhaft recherchiert, grob unvollständig und enthalte nur pauschale Vorwürfe. Welches konkrete Fehlverhalten ihr vorgeworfen werde und ob diese Vorwürfe berechtigt seien, könnten die Leserinnen und Leser nicht nachvollziehen. Dass eine Lehrerin wegen des Weggangs der Leiterin ihren Versetzungsantrag wieder zurückgezogen habe, sei schlicht unwahr. Diese Lehrerin stamme von einer anderen Schule und sei an die betreffende Grundschule nur vorübergehend abgeordnet gewesen. Die Abordnung sei regulär ausgelaufen, was zu einer Rückkehr an ihre ursprüngliche Schule geführt habe. Trotzdem habe sie entschieden, noch einige Stunden an der Grundschule zu unterrichten. Sie habe also keine Versetzung beantragt und auch nicht wegen des Weggangs der Schulleiterin beschlossen zu bleiben. Außerdem kritisiert die Beschwerdeführerin, dass sie keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten habe. Lediglich im Vorjahr habe die Redaktion zu einem damaligen Artikel bei ihr angefragt, nicht aber zu den aktuellen Entwicklungen. Die Mediengruppe entgegnet, sie habe Angaben der Bezirksregierung über den Schulleitungswechsel in wörtlicher Rede wiedergegeben.
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Eine Tageszeitung berichtet über einen Rechtsstreit zwischen einer Stadtverwaltung und dem Pächter eines Geschäfts. Er habe in seinem Laden Ausstellungen und Kulturveranstaltungen stattfinden lassen. Da hier aber nur der Betrieb eines Geschäfts und einer Werkstatt erlaubt sei, habe die Stadt die weitere Nutzung untersagt. Vor dem Amtsgericht sei der Rechtsstreit schließlich beigelegt worden. Daraufhin habe der Pächter eine Re-Opening-Party mit Kunstwerken angekündigt. Im Gespräch mit der Zeitung habe er mitgeteilt, es handele sich um keine Ausstellung, sondern um einen Pop-Up-Store. Kurz vor der Feier habe die Stadt die Party und die Nutzung der Fläche für Ausstellungen untersagt - wegen fehlender Rettungswege. Der Pächter habe die Wiedereröffnung trotzdem gefeiert. Seine Begründung: Als Ladeninhaber dürfe er zum Tag der Eröffnung Kunden einladen. Ein Unterschied zwischen dem früheren und jetzigen Geschäft sei, dass früher die Künstler selbst ihre Werke verkauft und er nur den Ort dafür angeboten habe. Jetzt nehme er Provision. Auf Nachfrage der Zeitung erklärte die Stadt, dass eine reine Geschäftseröffnung nicht angezeigt werden müsse. In der Online-Fassung trägt der Bericht die Überschrift „Streit um Ladengeschäft geht weiter: Pächter ignoriert Verbot von Stadt". Der im Beitrag namentlich genannte Pächter beschwert sich darüber, dass die Überschrift den Eindruck erwecke, er verhalte sich gesetzeswidrig. Der genauere Zusammenhang sei erst hinter einer Paywall zu lesen gewesen. Die Behauptung, er habe ein Verbot der Stadt ignoriert, sei unwahr. Dies sei auch eine schwere Beschädigung seiner persönlichen Integrität, vor allem vor dem Hintergrund, dass er auch als selbständiger Berater und Autor tätig sei und ein tadelloser Ruf von entscheidender Bedeutung sei. Wahr sei vielmehr, dass er Recht und Ordnung stets in vollem Umfang achte. Nie seien gegen ihn Buß- oder Zwangsgelder verhängt worden, auch nicht nach der Re-Opening-Party. Der Chefredakteur kann die Beschwerde nicht nachvollziehen.
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Eine Boulevardzeitung schreibt über ein Landgerichtsurteil gegen ein Nachrichtenportal, das über die Direktorin des NDR-Funkhauses Hamburg berichtet hatte. Das Urteil stelle klar, dass das Portal mehrere Aussagen nicht mehr verbreiten dürfe, mit denen die Funkhauschefin schwer belastet worden sei und die dazu geführt hätten, dass sie ihr Amt räumte. Das Portal habe geschrieben: „System R[…]: Wie Ehemann und Töchter der Hamburger Funkhaus-Direktorin vom NDR profitieren“. Laut Urteil könne das Medium keine Beweise für diesen ehrbeeinträchtigenden Vorwurf der Vetternwirtschaft erbringen, wodurch es sich eher um eine Meinungsäußerung handele als um einen objektiven Tatbestand. Der Beschwerdeführer sieht die Sorgfaltspflicht verletzt: Das Gericht habe in den beanstandeten Formulierungen gerade keine Meinungsäußerungen gesehen, sondern Tatsachenbehauptungen, die nicht glaubhaft gemacht worden seien und deshalb von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt seien. Die Zeitung verweist in ihrer Stellungnahme darauf, dass der beanstandete Artikel kurze Zeit nach der Veröffentlichung aufgrund inhaltlicher Schwächen offline genommen worden sei.
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„Uni wehrt sich gegen Cancel-Vorwurf“: Unter dieser Online-Überschrift berichtet eine überregionale Tageszeitung über einen Streit um eine Lüneburger Juniorprofessorin. Trans-Aktivisten hatten die Entlassung der Wirtschaftsjuristin gefordert, weil sie sich transfeindlich geäußert habe. Eine andere Tageszeitung hatte daraufhin von einer „Treibjagd“ gesprochen und der Universität Lüneburg vorgeworfen, sie habe bei dieser „Rufmordkampagne“ tatenlos zugeschaut. Die Hochschulleitung wiederum weist diese Vorwürfe zurück und wird in dem beanstandeten Artikel ausführlich zitiert. Gegen Ende des Berichts heißt es dann: Was die Professorin darüber denke, bleibe offen, denn es sei der Zeitung „nicht möglich“ gewesen, „mit ihr in Kontakt zu treten.“ Das sei falsch, beschwert sich die betroffene Wissenschaftlerin. Ihre dienstliche und ihre private E-Mail-Adresse seien weit verbreitet. Andere Journalisten hätten keine Probleme gehabt, sie zu kontaktieren. Weil dies hier nicht geschehen sei, habe sie keine Möglichkeit gehabt, ihre Seite der Geschichte darzustellen. So würden ihre Ehre und ihr Ruf angegriffen und sowohl die Sorgfaltspflicht als auch die Wahrhaftigkeitspflicht verletzt. Die Autorin des Artikels entgegnet, sie habe durchaus versucht, die Professorin zu kontaktieren. Doch sei dies tagesaktuell nicht gelungen.
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Unter der Überschrift „`System R[...]´: Wie Ehemann und Töchter der Hamburger Funkhaus-Chefin vom NDR profitierten" berichtet ein Nachrichtenportal über Vorwürfe gegen die damalige Direktorin des Funkhauses Hamburg. Die Redaktion schreibt u. a. über die jüngere Tochter von Direktorin R.: „Sie hatte das Glück, bei NDR Kultur vor einigen Jahren eine der besonders begehrten und seltenen festen Stellen zu ergattern. Mehrere NDR-Mitarbeiter berichten übereinstimmend, dass es damals auf die vakante Stelle allerdings eine qualifiziertere Bewerberin gab. Die damalige Programmchefin von NDR-Kultur, B[...] M[...], gilt intern als sehr gut vernetzt mit R[...]. Während die Tochter der Funkhaus-Chefin die feste Stelle bei M[...] bekam, schob man [die] andere Bewerberin zum Radiosender NDR 90,3. Aus der Redaktion sagen Mitarbeiter heute: Die Chefinnen hätten Rochade gespielt, um die R[...]-Tochter unterzubringen. Eine NDR-Sprecherin weist das zurück: Demnach seien R[...] und M[...] keine ‚engen Vertrauten‘. Eine Rochade hätten die beiden Frauen in diesem Fall auch nicht gespielt. Bei der Entscheidung über die Vergabe von Stellen an Bewerberinnen würden im NDR der Personalrat oder die Schwerbehindertenvertretung beteiligt. Die Stellen würden an die oder denjenigen gehen, der am besten dafür geeignet sei, sagt die Sprecherin. Dies sei auch der Fall bei der Tochter gewesen. Zufall oder nicht, R[...] hat sich im selben Zeitraum für den Nachwuchs von M[...] beim NDR eingesetzt. Die Tochter der Kulturchefin leitet eine Hamburger Produktionsfirma, die für den NDR damals eine Serie über ‚Hunde in Hamburg‘ gedreht und produziert hat. NDR-Mitarbeiter berichten, dass R[...] die Serie persönlich bei der Tochter von M[...] in Auftrag gegeben haben soll.“ Der Beschwerdeführer sieht die Sorgfaltspflicht und die Unschuldsvermutung verletzt. Dass die beiden Chefinnen Rochade gespielt hätten, um die Tochter der Direktorin bei NDR Kultur unterzubringen, sei eine unzulässige Verdachtsäußerung. Der Direktorin würden unlautere Methoden bzw. Vetternwirtschaft nachgesagt, was sich gerade angesichts der aktuellen Debatte über problematische Verhaltensweisen in öffentlich-rechtlichen Sendern als bestandsgefährdend darstellen könne. Es fehle bereits an dem erforderlichen Mindestbestand an Tatsachen. R. habe wegen der Einstellung ihrer Tochter in keinem konkreten Kontakt mit M. gestanden und keinen Einfluss auf das Einstellungsverfahren ausgeübt. Das Nachrichtenportal habe für diesen Verdacht keine Beweise vorgetragen. Der Autor des Beitrags erwidert, dass es sich bei dem bemängelten Satz über die Rochade um eine Meinungsäußerung von NDR-Mitarbeitern handele, die sich die Redaktion wahrlich nicht zu eigen gemacht habe.
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Unter der Überschrift „Tödliche Obsession: Stach Hotel-Killer zu, weil er seine `Pretty Woman´ nicht haben konnte?" veröffentlicht ein Boulevard-Onlineportal einen Bericht über einen Freier, der ein Callgirl getötet haben soll. Geschildert wird, dass sich der Freier in die Frau verliebt habe. Der Beitrag enthält ein Selfie-Foto der beiden. Das Opfer wurde von der Redaktion verpixelt, der Tatverdächtige mit einem Augenbalken versehen. Zu der Tat heißt es: „Und dennoch kam das Callgirl in jener verhängnisvollen Montagnacht auf das Zimmer, das Danny M. im Hotel "Adler" angemietet hatte. Ob sich der tödliche Streit daran entspann, dass er diesmal nicht für ihre Hingebung bezahlen wollte, oder sie ihm klarmachte, dass sie niemals seine ‚Pretty Woman‘ werden würde, ist den Mordermittlern noch nicht klar.“ Im Rahmen der Ermittlungen werde der „mutmaßliche Callgirl-Killer“ auch psychiatrisch begutachtet. Der Beschwerdeführer sieht in dem Artikel Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht, den Persönlichkeitsschutz und die Unschuldsvermutung. Er kritisiert, dass der Bericht weitgehend im Indikativ verfasst sei. Bei den meisten Tatsachenbehauptungen im Indikativ sei die Quellenlage nicht nachvollziehbar. Der Bericht unterscheide ungenügend zwischen Verdacht und erwiesener Schuld. Bis zu einer Verurteilung habe M. als unschuldig zu gelten. Das Onlineportal bestreitet die Vorwürfe.
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Eine Boulevardzeitung berichtet über die Unterdrückung des iranischen Volkes durch das Regime. Zum Beitrag gehören verschiedene Bilder, darunter auch Fotos von gehenkten Menschen an Kranauslegern mit der Bildunterschrift: „Wie im Mittelalter: Öffentliche Hinrichtungen gehören zur barbarischen Realität im iranischen Justizsystem.“ Gezeigt werden außerdem Porträtfotos von getöteten Frauen unter der Zwischenüberschrift „Sie ließen ihr Leben: die mutigen Mädchen im Iran“. Der Beschwerdeführer kritisiert einen Verstoß gegen den Opferschutz. Die Hingerichteten an den Kränen seien gut erkennbar. Er bittet zudem zu prüfen, ob für die Abbildung der Porträtfotos ein Einverständnis vorliegt. Die Zeitung entgegnet, dass sie natürlich keine Zustimmung der Getöteten selbst vorlegen könne und auch von Angehörigen keine Einwilligung habe einholen können.
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Eine Tageszeitung veröffentlicht in der wöchentlichen Kolumne ihres stellvertretenden Chefredakteurs einen Beitrag mit dem Titel „Krieg in der Ukraine: Zum Glück gibt es `Telegram´". Der Autor schreibt, er lese regelmäßig auf „Telegram“, was die Szene russischer Militärblogger von sich gebe. „Anders als man meinen sollte, entpuppen sich viele Informationen auf sehr vielen Channels regelmäßig als zutreffend.“ Natürlich stimme nicht alles. Klassische Medien seien vorsichtig, die Informationen wiederzugeben. Russische Quellen zu ignorieren, halte er dennoch für eine schlechte Idee. Dann teilt er „drei aktuelle Beobachtungen“ mit der Leserschaft: Sehr verbreitet seien dort „Abschussvideos“, also Bilder von zerstörtem Kriegsmaterial oder getöteten Menschen. Gehe man nach ihnen, seien seit Beginn der ukrainischen Gegenoffensive eine ganze Reihe Leopard-Panzer beschädigt oder zerstört worden, darunter auch Modelle der Bundeswehr. „Was sagt es aus über den Sinn der Lieferung dieses vermeintlich so wichtigen Materials, wenn nach wenigen Tagen derart viel zerstört ist?“ Als zweites Beispiel nennt er Raketenalarme bei Staatsbesuchen in der Ukraine. Teile einer südafrikanischen Delegation hätten später gespottet, dass es keinerlei Explosionen gegeben habe. „Die Sirenen immer bei Staatsbesuchen – sind sie nur eine Inszenierung?“, fragt der Autor. Für gänzlich unplausibel halte er die These nicht, „wenn man die übrigen gewitzten Mittel der ukrainischen psychologischen Kriegsführung betrachtet, wiewohl es fraglos regelmäßig sehr reale Angriffe gibt“. Das dritte Beispiel des Autors: Bis vor Kurzem habe er nicht gewusst, dass Russland und die Ukraine vor gut einem Jahr bei ihren Friedensgesprächen in der Türkei einen Abschlussentwurf ausgehandelt hätten, der bereits unterschrieben gewesen sein solle. „Wie Putin sagte, hat Russland auf dieser Basis den damals so überraschenden Teilabzug befohlen.“ Die Ukraine habe jedoch in Abstimmung mit Nato-Staaten das Verhandlungsergebnis verworfen. Wie authentisch das Dokument sei, lasse sich nicht überprüfen. „Es gibt aber Hinweise darauf, dass an Putins Version etwas dran ist, wiewohl auch russische Provokationen und Aktionen zum Scheitern beigetragen haben können und der Entwurf ein Datum trägt, an dem die russischen Truppen rund um Kiew ihren Rückzug bereits begonnen hatten. Genau hinsehen muss man also bei Telegram.“ Aber: „Mein Bild der Vorgänge bereichert das sehr.“ - Die Beschwerdeführerin hält den Artikel für einen Sorgfaltspflicht-Verstoß, da der Wahrheitsgehalt der verbreiteten Informationen nicht überprüft worden sei. Zwar habe der Autor die Quelle „Telegram“ als nicht immer glaubwürdig gekennzeichnet, aber die drei daraus entnommenen Beispiele stelle er als Fakten dar, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Außerdem sei der Artikel nicht als Kommentar gekennzeichnet. Ferner verstoße der Autor gegen das Verbot unangemessener Sensationsberichterstattung, indem er darauf verweise, dass auf „Telegram“ Bilder von „Blut und Brutalität“ verbreitet werden könnten. - Die Zeitung weist in ihrer Entgegnung darauf hin, dass der Beitrag in einer persönlichen Kolumne des stellvertretenden Chefredakteurs erschienen und somit eindeutig als Meinungsbeitrag erkennbar sei. „Telegram“ sei zu einer weltweit relevanten Quelle für den Ukraine-Krieg geworden, deren Bedeutung auch in zahlreichen Medien von „Tagesschau“ über „Bild“ bis „Spiegel“ erkannt worden sei. Dass die Informationen wie in jedem sozialen Netz nicht ohne Weiteres als bare Münze genommen werden dürften, habe der Autor mehrfach klar herausgestellt. Im konkreten Fall jedoch könnten keine ernsthaften Zweifel bestehen, dass ein relevanter Anteil der Leopard-Panzer zerstört sei. Zu dem auf „Telegram“ erwähnten Vertragsentwurf heißt es, dass Putin das Dokument teilweise lesbar in die Kamera gehalten habe. Die brutalen „Abschussvideos“ beider Seiten seien Dokumente der Zeitgeschichte. Die Zeitung habe die Aufnahmen aber nicht gezeigt, sondern lediglich ihre Existenz erwähnt. „Von einer überbordenden Sensationsberichterstattung kann keine Rede sein.“ - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus, weil der Artikel in massiver Weise gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex verstößt. Diese Pflicht gilt auch bei einem Meinungsbeitrag, soweit er Tatsachenbehauptungen enthält. Diese müssen mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt recherchiert und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft und, wenn nötig, für die Leserschaft eingeordnet werden. In dem beanstandeten Artikel nimmt der Redakteur „Telegram“-Meldungen als Beispiele dafür, warum dort aktive russische Militärblogger eine gute Quelle seien. Er stellt diese Meldungen zum Großteil als Fakten hin, ohne sie einzuordnen oder in einen Kontext zu setzen. Auch die Unterüberschrift („Informationen aus russischen Quellen entpuppen sich regelmäßig als zutreffend“) erweckt den Eindruck, die erwähnten Beispiele seien zutreffend. Denn warum sonst sollte der Redakteur sie für seine These anführen? Zudem stützt er sich auf die Meldungen, um weitere Meinungen zu äußern, etwa zu den Leopard-Panzern. Deshalb sind auch seine Relativierungen (z. B.: „Nicht alles dort stimmt“) nicht geeignet, die Beispiele als reine Gerüchte beziehungsweise Vermutungen erkennbar zu machen. Gerade bei einem so sensiblen Thema wie dem Ukraine-Krieg, über den Propaganda und viele Falschnachrichten zirkulieren, hätte es die journalistische Sorgfalt zwingend geboten, die Beispiele zu prüfen und gegebenenfalls zu kontextualisieren. So wäre es ein Leichtes gewesen, beim dritten Beispiel herauszufinden, dass bei den genannten Verhandlungen unter anderem territoriale Fragen noch nicht geklärt waren und dass die Verhandlungen über den Waffenstillstand spätestens durch die Gräueltaten von Butscha als gescheitert galten. Dass die Kolumne nicht ausdrücklich als Meinungsbeitrag gekennzeichnet wurde, stellt hingegen keine Verletzung des Pressekodex dar; ihm lässt sich keine solche Verpflichtung entnehmen. Auch eine unangemessen sensationelle Berichterstattung kann der Ausschuss nicht erkennen.
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