Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

Bitte beachten: Im Volltext abrufbar sind nur Entscheidungen mit den Aktenzeichen ab 2024, z.B. 0123/24/3!

Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.

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Entscheidungsjahr
6642 Entscheidungen

Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung rechtfertigt keine Identifizierbarkeit

Eine Boulevardzeitung berichtet online über die Verurteilung einer Apothekerin zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung. Die Pharmazeutin hatte einer jungen Schwangeren ein verunreinigtes Glukose-Präparat verkauft. Die Schwangere und ihr ungeborenes Kind starben an den Folgen der Vergiftung. Die Redaktion zeigt die „Apothekerin des Todes“ im Foto. Über die Augenpartie ist ein Balken gelegt. Im Beitrag wird sie mehrfach mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen erwähnt. Auch die Apotheke, in der sie als Filialleiterin tätig war, wird genannt und mit Foto abgebildet. Der Ehemann der Verstorbenen wird ebenfalls per Foto gezeigt. Sein Gesicht ist grob verpixelt. - Die Beschwerdeführerin sieht Verstöße gegen die Pressekodex-Ziffern 8 (Schutz der Persönlichkeit) und 13 (Unschuldsvermutung). Mit wenig Rechercheaufwand finde man den vollständigen Namen der Angeklagten heraus. - Bei der Vorprüfung des Falles beschränkt der Presserat das Verfahren auf mögliche Verstöße gegen Ziffer 8, erweitert es aber um das Foto des Witwers. - Die Zeitung bestreitet die Identifizierbarkeit der Apothekerin. Dank des Augenbalkens und des abgekürzten Nachnamens sei sie nur für diejenigen erkennbar, die sie sowieso schon gekannt hätten. Dabei hätte die Presse hier sogar voll identifizierend berichten dürfen, denn es bestehe ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse, das die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen deutlich überwiege. Dafür spreche zunächst, dass keine Zweifel an der Schuld der geständigen Apothekerin bestünden. Auch wenn sie die Tat offenbar nicht mit direktem Vorsatz begangen habe, so handele es sich doch um eine außergewöhnlich schwere Tat, die zu besonders schwerem Leid geführt habe. Die Tat sei folglich als „besonders“ einzustufen. In solchen Fällen erlaube der Pressekodex eine identifizierende Berichterstattung. Wegen des großen öffentlichen Interesses habe die Zeitung wegen ihrer Chronistenpflicht darüber berichten müssen. Zum Schutz der Betroffenen habe die Redaktion eine sehr zurückhaltende Form der, wenn überhaupt, Identifizierbarmachung gewählt. Dass man die Frau anhand dieser Angaben durch eine einfache Internetrecherche identifizieren könne, falle nicht in den Einfluss- und Verantwortungsbereich der Redaktion. Anderenfalls dürften Zeitungen im Internet-Zeitalter nur noch komplett neutralisierte Texte veröffentlichen, in denen noch nicht einmal der Ort des Prozesses erwähnt werden dürfte. Die Redaktion habe versucht, einen Mittelweg zu gehen. Hinzu komme, dass die Frau in einem hochsensiblen Tätigkeitsbereich einen irreversiblen Fehler begangen habe. Die Presse habe die unerlässliche Aufgabe, die Öffentlichkeit auch über den Namen der Apotheke zu informieren, damit jeder Leser selbst entscheiden könne, ob er seine Medikamente künftig lieber woanders kaufe. Dies gelte umso mehr, als die verurteilte Apothekerin kein Berufsverbot erhalten habe. Über den Ehemann der Getöteten äußert sich die Gerichtsreporterin so: „Mit dem Witwer waren wir während des Prozesses immer wieder im Gespräch, zu Beginn stellte er in Aussicht, dass er nach der Urteilsverkündung offen mit uns reden möchte. Das tat er dann nicht, daher haben wir ihn sehr stark gepixelt.“ Dabei hätte auch über ihn durchaus identifizierend berichtet werden dürfen, denn durch seine Gespräche mit der Redakteurin habe er sich selbst in den Fokus der Presseberichterstattung begeben. Außerdem sei er ebenso wie die Apothekerin in der lokalen Öffentlichkeit schon vor dem Artikel bekannt gewesen. - Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine öffentliche Rüge wegen Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8. Die Apothekerin ist auf dem Foto trotz des Augenbalkens erkennbar. An ihrer Identifizierbarkeit besteht kein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse. Zwar ist der Tod der Schwangeren und ihres Ungeborenen tragisch. Jedoch stellt die fahrlässige Tötung und unterlassene Hilfeleistung, für die das Gericht eine Bewährungsstrafe aussprach, keine „außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat“ dar, wo laut Pressekodex eine Identifizierung ausnahmsweise erlaubt wäre. Damit sind vielmehr Taten wie beispielsweise Attentate, Amokläufe oder Massenmorde gemeint. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeitung die Apotheke namentlich genannt und im Foto gezeigt hat. Der Beschwerdeausschuss sieht in dieser Form der identifizierenden Berichterstattung eine soziale Zusatzbestrafung in Form eines Medienprangers. Auch den Ehemann des Opfers halten die Ausschussmitglieder wegen des Fotos für identifizierbar. Laut Pressekodex sind Fotos von Angehörigen in der Regel unzulässig. Daran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass der Mann während des Prozesses mit der Redakteurin sprach und in Aussicht stellte, nach der Urteilsverkündung offen mit ihr zu reden. Dass er dies nicht tat, zeigt gerade, dass er letztlich kein Interesse daran hatte, in die Öffentlichkeit zu treten.

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Falschbehauptung in Artikel über Kirchendiskussion mit „Klima-Klebern“

Das Onlineportal eines großen Zeitungsverlags berichtet darüber, dass ein Pfarrer in seiner Kirche mit Klimaschutzaktivisten der „Letzten Generation“ diskutiert und sie dabei heimlich „ausgetrickst“ habe: Er habe Sicherheitskräfte engagiert, um mögliche Beschädigungen durch die „Klima-Kleber“ zu verhindern. - Der Beschwerdeführer kritisiert eine falsche und irreführende Darstellung. Die Sicherheitskräfte seien nicht engagiert worden, um die Kirche vor den Aktivisten zu schützen, sondern zum Schutz vor möglichen Übergriffen durch Bürger, die mit dem Ansinnen des Pfarrers, den gesellschaftlichen Dialog aufrecht zu halten, nicht übereinstimmen. Zwei Tage später habe die Redaktion den Beitrag zwar überarbeitet, aber die Falschmeldung dabei nicht ausreichend richtiggestellt. - Die Zeitung räumt einen Irrtum ein. Der Autor habe den Pfarrer so, wie zunächst geschrieben, verstanden, als dieser ihn über die Anwesenheit des bis dahin unauffälligen Sicherheits¬dienstes informiert habe. Nach der Veröffentlichung habe sich dann die Kirchengemeinde bei der Redaktion gemeldet, um klarzustellen, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe. Die Redaktion habe darauf umgehend reagiert und den Beitrag berichtigt. Die überarbeitete Fassung sei mit der Kirche abgestimmt und von dieser freigegeben worden. Trotz des bedauerlichen Missverständnisses sei ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten nicht ersichtlich. Von einer vorsätzlichen Täuschung könne hier keine Rede sein. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Die von der Redaktion eingeräumte falsche Darstellung wurde in der Überschrift besonders hervorgehoben („Letzte Generation in NRW: Pfarrer diskutiert mit Klima-Klebern – und trickst sie SO heimlich aus“). Damit hat die Redaktion sehr deutlich gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex definierte journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. Nach einem Hinweis auf den Fehler hat sie die Veröffentlichung zwar bearbeitet und den Sachverhalt korrekt dargestellt. Allerdings wäre es dabei aus pressethischer Sicht auch notwendig gewesen, die Leser darüber zu informieren, dass die erste Berichterstattung fehlerhaft war. Dies hätte den Anforderungen der Ziffer 3 (Richtigstellung) entsprochen. Da kein solcher Hinweis erfolgt ist, liegt auch hier ein gravierender Verstoß gegen den Pressekodex vor.

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Nicht immer muss die Gegenseite angehört werden

Eine Tageszeitung berichtet zum wiederholten Mal über einen langwierigen Streit zwischen einer Nationalparkverwaltung und einem Verein von Tier- und Naturschützern. Der Verein hatte 2021 den Vorwurf erhoben, im Nationalpark würden in der Schonzeit Gämsen geschossen, um damit Bartgeier-Junge zu füttern. Die Parkverwaltung bestritt dies und klagte erfolgreich gegen diese Behauptung. Als der Verein nun mit seiner Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) scheitert, berichtet die Lokalzeitung darüber ausführlich und zitiert dabei aus einer Pressemitteilung des Nationalparkleiters: Er habe sich gegen eine „grobe Unwahrheit“ des Vereins gewehrt. Dessen Vorsitzende wolle die einstimmige OLG-Entscheidung aber nicht hinnehmen und weiter durch die Instanzen gehen. Bei einer erneuten Niederlage werde es für den Verein und seine Mitarbeiterin teuer. „Ob das dafür erforderliche Geld des Vereins hier im Sinne der Vereinssatzung verwendet worden ist, kann aus guten Gründen bezweifelt werden“, heißt es laut Zeitung in der Nationalpark-Mitteilung. „Der unter dem Deckmantel des Naturschutzes agierende Verein und seine Unterstützer haben nicht verstanden, dass wir im Nationalpark keine klassische Jagd betreiben“, so der Nationalparkleiter. „Der Verein bezweckt mit seinen Aktivitäten trotz der in einigen Bereichen des Schutzgebiets ohnehin schon sehr hohen Wildbestände einen weiteren Populationsanstieg des Schalenwildes. Dies gefährdet das ökologische Gleichgewicht im Nationalpark und die Gesundheit des Wildes“, so der Nationalparkleiter. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Zeitung gegen den Grundsatz verstoßen habe, immer auch die Gegenseite anzuhören: Die Nationalparkleitung habe sich äußerst kritisch und zudem spekulierend über den Verein geäußert, ohne dass dieser dazu Stellung nehmen konnte. - Die Zeitung verweist in ihrer Entgegnung darauf, dass sie über die Streitigkeiten zwischen dem Verein und dem Nationalpark von Anbeginn berichtet habe. Dabei habe sie zunächst vor allem die Vorwürfe des Vereins ausführlich dargestellt. Immer wieder habe sie Äußerungen von beiden Seiten aufgegriffen. Die Standpunkte beider Konfliktparteien seien dem interessierten Leser nach jahrelanger gerichtlicher Auseinandersetzung hinlänglich bekannt. - Der Beschwerdeausschuss erkennt in dem strittigen Bericht keinen Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht und erklärt die Beschwerde einstimmig für unbegründet. Der Tatsachenkern des Artikels betrifft den Ausgang eines Gerichtsverfahrens. Dabei legt die Redaktion die Quelle ihrer Informationen offen, nämlich eine Pressemitteilung des Nationalparks. Der Leserschaft wird damit hinreichend transparent gemacht, dass hier die erfolgreiche Prozesspartei Aussagen über die Gegenpartei macht. Da die kritischen Zuschreibungen als Meinungsäußerungen einer Konfliktpartei im Nachgang eines längeren Rechtsstreits erkennbar sind, musste die Redaktion nicht zwingend eine Stellungnahme des Vereins einholen.

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Zeitung muss nicht politische Funktion von Leserbriefschreiber erwähnen

Eine Tageszeitung veröffentlicht einen Leserbrief, der sich kritisch mit der AfD befasst. Darin fordert er mehr Zivilcourage: „Den Mund aufmachen, auch und gerade am Stammtisch und beim Metzger und in den Familien. Das kann (notwendigerweise) Folgen haben. Die AfD entlarven, indem man ihre Aussagen und ihr Programm bloßstellt […] Es geht nur durch öffentliche Diskussion und Aufdeckung ihrer Lügen!“ Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass der Leserbriefverfasser kein gewöhnlicher Bürger sei, sondern ein langjähriger Stadtrat. Ohne diese Funktion kenntlich zu machen, fordere er die Öffentlichkeit eindringlich dazu auf, seine politische Konkurrenz für ihn zu bekämpfen. Der Redaktion sei die politische Tätigkeit des Verfassers bekannt. Aber trotz des explizit parteipolitischen Inhalts und der aggressiven, an die Öffentlichkeit gerichteten parteipolitischen Forderungen habe die Zeitung den parteipolitischen Hintergrund nicht kenntlich gemacht. Die Redaktion erläutert in ihrer Stellungnahme, dass der Leserbrief auf einer Zeitungsseite erschienen sei, in der nur Zuschriften zu überregionalen Artikeln abgedruckt würden.

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Journalist darf aus privatem Telefonat zu Hauskauf zitieren

In einer Tageszeitungskolumne schreibt ein freier Mitarbeiter über ein Telefonat, das er als Interessent für einen Hauskauf mit einer Inserentin geführt habe. Das Gespräch wird anhand von Zitaten nachgezeichnet. Es geht dabei um die Weigerung der Eigentümerin, das von ihr zum Kauf angebotene sanierungsbedürftige Haus komplett besichtigen zu lassen. Sie wolle dem Interessenten nur den Keller und das Erdgeschoss zeigen, nicht aber das Obergeschoss, denn: „Das ist alles zu privat.“ Der Ehemann der Eigentümerin beschwert sich darüber, dass der Journalist sich als Interessent ausgegeben habe, aber offenbar lediglich die Eigentümerfamilie diffamieren wolle. Er habe drei sehr „sonderbare“ und unfreundliche Telefonate geführt. Augenscheinlich habe er den letzten Anruf mitgeschnitten, denn er habe daraus in seinem Artikel zitiert. Bei einem weiteren Telefonat, diesmal mit dem Ehemann und späteren Beschwerdeführer, habe dieser erfahren, dass der Journalist gar kein Haus suche. Der Chefredakteur entgegnet, die Kontaktaufnahme zwischen dem freien Mitarbeiter und der Verkäuferfamilie sei weder im Auftrag noch mit Wissen der Redaktion zustande gekommen.

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Zeitung dürfte über Verdacht der Steuerhinterziehung berichten

Eine Tageszeitung berichtet über eine mögliche Steuerhinterziehung durch einen namentlich genannten CSU-Stadtrat, der zugleich Pächter des Kiosks in einem städtischen Freibad ist: Recherchen der Redaktion würden den Schluss nahelegen, dass er Kiosk-Einnahmen nicht registriert haben könnte. Die elektronische Registrierkasse habe oftmals offen gestanden, ohne dass der Pächter oder sein Mitarbeiter die Verkäufe eingetippt habe. Der Bericht befasst sich detailliert mit der Frage, wie die Vorgänge bewertet werden könnten, vor allem, ob hier ein zulässiger Ausnahmefall vorliegt. Die Zeitung zitiert dazu einen namentlich genannten Wirtschaftskriminologen, das örtliche Finanzamt und auch einen erfahrenen Steuerstrafrechtler, der anonym bleiben möchte. Er antwortet auf die Frage, ob das geschilderte Vorgehen zulässig sein könnte, mit den Worten: „Nein, da fällt mir wirklich nichts ein. Eine elektronische Registrierkasse wie eine offene Kasse zu nutzen, macht nur Sinn, wenn vorsätzlich nicht jeder Vorgang registriert werden soll, um Steuern zu hinterziehen.“ Und weiter: „Das ist klare Steuerhinterziehung und für die Steuerfahndung müsste das leicht nachzuweisen sein. Bei den beschriebenen Vorgängen sprechen wir nicht mehr über eine Ordnungswidrigkeit, sondern über eine Straftat.“ Abschließend schreibt die Zeitung, es sei Sache der Ermittlungsbehörden, zu klären, ob hier tatsächlich ein Anfangsverdacht für eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat vorliege. Der beschuldigte Stadtrat äußerte sich auf Anfrage der Zeitung nicht zu den Vorwürfen. - Drei Beschwerdeführende sehen die gebotene Unschuldsvermutung verletzt. Es handele sich um reine Verdachtsberichterstattung. Der gesamte Artikel sei in einer Art und Weise verfasst, dass ein Leser am Ende nur die Schlussfolgerung ziehen könne, der Betroffene hätte sicher den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. An keiner Stelle werde den Lesern klar, dass die befragten „Experten“ den Sachverhalt gar nicht genau genug kennen könnten, um eine abschließende rechtliche Bewertung vorzunehmen. Dass eine nicht ordnungsgemäße Kassenführung zwangsläufig eine Steuerhinterziehung darstelle, sei auch inhaltlich falsch, da noch keine Steuererklärung abgegeben worden sei. Eine fehlerhafte Kassenführung möge allenfalls ein Indiz für eine Ordnungswidrigkeit (Steuergefährdung) darstellen. - Der Chefredakteur entgegnet, bei der mehrmonatigen aufwändigen Recherche habe ein Hauptaugenmerk darauf gelegen, die Unschuldsvermutung zu wahren. In der Tat handele es sich um Verdachtsberichterstattung; die dafür geltenden Kriterien seien aber durchweg eingehalten worden: Es gebe einen Mindestbestand an Beweistatsachen, nämlich Beobachtungen eines Zeugen, das Video eines Hinweisgebers, eigene dokumentierte Beobachtungen über einen längeren Zeitraum sowie gesicherte Experteneinschätzungen dazu. Das besondere öffentliche Interesse sei gegeben, weil es sich bei dem Betroffenen um ein Stadtratsmitglied handele. Die Unschuldsvermutung sei in jedem Beitrag herausgestellt worden, indem sie explizit benannt worden sei und indem der Betroffene angehört worden sei. Die Redaktion habe deutlich unterschieden zwischen Tatsachen und Einschätzungen dieser Tatsachen, etwa durch Experten. Eine anonyme Zitierung des Steuerfachanwalts sei in diesem Fall notwendig, um die Quelle zu schützen. Nur der auch gesetzlich sichergestellte Informantenschutz gewährleiste die Bereitschaft kompetenter Gesprächspartner, sich in der Presse ungefährdet zu solchen Sachverhalten zu äußern. - Der Beschwerdeausschuss erklärt die Beschwerde einstimmig für unbegründet. Denn die Berichterstattung verstößt nicht gegen die in Ziffer 4 des Pressekodex gezogenen Grenzen der Recherche oder das in Ziffer 13 festgeschriebene Gebot zur Unschuldsvermutung. Das Gremium folgt dabei weitgehend der Argumentation der Redaktion. Sie macht glaubhaft, dass die Anonymisierung des Experten notwendig war, um den Quellenschutz zu gewährleisten und die veröffentlichte Einschätzung zu bekommen. Zudem gibt die Zeitung an, den Experten lediglich zum abstrakten Sachverhalt befragt zu haben. Insofern war hinreichend sichergestellt, dass er seine Auffassung ohne Ansehen der Person und somit frei von sachfremden Erwägungen äußerte. Sofern die Leserschaft durch die Berichterstattung einen für den Betroffenen unvorteilhaften Gesamteindruck bekommen sollte, wäre dies vor allem darauf zurückzuführen, dass der Betroffene nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Stellungnahme abzugeben. Dies ist jedoch nicht der Redaktion zur Last zu legen und kann vor allem nicht dazu führen, dass eine umfassend recherchierte Verdachtsberichterstattung zu unterbleiben hätte.

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„Besitz“ und „Eigentum“ sind nicht dasselbe

In zwei Artikeln berichtet eine Tageszeitung über die bevorstehende Reform der Grundsteuer. Dabei verwendet die Redaktion die Begriffe „Eigentum" und „Besitz" synonym. - Der Beschwerdeführer sieht darin einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, denn die Begriffe bedeuten rechtlich nicht dasselbe. - In der Vorprüfung des Falles bewertet der Presserat die Beschwerde zunächst als „offensichtlich unbegründet“. Laut Ziffer 2 des Pressekodex müssen Redaktionen mit „der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt“ arbeiten. Welche Sorgfalt nach den Umständen geboten ist, kann sich zum Beispiel nach der Art der Publikation, der Person des Äußernden oder der gewählten Darstellungsform richten. Demnach ist bei der Verwendung von Rechtsbegriffen in juristischen Fachpublikationen ein anderer Maßstab anzulegen als bei Tageszeitungen. Zudem sind Redaktionen laut Pressekodex nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für ihre (durchschnittliche) Leserschaft unerheblich sind. Eine Zeitung darf solche Begriffe auch in ihrer umgangssprachlichen Form verwenden. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe „Eigentum“ und „Besitz“ synonym verwendet; also ist dies auch einer Tageszeitung erlaubt. Gegen diese Entscheidung legt der Beschwerdeführer Einspruch ein. Auch im allgemeinen Sprachgebrauch würden die Begriffe „Eigentum“ und „Besitz“ nicht völlig austauschbar verwendet. Richtigerweise werde der Begriff „Besitz“ auch für „Eigentum“ verwendet, jedoch nicht umgekehrt (beispielsweise werde ein Mieter nicht als Wohnungseigentümer bezeichnet). Diese Unterscheidung sei hier relevant. Bei der Grundsteuer handele es sich um ein juristisches Thema. Wenn sich eine Redaktion auf dieses Terrain begebe, müsse sie die dort geltende erhöhte Sorgfaltspflicht beachten. Die Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen sei für die Leser nicht unerheblich. Wenn in den Artikeln von „Besitzern“ die Rede sei, könne dies beispielsweise dazu führen, dass Mieter irrigerweise davon ausgingen, eine Grundsteuererklärung abgeben zu müssen. Der Chefredakteur schließt sich der ursprünglichen Argumentation des Presserats an.

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„Versetzung“ und „Abordnung“ verwechselt

Das Onlineportal einer großen Mediengruppe veröffentlicht eine Artikelserie über Vorgänge an einer Grundschule. Dort hatten Eltern einen Lehrermangel und „unüberbrückbare Differenzen mit der Schulleitung“ beklagt. Einmal hielten Eltern und Kinder sogar eine Demonstration ab. Die Redaktion zitiert Vorwürfe von Eltern, wonach mehrere Lehrkräfte aus Unzufriedenheit über die namentlich nicht genannte Schulleitung an andere Schulen gewechselt seien oder dies vorhätten. Ein Vater berichtete: „Wir hatten viele Wechsel in der Klassenleitung, teilweise zusammengelegte Klassen und nur formal einer erfüllte Stundentafel.“ Schließlich, so berichtet das Portal weiter, sei die Schulleiterin nach Angaben der Bezirksregierung „auf eigenen Wunsch“ mit der Leitung einer anderen Schule betraut worden. „Die Eltern berichten, dass eine Lehrerin ihren Versetzungsantrag wieder zurückgenommen habe, als sie vom Wechsel der Schulleiterin erfuhr.“ Beschwerdeführerin ist die ehemalige Schulleiterin. Die Berichterstattung sei lückenhaft recherchiert, grob unvollständig und enthalte nur pauschale Vorwürfe. Welches konkrete Fehlverhalten ihr vorgeworfen werde und ob diese Vorwürfe berechtigt seien, könnten die Leserinnen und Leser nicht nachvollziehen. Dass eine Lehrerin wegen des Weggangs der Leiterin ihren Versetzungsantrag wieder zurückgezogen habe, sei schlicht unwahr. Diese Lehrerin stamme von einer anderen Schule und sei an die betreffende Grundschule nur vorübergehend abgeordnet gewesen. Die Abordnung sei regulär ausgelaufen, was zu einer Rückkehr an ihre ursprüngliche Schule geführt habe. Trotzdem habe sie entschieden, noch einige Stunden an der Grundschule zu unterrichten. Sie habe also keine Versetzung beantragt und auch nicht wegen des Weggangs der Schulleiterin beschlossen zu bleiben. Außerdem kritisiert die Beschwerdeführerin, dass sie keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten habe. Lediglich im Vorjahr habe die Redaktion zu einem damaligen Artikel bei ihr angefragt, nicht aber zu den aktuellen Entwicklungen. Die Mediengruppe entgegnet, sie habe Angaben der Bezirksregierung über den Schulleitungswechsel in wörtlicher Rede wiedergegeben.

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„Pächter ignoriert Verbot von Stadt“ ist keine Ehrverletzung

Eine Tageszeitung berichtet über einen Rechtsstreit zwischen einer Stadtverwaltung und dem Pächter eines Geschäfts. Er habe in seinem Laden Ausstellungen und Kulturveranstaltungen stattfinden lassen. Da hier aber nur der Betrieb eines Geschäfts und einer Werkstatt erlaubt sei, habe die Stadt die weitere Nutzung untersagt. Vor dem Amtsgericht sei der Rechtsstreit schließlich beigelegt worden. Daraufhin habe der Pächter eine Re-Opening-Party mit Kunstwerken angekündigt. Im Gespräch mit der Zeitung habe er mitgeteilt, es handele sich um keine Ausstellung, sondern um einen Pop-Up-Store. Kurz vor der Feier habe die Stadt die Party und die Nutzung der Fläche für Ausstellungen untersagt - wegen fehlender Rettungswege. Der Pächter habe die Wiedereröffnung trotzdem gefeiert. Seine Begründung: Als Ladeninhaber dürfe er zum Tag der Eröffnung Kunden einladen. Ein Unterschied zwischen dem früheren und jetzigen Geschäft sei, dass früher die Künstler selbst ihre Werke verkauft und er nur den Ort dafür angeboten habe. Jetzt nehme er Provision. Auf Nachfrage der Zeitung erklärte die Stadt, dass eine reine Geschäftseröffnung nicht angezeigt werden müsse. In der Online-Fassung trägt der Bericht die Überschrift „Streit um Ladengeschäft geht weiter: Pächter ignoriert Verbot von Stadt". Der im Beitrag namentlich genannte Pächter beschwert sich darüber, dass die Überschrift den Eindruck erwecke, er verhalte sich gesetzeswidrig. Der genauere Zusammenhang sei erst hinter einer Paywall zu lesen gewesen. Die Behauptung, er habe ein Verbot der Stadt ignoriert, sei unwahr. Dies sei auch eine schwere Beschädigung seiner persönlichen Integrität, vor allem vor dem Hintergrund, dass er auch als selbständiger Berater und Autor tätig sei und ein tadelloser Ruf von entscheidender Bedeutung sei. Wahr sei vielmehr, dass er Recht und Ordnung stets in vollem Umfang achte. Nie seien gegen ihn Buß- oder Zwangsgelder verhängt worden, auch nicht nach der Re-Opening-Party. Der Chefredakteur kann die Beschwerde nicht nachvollziehen.

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Urteilsbegründung ins Gegenteil verkehrt

Eine Boulevardzeitung schreibt über ein Landgerichtsurteil gegen ein Nachrichtenportal, das über die Direktorin des NDR-Funkhauses Hamburg berichtet hatte. Das Urteil stelle klar, dass das Portal mehrere Aussagen nicht mehr verbreiten dürfe, mit denen die Funkhauschefin schwer belastet worden sei und die dazu geführt hätten, dass sie ihr Amt räumte. Das Portal habe geschrieben: „System R[…]: Wie Ehemann und Töchter der Hamburger Funkhaus-Direktorin vom NDR profitieren“. Laut Urteil könne das Medium keine Beweise für diesen ehrbeeinträchtigenden Vorwurf der Vetternwirtschaft erbringen, wodurch es sich eher um eine Meinungsäußerung handele als um einen objektiven Tatbestand. Der Beschwerdeführer sieht die Sorgfaltspflicht verletzt: Das Gericht habe in den beanstandeten Formulierungen gerade keine Meinungsäußerungen gesehen, sondern Tatsachenbehauptungen, die nicht glaubhaft gemacht worden seien und deshalb von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt seien. Die Zeitung verweist in ihrer Stellungnahme darauf, dass der beanstandete Artikel kurze Zeit nach der Veröffentlichung aufgrund inhaltlicher Schwächen offline genommen worden sei.

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