Wie hat der Presserat entschieden?
Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.
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Sie müssen dazu immer das volle Aktenzeichen eingeben, also 0123/24/3-BA.
Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.
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6738 Entscheidungen
Eine Tageszeitung berichtet online über die Misshandlung eines 13-jährigen Mädchens durch deren Mitschülerinnen. Dabei veröffentlicht sie Screenshots aus einem YouTube-Video, das Zeugen bei der Misshandlung gefilmt hatten, ohne einzugreifen. Auf dem Titelfoto des Beitrags sind nur die Augenpartien des Opfers und der Tatbeteiligten verpixelt; in einer zusätzlichen Bildergalerie sind die Gesichter komplett unkenntlich gemacht. Im Text wird die Tat in allen Einzelheiten beschrieben und die entsetzte Mutter zitiert. - Der Beschwerdeführer sieht Verstöße gegen die Menschenwürde und den Opferschutz. Das Mädchen werde zu einem bloßen Mittel sensationeller Berichterstattung herabgewürdigt. Die 13-Jährige sei nur unzureichend verpixelt worden, so dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt würden. Die Zeitung habe das Opfer-Foto auch als Titelbild auf Facebook und Twitter verwendet. Durch das kleinere Bildformat verliere die knappe Verpixelung hier noch mehr an Wirkung. - Die Redaktion erläutert, der Vorfall sei in einem anderen Bundesland passiert. Das Video kursiere im Internet und habe bundesweit große Betroffenheit ausgelöst. Mit dem Bericht habe die Zeitung die Brutalität der Misshandlungen dokumentieren wollen. Zum Schutz des geschlagenen, getretenen und bespuckten Mädchens habe der zuständige Redakteur entschieden, keine kompletten Videoauszüge zu zeigen. Bei den ausgewählten Standbildern habe er nach bestem Gewissen das Gesicht des Kindes unkenntlich gemacht, obwohl die Angegriffene durch das Internetvideo bereits einem größeren Kreis bekannt sei. Er sei davon ausgegangen, dass das Opfer in dem gewählten Verpixelungsgrad nicht zu erkennen sei. Die Fotos sollten der Leserschaft dazu dienen, den Fall auch optisch einschätzen zu können, um sich einen umfassenden Gesamteindruck von der Gemengelage zu bilden. Sollte trotz dieses verantwortungsvollen Umgangs mit den Fotos das Mädchen zu erkennen gewesen sein, sei dies definitiv nicht beabsichtigt gewesen. Die Redaktion bedauere diesen Umstand sehr. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus, weil die Berichterstattung über das öffentliche Interesse an dem Fall hinausgeht und die Grenze zur Sensationsberichterstattung nach Ziffer 11 Pressekodex überschreitet. Die detaillierte Schilderung der Misshandlung und das damit verbundene Leiden sind dazu geeignet, das Mädchen zum zweiten Mal zum Opfer zu machen. Hinzu kommt, dass die Betroffene auch trotz der Verpixelung für einen näheren Personenkreis und auf dem kleinen Teaser-Foto auch für einen weiteren Kreis erkennbar ist. Die Identität von Opfern ist laut Ziffer 8 jedoch in der Regel besonders zu schützen. Hier hätte die Redaktion die Folgen der Berichterstattung für die Betroffene sorgsamer abwägen müssen.
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Unter der Schlagzeile „Sie brachte ihre Kinder zur Schule, dann holte sie der Killer“ berichtet eine Boulevardzeitung online über eine getötete Mutter. Ihr Ex-Mann sei wegen Mordverdachts verhaftet worden. Bebildert wird der Artikel mit einem unverpixelten Foto des Opfers, das die Redaktion laut Quellenangabe von Facebook übernommen hat. Außerdem wird ein Foto des Tatverdächtigen in Polizeibegleitung gezeigt. Sein Gesicht ist lediglich mit einem Augenbalken versehen. Auch die Kinder des Paares sind im Hintergrund eines Fotos zu sehen, allerdings mit komplett verpixelten Gesichtern. – Die 12. Klasse eines Gymnasiums sieht in dem Beitrag eine unangemessen sensationelle Darstellung des Geschehens. Auch werde der mutmaßliche Täter als „Killer“ bezeichnet, wodurch ihm Mord unterstellt werde. Er habe aber weder ein Geständnis abgelegt, noch habe es Augenzeugen für das Verbrechen gegeben. Durch den angegebenen Vornamen, den ersten Buchstaben seines Nachnamens, sein Alter, seinen Beruf, den Ort der Festnahme und sein Bild mit einem minimalen Augenbalken sei er leicht zu identifizieren. Zudem werde das Opfer ohne Pixelung gezeigt, und die Verpixelung der Kinder sei unzureichend. – Die Redaktion nimmt keine Stellung zu den Vorwürfen. - Der Beschwerdeausschuss erkennt einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex (Schutz der Persönlichkeit) und spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Vor der Veröffentlichung des unverpixelten Opfer-Fotos hätte die Redaktion die Angehörigen um Einverständnis bitten müssen. Dies ist jedoch offensichtlich nicht geschehen. Zudem ist der Tatverdächtige für ein näheres Umfeld erkennbar. Er hätte vollständig anonymisiert werden müssen, da keines der Kriterien für eine identifizierende Berichterstattung vorliegt. In den anderen von den Beschwerdeführenden vorgebrachten Punkten sieht der Ausschuss jedoch keine Verstöße gegen den Pressekodex. Das Geschehen wurde nicht unangemessen sensationell dargestellt, denn hier wurde niemand zum Objekt oder zu einem bloßen Mittel herabgewürdigt. Der Ausschuss sieht auch keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Denn die Redaktion schreibt in der Überschrift zwar, dass die Frau von einem „Killer“ getötet wurde. Im Text bezieht sie das Wort „Killer“ jedoch nicht auf den Tatverdächtigen. Insofern liegt hier keine Vorverurteilung einer konkreten Person vor. Ebenfalls als presseethisch in Ordnung bewertet der Ausschuss die Abbildung der beiden Kinder des Opfers, da deren Gesichter ausreichend verpixelt sind.
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Das Onlineportal einer großen Verlagsgruppe berichtet über die Schließung des Online-Shops eines Freizeitpark-Betreibers und wählt dafür die Überschrift: „Karls Erlebnis-Dorf: Hier ist jetzt alles dicht! Kunden schauen in die Röhre“. Unter dem Titel wird ein zentrales Gebäude des Parks gezeigt. Die Bildunterschrift lautet: „Hier geht nichts mehr für Freunde von Karls Erlebnis-Dorf.“ Erst im vierten Absatz des Berichts wird erwähnt, dass lediglich der Zugang zum Online-Shop gekappt werde. „Ab dem 27. März geht erst einmal nichts mehr online – zumindest lassen sich keine Marmelade, Tickets, Geschenke-Sets bestellen.“ - Der Beschwerdeführer kritisiert, der Autor suggeriere, dass der ganze Freizeitpark geschlossen sei. Das sei falsch. - Das Verlagsportal sieht die Sorgfaltspflicht nicht verletzt. Die Wahl der Überschrift gehe darauf zurück, dass nicht lediglich ein Teil, sondern der gesamte Online-Shop des Freizeitparks vorübergehend geschlossen worden sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine Überschrift neugierig machen und den Leser in den Text hineinziehen solle. Bei der Bewertung seien jedoch auch die begleitenden Zeilen zu beachten. Inzwischen sei die Überschrift angepasst worden: „Karls Erlebnis-Dorf: Beliebter Service wird eingestellt! Kunden schauen in die Röhre". - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die Überschrift in Kombination mit dem Freizeitpark-Foto und der Bildunterschrift „Hier geht nichts mehr für Freunde von Karls Erlebnis-Dorf“. Dadurch wird den Leserinnen und Lesern fälschlicherweise suggeriert, dass der Park schließt. Dass in Wirklichkeit nur ein Online-Angebot vorübergehend entfällt, steht erst im weiteren Verlauf des Textes. Der Ausschuss bewertet die Berichterstattung als groben Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex und als „Clickbaiting“, also als Versuch, Lesende zum Ankllcken eines Artikels zu ködern.
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Eine Boulevardzeitung berichtet über die Tötung eines Berliner Taxifahrers. Auf der Titelseite und im Artikel zeigt sie unverpixelte Porträtfotos des Getöteten. - Der Beschwerdeführer sieht darin eine Verletzung des Opferschutzes. Auf Twitter habe eine Angehörige des Toten geschrieben: „Die Bitte von uns als Familie: Bitte teilt das Foto nicht weiter. Mein Onkel hätte sowas nie gewollt. Seine Kinder wollen nicht, dass sich das so verbreitet. Mit Klatschpresse wollen wir nichts zu tun haben“. - Die Redaktion nimmt nicht Stellung. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Die Foto-Veröffentlichung ist eine schwere Verletzung des Opferschutzes nach Ziffer 8 des Pressekodex. Demnach ist die Identität von Opfern besonders zu schützen und für das Verständnis eines Tathergangs in der Regel unerheblich. Vor der Veröffentlichung hätte die Redaktion die Angehörigen um Erlaubnis bitten müssen. Dies ist jedoch offensichtlich nicht geschehen, wie auch der Tweet der Nichte zeigt.
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Eine Boulevardzeitung berichtet online über die Tötung eines Berliner Taxifahrers. Dabei zeigt die Redaktion ein identifizierbares Foto des Opfers. - Nach Angaben des Beschwerdeführers haben sich die Angehörigen die Veröffentlichung von Fotos verbeten. Auf Twitter habe offenbar eine Nichte des Opfers geschrieben: „Die Bitte von uns als Familie: Bitte teilt das Foto nicht weiter. Mein Onkel hätte sowas nie gewollt Seine Kinder wollen nicht, dass sich das so verbreitet. Mit Klatschpresse wollen wir nichts zu tun haben“. - Eine Stellungnahme der Redaktion liegt nicht vor. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Die Veröffentlichung des unverpixelten Fotos ist eine schwere Verletzung des Opferschutzes nach Ziffer 8 des Pressekodex. Demnach ist die Identität von Opfern besonders zu schützen und für das Verständnis eines Tathergangs in der Regel unerheblich. Vor der Veröffentlichung hätte die Redaktion die Angehörigen um Erlaubnis bitten müssen. Dies ist jedoch offensichtlich nicht geschehen, wie auch der Tweet der Nichte zeigt.
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Eine Boulevardzeitung berichtet über die Vorpremiere eines Theaterstücks namens „König von Deutschland“, bei dem es um den „Reichsbürger“ Peter F. geht. Zu der Aufführung sei plötzlich auch F. erschienen. Die Vorstellung sei unterbrochen und der selbsternannte „König von Deutschland“ des Hauses verwiesen worden. Die Zeitung zeigt dazu ein Foto von F. - Der Beschwerdeführer wirft der Redaktion Unwahrhaftigkeit vor und beruft sich dabei auf die Berichterstattung eines Internetportals. Demnach soll der Reporter selber die Eintrittskarten für F. und seine Begleiterin gekauft haben. Das hätte die Zeitung erwähnen müssen, etwa durch einen Transparenzhinweis am Ende des Beitrags. Zudem habe der Reporter während der laufenden Aufführung den Saal verlassen, um den verspätet eintreffenden F. vor der Tür zu begrüßen. Ferner habe im Theater fotografiert und gefilmt, obwohl ihm dies ausdrücklich verboten worden sei. Außerdem habe die Zeitung nicht erwähnt, dass F. ein einschlägig vorbestrafter Betrüger sei, dass er gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung agiere und dass die Finanzaufsichtsbehörde BaFin ein großes Verfahren gegen ihn und seine Mittäter führe. Der durchschnittlich verständige Leser erhalte den Eindruck, es handele sich bei F. um einen normalen Bürger anstatt eines Verfassungsfeindes und Betrügers. - Die Zeitung nimmt keine Stellung zu der Beschwerde. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus, weil hier ein schwerer Verstoß gegen das Gebot zur Wahrhaftigkeit aus Ziffer 1 des Pressekodex vorliegt. Die Redaktion hat die Berichterstattung maßgeblich selbst beeinflusst und die Nachrichtenlage somit selbst geschaffen. Ein solches Vorgehen ist mit dem Wahrhaftigkeitsgebot unvereinbar und kann die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Presse insgesamt massiv beschädigen. Zumindest hätte der Leserschaft das Vorgehen der Redaktion und deren aktive Rolle bei der Berichterstattung offengelegt werden müssen.
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Eine Autorin eines Nachrichtenmagazins berichtet online über ihre Suche nach ihrem Pflegebruder, den die Eltern Ende der 1980er Jahre als Waisenkind aufgenommen hatten und der Mitte der 1990er Jahre in ein Heim gekommen war. Danach sei er verschwunden. Der Artikel schildert auch den Rassismus, mit dem der aus Eritrea stammende Junge damals konfrontiert worden sei. Zudem beschreibt die Autorin private bis intime Details über das Zusammenleben mit ihm. Die Redaktion nennt seinen Vornamen und den abgekürzten Nachnamen und zeigt mehrere unverpixelte Kindheitsfotos. - Die Beschwerdeführerin sieht in dem Artikel eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Der Pflegebruder habe der Veröffentlichung der Fotos nicht zugestimmt und sei auch keine Person der Zeitgeschichte. Die Abbildungen seien auch nicht damit zu rechtfertigen, dass anhand seiner Geschichte exemplarisch das Thema „Rassismus“ behandelt werde. Anderenfalls wären alle Angehörigen einer marginalisierten Gruppe, zum Beispiel Rollstuhlfahrer, ohne Recht am eigenen Bild und könnten beliebig im Foto gezeigt werden. Zudem habe die Autorin sehr persönliche und ehrverletzende Details über den Jungen veröffentlicht. - Der Verlag entgegnet, es gehe hier nicht um die Instrumentalisierung einer beliebigen Person aus einer marginalisierten Gruppe für eine Berichterstattung, sondern um die Suche einer Pflegefamilie nach ihrem Pflegekind, das seit etwa 27 Jahren vermisst werde. Eingebettet werde dieses persönliche Thema in eine Reflektion über Alltagsrassismus. Gerade dieses zeitgeschichtlich bedeutsame Thema werde von der Autorin anhand des persönlichen Schicksals ernsthaft und sachbezogen erörtert. Weil der Betroffene verschollen sei, habe die Redaktion ihn nicht um sein Einverständnis bitten können. Dies aber könne keinen Zwang zur Anonymisierung begründen, denn dann hätte die Pflegefamilie keine Chance, ihn wiederzufinden. Im Übrigen handele es sich um jahrzehntealte Kindheitsbilder, auf denen niemand außerhalb seines damaligen Umfelds ihn wiedererkennen könne. - Der Beschwerdeausschuss sieht in der Berichterstattung einen erheblichen Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex und spricht eine öffentliche Rüge aus. Problematisch sind die Passagen zur Gefühls- und Gedankenwelt des Jungen, etwa über sein nächtliches Weinen oder auch darüber, dass er mit dem Gesetz in Konflikt kam. Zudem beschreibt die Autorin Details aus der Intimsphäre des Jungen. Diese Schilderungen sind nicht vom öffentlichen Interesse gedeckt, sondern verletzen den Persönlichkeitsschutz des Betroffenen. Sie hätten ohne seine Einwilligung nicht veröffentlicht werden dürfen. Keine Einwände hat der Beschwerdeausschuss aber gegen die Kindheitsfotos, denn der mittlerweile Erwachsene ist auf ihnen höchstwahrscheinlich nicht mehr erkennbar.
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Eine Tageszeitung veröffentlicht online eine Stellungnahme ihres Chefredakteurs zu einem Vorgang, der den Verleger der Zeitung betrifft. Bei diesem hatte sich eine entlassene Führungskraft aus einem Konkurrenzverlag gemeldet, um ihm interne Informationen über diesen Verlag und ihren Vorstandschef zukommen zu lassen. Damit wollte sich der Informant vom Vorwurf des Machtmissbrauchs entlasten, mit dem seine Entlassung begründet worden war. Der Verleger als Empfänger der Dokumente informierte daraufhin den Konkurrenzverlag über das Vorgehen des Entlassenen. Als dies publik wurde und dem Verleger öffentlich die Missachtung des Quellenschutzes vorgeworfen wurde, äußerte sich auch sein Chefredakteur: Auch er habe die Dokumente des (von ihm namentlich genannten) Informanten angeboten bekommen. Er habe eine Berichterstattung aus journalistischen Gründen abgelehnt. Unabhängig davon habe sein Verleger den Konkurrenzverlag über die Kontaktaufnahme des Informanten unterrichtet, „um seinen unternehmerischen Standards zu entsprechen – professionellen Standards, deren Einhaltung er sich auch von anderen Verlagen erhofft und die in anderen Industrien als selbstverständlich gelten“. Die unternehmerische und die redaktionelle Perspektive seien in diesem Fall also verschieden. Die Redaktion „bietet Quellenschutz, unabhängig davon, wer die Quelle ist“. - Über den Vorgang beschweren sich drei Personen beim Presserat. Ein Beschwerdeführer meint, die Stellungnahme des Chefredakteurs verletze den Quellenschutz, weil darin der Name des Informanten genannt wurde. Die beiden weiteren Beschwerdeführenden kritisieren nicht den Artikel des Chefredakteurs, sondern das Vorgehen des Verlegers. Er stehe unter dem Verdacht, einen Informanten an seinen früheren Arbeitgeber verraten zu haben. In Zeiten, in denen immer häufiger von „Lügenpresse“ die Rede sei und die Medien insgesamt unter Druck stünden, müssten sich Informanten und Informantinnen darauf verlassen können, von Medienhäusern nicht denunziert und verraten zu werden. Anderenfalls müssten die Verlage damit rechnen, dass sich keine Informanten mehr bei ihnen meldeten. - Der Verlag entgegnet, dass der Informant sein Material ungefragt übermittelt und keine Vertraulichkeit vereinbart habe. Auf einen solchen Fall der aufgedrängten Information sei die im Pressekodex verankerte Pflicht zur Vertraulichkeit nicht anwendbar. Die Beschwerden gegen den Verleger bezögen sich nicht auf die publizistische Tätigkeit des Verlages, sondern richteten sich gegen eine davon unabhängige Handlung dessen Eigentümers. Er sei kein Journalist. Sein Verhalten unterliege nicht der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse. Er sei zudem auch in anderen Geschäftsfeldern tätig, die zum Teil der deutschen Finanzaufsicht und der US-Börsenaufsicht unterlägen. In diesen Bereichen gebe es einzuhaltende Richtlinien für den Umgang mit zugespielten Daten, erst recht, wenn diese rechtswidrig erlangt und über Unternehmenskanäle eingegangen seien. – Der Beschwerdeausschuss sieht im Vorgehen des Verlegers eine schwere Verletzung des Informantenschutzes nach Ziffer 5 des Pressekodex und spricht deshalb eine öffentliche Rüge aus. Auch ein Verleger ist Teil der Presse, unabhängig davon, ob er noch weitere unternehmerische Funktionen innehat. Unbeachtlich ist dabei, ob der Informantenschutz ausdrücklich vereinbart wurde. Denn in Ziffer 5 heißt es: „Die Presse wahrt das Berufsgeheimnis, macht vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis.“ Für diese Regel gibt es nur wenige Ausnahmen, etwa bei einer Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung. Der Beschwerdeausschuss betont, dass der Schutz von Informanten ein zentraler Bestandteil der Pressefreiheit ist. Können sich Hinweisgeber darauf nicht verlassen, werden das Vertrauen in die Presse und deren Glaubwürdigkeit insgesamt beschädigt. Unbegründet ist aber die Beschwerde über die Stellungnahme des Chefredakteurs, in der er über die Preisgabe des Informanten durch den Verleger berichtete. Wer dieser Hinweisgeber war, war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits bekannt. Im Gegensatz zum Verleger hat die Redaktion also nicht den Informantenschutz verletzt.
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„Hat der Fitness-Studio-Angreifer schon einmal gemordet?" Unter diesem Titel schreibt eine Boulevardzeitung über einen Tatverdächtigen, der in einem Fitnessstudio vier Männer mit einem Messer angegriffen haben soll. Die Polizei prüfe nun Verbindungen zu einem Messermord an Ostern, bei dem ein Unbekannter einem 35-Jährigen mehrfach ein Messer in den Bauch gerammt habe. Der wegen der Fitnessstudio-Attacke tatverdächtige Syrer wohne nur 200 Meter vom Tatort der Oster-Attacke entfernt. In beiden Fällen handele es sich offenbar nur um Zufallsopfer. Der mutmaßliche Täter und der an Ostern Erstochene werden mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen genannt, außerdem beide auf Fotos gezeigt: das Angriffsopfer zu Lebzeiten unverpixelt von vorn, der Tatverdächtige im Profil mit einem kleinen Balken über der Augenpartie. - Der Beschwerdeführer sieht in den Fotos und der Namensnennung Verstöße gegen den Persönlichkeitsschutz und in der Bezeichnung „Fitness-Studio-Angreifer" eine mutmaßliche Vorverurteilung. - Die Zeitung macht von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch. - Der Beschwerdeausschuss bejaht einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex, wonach Opfer besonders geschützt werden. Die Veröffentlichung des unverpixelten Fotos des Mordopfers verletzt dessen Persönlichkeitsschutz. Nur, weil jemand Opfer eines Verbrechens wird, darf er nicht automatisch identifizierend in der Presse gezeigt werden. Deshalb spricht der Ausschuss einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Beim Foto des Tatverdächtigen sind sich die Ausschussmitglieder uneinig, ob er dadurch identifizierbar ist. Im Ergebnis wird eine Verletzung von dessen Persönlichkeitsschutz verneint. Außerdem erkennt der Ausschuss keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung nach Ziffer 13. Die Zeitung hat die presseethisch zulässige Form der Verdachtsberichterstattung gewahrt.
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Eine Tageszeitung berichtet über die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen eines namentlich genannten, inzwischen verstorbenen Priesters. Der Beitrag ist mit Nacktfotos von Opfern bebildert, die aus dem Archiv des Priesters stammen und von der Redaktion in Form eines Filmstreifens angeordnet wurden. Die Gesichter und andere Körperteile sind verpixelt. In der Bildunterschrift schreibt die Zeitung, ihr liege deutlich umfangreicheres und drastischeres Material vor. Vor allem aus Rücksicht auf die mutmaßlichen Opfer zeige die Redaktion nur einen kleinen und vergleichsweise harmlosen Ausschnitt des aufgefundenen Materials. „Es deutet auf ebenso eindeutige wie massive Weise auf jahrzehntelangen Missbrauch hin.“ – Der Beschwerdeführer hält allein den Artikel für anschaulich und drastisch genug, um das Geschehen einzuordnen. Die Fotos der jungen Opfer seien nicht notwendig. Die Abgebildeten seien vermutlich nicht um ihr Einverständnis gebeten worden, und der Beschwerdeführer fragt, was der Blick in die Zeitung bei ihnen wohl auslöse. - Der Chefredakteur äußert sein Verständnis darüber, dass die Berichterstattung tief reichende Emotionen ausgelöst habe. Die Redaktion habe erst nach gründlicher Abwägung entschieden, die sehr kleine und „harmlose“ Auswahl des aufgefundenen Materials zu veröffentlichen. Der Fall des Priesters sei in jeder Hinsicht beispiellos. Hier habe jemand nicht nur über Jahrzehnte Missbrauch betrieben, er habe ihn auch lückenlos dokumentiert und den Opfern dadurch eine zusätzliche Demütigung zugefügt. Außerdem werde die Aufklärung solcher Fälle deutlich gründlicher und energischer betrieben, wenn die Opfer ein Gesicht bekämen (wenn auch verpixelt). Ohne solche Berichte, die zum Auftrag der Presse gehörten, würde der Mantel des Schweigens seine fatale Wirkung weiterhin sehr viel ungestörter entfalten können. Im Übrigen habe sich bislang keines der Opfer bei der Redaktion beschwert. Dies sei kein alleiniger Maßstab, zeige aber, dass die Redaktion hier in Abwägung aller Details einen schmalen Grat offensichtlich richtig getroffen habe. – Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Grundsätzlich besteht an diesem jahrlangen Missbrauch und dem kirchlichen Umgang damit ein großes öffentliches Interesse. Gegen die Text-Berichterstattung bestehen aus Sicht des Ausschusses keinerlei presseethische Bedenken. Ausschlaggebend für den ethischen Verstoß ist die Fotostrecke. Sie zeigt verschiedene Opfer, zum Teil auch mit dem Täter, in übergriffigen, demütigenden und mutmaßlich strafrechtlich relevanten Situationen. Die Fotos stammen aus der Sammlung des Täters und zeigen somit die Täterperspektive. Auch die grafische Einbettung der Fotos in einen „Filmstreifen“ trägt zu dieser Sichtweise bei. Diese Darstellung geht über das öffentliche Informationsinteresse hinaus und überschreitet die Grenze zu einer unangemessen sensationellen Darstellung nach Ziffer 11 des Pressekodex. Die Opfer erfahren durch die Veröffentlichung zusätzliches Leid, und die Darstellung würdigt sie herab. Der Beschwerdeausschuss erkennt an, dass die Redaktion zu dokumentarischen Zwecken eine Auswahl der vergleichsweise weniger drastischen Fotos getroffen hat. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch die ausgewählten Fotos die Täterperspektive transportieren und es sich um Material handelt, das durch schwere Straftaten an Jugendlichen hervorgebracht wurde. Trotz der Verpixelung liegt auch ein Verstoß gegen den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 vor. Denn die Fotos greifen in die Intimsphäre der abgebildeten Opfer ein. Sie erkennen sich möglicherweise wieder und werden so nach Jahren und mutmaßlich ungewollt erneut mit den Taten konfrontiert.
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