Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

Bitte beachten: Im Volltext abrufbar sind nur Entscheidungen mit den Aktenzeichen ab 2024, z.B. 0123/24/3!

Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.

Sie haben Fragen zu unseren Sanktionen? Hier finden Sie Erläuterungen.

 

Entscheidungsjahr
6642 Entscheidungen

Foto zeigt falsche Person als Angeklagte

Eine Boulevardzeitung berichtet online über einen in Dresden stattfindenden Prozess gegen vier linksradikale Autonome (darunter eine Lina E.), denen Angriffe auf Neonazis vorgeworfen werden. Der Berichterstattung beigestellt ist ein unverpixeltes Foto, das laut Bildunterzeile die Angeklagte Lina E. bei einem anderen Prozess in Berlin zeigt. - Der Beschwerdeführer teilt mit, die abgebildete Frau sei nicht die in Dresden vor Gericht stehende Lina E., sondern eine in Berlin angeklagte Klimaaktivistin Lina E. - Die Zeitung hat zu der Angelegenheit nicht Stellung genommen. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine Rüge aus. Bei der Veröffentlichung des falschen Bildes handelt es sich um einen besonders schweren Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex definierte journalistische Sorgfaltspflicht. Die Berliner Klimaaktivistin wird fälschlicherweise als Gewalttäterin hingestellt und gerät dadurch in Misskredit.

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Video zeigt Todeskampf nach Hai-Angriff

Eine überregionale Tageszeitung berichtet online in einem Video über einen Hai-Angriff im Roten Meer vor der Küste Ägyptens, bei dem ein Urlauber getötet wurde. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass das Video den Todeskampf eines Menschen zeige. Dies habe keinen Informationswert. Vor dem Anklicken des Videos werde nicht deutlich, dass es sich um eine möglicherweise belastende Aufnahme handele. - Der Chefredakteur gibt dem Beschwerdeführer vollkommen Recht. Das (inzwischen gelöschte) Video hätte niemals so erscheinen dürfen, und die Redaktion bedauere diesen Fehler sehr. Sie habe damals entschieden, über die Hai-Attacke zu berichten, aber nicht aus Sensationslust, sondern wegen großen öffentlichen Interesses. Das Unglück sei direkt vor der Küste Hurghadas passiert und damit in einer bei Deutschen beliebten Urlaubsregion mitten in der Urlaubszeit. Viele andere deutsche Medien hätten ebenfalls berichtet. Dem Aufklärungsbedürfnis des Publikums habe die Redaktion durch Interviews mit Tauchern und Hai-Experten entsprochen. Allerdings sollten nur Ausschnitte des umfangreichen Rohmaterials gezeigt werden. Damit keine Einzelheiten zu sehen seien, sollten die ausgewählten Szenen verfremdet („geblurrt“) werden. Wegen einer Kommunikationspanne sei aber leider eine Fassung veröffentlicht worden, die nicht wie besprochen geblurrt worden sei. – Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Denn die Berichterstattung verletzt die Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex. Ausschlaggebend hierfür sind die Szenen vom Todeskampf des Urlaubers. Er wird unter Wasser gezogen, und das Wasser färbt sich blutrot. Diese Darstellung überschreitet die Grenze zur unangemessen sensationellen Berichterstattung. Zudem wird die Tötungsszene mehrfach wiederholt und das Leid des Opfers damit zur Schau gestellt.

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Einseitig Vorwurf der Falschaussage gegen Gerichtszeuginnen erhoben

Eine Lokalzeitung berichtet über aktuelle Entwicklungen in einem Konflikt um einen baufälligen denkmalgeschützten Speicher. Dessen Eigentümerin ist die Entwicklungsgesellschaft NLG, die dort für die Gemeinde ein neues Gewerbegebiet schaffen soll. Sie wehrt sich vor dem Verwaltungsgericht gegen einen Behördenbescheid, wonach sie unter anderem den zerstörten Dachstuhl durch ein Notdach sichern muss. Aus ihrer Sicht ist der Speicher wegen der Schäden nicht mehr denkmalwürdig. Strittig ist auch die Ursache der Zerstörung: Die NLG spricht von einem Sturmschaden; eine Bürgerinitiative will dagegen Baggerarbeiten beobachtet haben und vermutet, dass dadurch Fakten für einen Abriss des Speichers geschaffen werden sollten. In dem beanstandeten Artikel „Abriss oder Windschaden?" geht es um die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen vor dem Verwaltungsgericht. Zwei Frauen hatten ausgesagt, sie hätten einen Baggereinsatz am Speicher gesehen. Der strittige Artikel beginnt in der Onlinefassung mit den Worten: „Haben die Zeugen vor dem Verwaltungsgericht gelogen? Das zumindest behauptet die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) und legt ihrerseits Beweise vor." Die Zeugenaussagen werden so zusammengefasst: „Hat die Niedersächsische Landgesellschaft beim Zusammenbruch des (…) Speichers an der Natberger Straße nachhelfen lassen? Das zumindest behaupten vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück zwei Zeugen. Sie wollen gesehen haben, wie ein Bagger den Dachstuhl des historischen Gewölbes einriss und das Gebäude zum größten Teil zerstört hat. Dabei soll der Baggerfahrer im Auftrag der NLG oder vielleicht auch der Gemeinde gehandelt haben. Wollten sich die Gemeinde oder die NLG also bei der Entwicklung des neuen Gewerbegebiets (…) des denkmalgeschützten Gebäudes entledigen, wie es von der Bürgerinitiative (…) behauptet wird?" Die NLG bestreite dies: Einen Baggereinsatz habe es gar nicht gegeben. Weiter schreibt die Zeitung, die NLG und die Gemeinde fühlten sich durch diese "bewusste Falschaussage", so der Bürgermeister, verleumdet. - Die Beschwerdeführerinnen sind die im Beitrag namentlich nicht genannten Zeuginnen. In der überschaubaren Gemeinde seien sie vielen Menschen bekannt, schreiben sie. Durch den Artikel würden sie zu Unrecht einer erheblichen Straftat bezichtigt, nämlich einer Falschaussage vor Gericht. Die im Zeitungsartikel enthaltenen, in die Form einer Tatsache gekleideten verleumderischen Behauptungen seien geeignet, ihr gutes Ansehen unerträglich zu verunglimpfen. Deshalb hätten die beiden inzwischen auch Strafanzeige gegen die Zeitung gestellt. Aufgrund welcher Erkenntnisse der Bürgermeister den Vorwurf der Falschaussage erhoben habe, sei für sie nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht habe nicht den geringsten Vorwurf gegen sie erhoben. Außerdem fühlen sich die Zeuginnen falsch zitiert: Sie hätten nie behauptet, dass die NLG dem Zusammenbruch des Denkmals habe nachhelfen lassen, insbesondere nicht, dass der Baggerfahrer im Auftrag der NLG oder der Gemeinde gehandelt habe. Sie hätten auch nicht davon gesprochen, dass ein Bagger „das Gebäude zum größten Teil zerstört hat“. Sie hätten lediglich starke Beschädigungen des Dachstuhls und des Giebels beobachtet. Der Artikel sei einseitig und tendenziös. Die Zeitung habe den beiden nicht mal die Gelegenheit gegeben, zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. – Der Chefredakteur erinnert in seiner Stellungnahme daran, dass ihr langjähriger freier Mitarbeiter das Thema „Gewerbegebiet“ schon seit Jahren behandele, „ein äußerst emotionales Thema, das von beiden Seiten mit gewisser Härte in der Öffentlichkeit und vor Gericht geführt wird“. Bei der beanstandeten Berichterstattung beruft sich die Zeitung auf eine Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts. Demnach hätten zwei Zeuginnen berichtet, dass nach ihrer Wahrnehmung die Ursache für den Giebeleinsturz durch einen Bagger gesetzt worden sei. Da diese Information aus einer qualifizierten Quelle stamme, habe die Redaktion keinen Anlass gesehen, sie anzuzweifeln. In derartigen Fällen bestehe keine Pflicht zu einer Nachrecherche. Außerdem seien die Zeuginnen nicht identifizierbar, nicht einmal in Bezug auf ihr Geschlecht, denn im Artikel sei neutral von „zwei Zeugen“ die Rede. Folglich seien die beiden durch die Berichterstattung nicht betroffen. Insofern habe auch keine Pflicht bestanden, ihnen Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben. Beim Vorwurf der „bewussten Falschaussage“ sei für jeden Leser zweifelsfrei erkennbar, dass es sich dabei um eine Aussage des Bürgermeisters handele, die sich die Redaktion nicht zu eigen gemacht habe. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. Die Redaktion zitiert die beiden Zeuginnen falsch und verstößt damit gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Wie sich aus den Angaben der Frauen und der Gerichtsmitteilung ergibt, haben die beiden nicht behauptet, dass ein Bagger das Gebäude zum größten Teil zerstört habe und dass der Baggerfahrer dabei im Auftrag der NLG oder der Gemeinde gehandelt haben solle. Insoweit wird den Beschwerdeführerinnen hier ein Falschzitat in den Mund gelegt. Gerichtsmitteilungen sind zwar eine privilegierte Quelle. Die behaupteten Aussagen gingen daraus aber gar nicht hervor. Angesichts der im Artikel zitierten massiven Vorwürfe einer (strafbaren) „bewussten Falschaussage“ hätte die Redaktion die Frauen außerdem zwingend anhören müssen. Dies gilt umso mehr, weil die Gerichtsmitteilung nahelegt, dass die Zeugenaussagen tatsächlich zutreffend waren. In der Pressemitteilung heißt es nämlich wörtlich: „Zwei Zeuginnen gaben an, dass nach ihrer Wahrnehmung die Ursache für den Giebeleinsturz durch einen Bagger gesetzt wurde. Daraufhin hat die NLG die Klage zurückgenommen.“ Dass die Zeitung diesen Umstand nicht erwähnt hat, stellt ebenfalls eine Sorgfaltspflichtverletzung dar. Zudem verletzt der Vorwurf einer strafbaren Handlung die Beschwerdeführerinnen in ihrer Ehre nach Ziffer 9 des Kodex. Dabei kann offenbleiben, ob hierfür eine Identifizierbarkeit erforderlich ist. Denn zumindest das nähere soziale Umfeld der beiden dürfte von ihrem Zeugen-Auftritt wissen.

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Produkterwähnung nur bei Alleinstellungsmerkmal erlaubt

„Endlich weniger rauchen“: Unter diesem Titel erscheint in einer Fernsehzeitschrift ein Artikel über Alternativen zu herkömmlichen Zigaretten. Zu Wort kommt dabei ein Manager eines internationalen Tabakkonzerns. Er erläutert die Funktionsweise von Tabakerhitzern. Ergänzt wird der Artikel durch einen Kasten, in dem Alternativen zum herkömmlichen Rauchen vorgestellt werden: ein Tabakerhitzer des Konzerns, eine E-Zigarette mit Verdampfer, eine E-Zigarette als Einwegprodukt sowie Kautabak. - Der Beschwerdeführer sieht in der Veröffentlichung Schleichwerbung für den Konzern. Er vermutet eine Kooperation der Zeitschrift mit dem Unternehmen, da regelmäßig dessen „Informationsanzeigen“ oder „eigene“ redaktionelle Artikel zum Thema Rauchen veröffentlicht würden, in denen Inhalte aus einer Informationskampagne des Unternehmens unkritisch übernommen würden. - Die Zeitschrift sieht keinen werblichen Vorteil für den Konzern, da in gleichem Umfang auch andere Alternativen zur Zigarette vorgestellt würden. Diese herstellerübergreifende Präsentation verschiedener Ersatzprodukte stelle die Vor- und Nachteile der jeweiligen Alternative heraus, ohne dass darin ein unzulässiger werblicher Überschuss enthalten sei. Auch die von solchen Geräten ausgehenden Gefahren würden angesprochen. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus, denn der Artikel verletzt die in Ziffer 7 des Pressekodex geforderte klare Trennung von Redaktion und Werbung. Zwar ist nicht zu beanstanden, dass die Redaktion einen Konzernmitarbeiter die Funktionsweise von Tabakerhitzern erläutern lässt. Aber dass im ergänzenden Kasten allein ein Tabakerhitzer dieses Unternehmens erwähnt wird, überschreitet eindeutig die Grenze zur Schleichwerbung. Vertretbar wäre diese Nennung nur, wenn das Produkt ein Alleinstellungsmerkmal aufweisen würde. Dies geht aus der Berichterstattung aber nicht hervor. Es gibt andere, ähnliche Produkte, so dass die Fokussierung auf das Angebot nur dieses Herstellers eindeutig Schleichwerbung darstellt.

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Tatverdächtigen im „Fall Maddie“ vorverurteilt

Unter der Überschrift „Der wichtigste Zeuge“ berichtet eine Boulevardzeitung online in Text und Video über einen Zeugen im Fall der verschwundenen Maddie McCann. Er belastet einen namentlich genannten Tatverdächtigen, der auch mit einem unverpixelten Porträtfoto gezeigt wird. Die Redaktion fasst ihr Exklusivgespräch mit dem Zeugen so zusammen: Er habe die Polizei alarmiert, nachdem der Verdächtige ihm „aus Versehen“ die Entführung des Mädchens gestanden habe. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Redaktion immer wieder über die Ermittlungen im Fall Maddie McCann berichte und dabei einen Mann in Wort und Bild als Tatverdächtigen nenne. Er stehe zwar unter Verdacht, sei bislang aber weder angeklagt noch rechtskräftig verurteilt. Die Redaktion betreibe eine massive Vorverurteilung des Mannes. Mit den Aussagen des Interviewten, der selbst ein Krimineller sei, wolle sie nun offenbar die Schuld untermauern. - Die Zeitung entgegnet, es handele sich um einen langjährigen Vermisstenfall, der international großes Interesse und Anteilnahme in der Bevölkerung hervorgerufen habe. Die Berichterstattung darüber trage dazu bei, dringend benötigte Zeugenhinweise zu generieren, die die Ermittlungen voranbringen könnten. Im Übrigen verschicke der Tatverdächtige seit geraumer Zeit Pressemitteilungen mit vollem Namen, suche also selber aktiv die Öffentlichkeit. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus. An dem Vermisstenfall besteht zwar grundsätzlich ein besonderes öffentliches Interesse. Aber auch für den Hauptverdächtigen gelten die Grundsätze der Unschuldsvermutung und der Schutz der Persönlichkeit. Die Nennung seines Namens hält der Ausschuss für zulässig, da er selbst offen mit Pressemitteilungen auf die Öffentlichkeit zugeht. Die Abbildung des Mannes geht jedoch noch einen Schritt weiter und verletzt den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Pressekodex. Er ist zwar Hauptverdächtigter, aber zum Zeitpunkt der Berichterstattung wurde noch keine Anklage gegen ihn erhoben. Ein öffentliches Interesse an einer identifizierbaren Abbildung sieht der Ausschuss nicht gegeben. Außerdem verstößt die Redaktion gegen die Unschuldsvermutung nach Ziffer 13. Denn sie veröffentlicht ausführlich belastende Aussagen, ohne diese zu relativieren oder in den Gesamtkontext einzuordnen.

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Auch bei Meinungsbeiträgen müssen die Fakten stimmen

Eine Tageszeitung veröffentlicht in der wöchentlichen Kolumne ihres stellvertretenden Chefredakteurs einen Beitrag mit dem Titel „Krieg in der Ukraine: Zum Glück gibt es `Telegram´". Der Autor schreibt, er lese regelmäßig auf „Telegram“, was die Szene russischer Militärblogger von sich gebe. „Anders als man meinen sollte, entpuppen sich viele Informationen auf sehr vielen Channels regelmäßig als zutreffend.“ Natürlich stimme nicht alles. Klassische Medien seien vorsichtig, die Informationen wiederzugeben. Russische Quellen zu ignorieren, halte er dennoch für eine schlechte Idee. Dann teilt er „drei aktuelle Beobachtungen“ mit der Leserschaft: Sehr verbreitet seien dort „Abschussvideos“, also Bilder von zerstörtem Kriegsmaterial oder getöteten Menschen. Gehe man nach ihnen, seien seit Beginn der ukrainischen Gegenoffensive eine ganze Reihe Leopard-Panzer beschädigt oder zerstört worden, darunter auch Modelle der Bundeswehr. „Was sagt es aus über den Sinn der Lieferung dieses vermeintlich so wichtigen Materials, wenn nach wenigen Tagen derart viel zerstört ist?“ Als zweites Beispiel nennt er Raketenalarme bei Staatsbesuchen in der Ukraine. Teile einer südafrikanischen Delegation hätten später gespottet, dass es keinerlei Explosionen gegeben habe. „Die Sirenen immer bei Staatsbesuchen – sind sie nur eine Inszenierung?“, fragt der Autor. Für gänzlich unplausibel halte er die These nicht, „wenn man die übrigen gewitzten Mittel der ukrainischen psychologischen Kriegsführung betrachtet, wiewohl es fraglos regelmäßig sehr reale Angriffe gibt“. Das dritte Beispiel des Autors: Bis vor Kurzem habe er nicht gewusst, dass Russland und die Ukraine vor gut einem Jahr bei ihren Friedensgesprächen in der Türkei einen Abschlussentwurf ausgehandelt hätten, der bereits unterschrieben gewesen sein solle. „Wie Putin sagte, hat Russland auf dieser Basis den damals so überraschenden Teilabzug befohlen.“ Die Ukraine habe jedoch in Abstimmung mit Nato-Staaten das Verhandlungsergebnis verworfen. Wie authentisch das Dokument sei, lasse sich nicht überprüfen. „Es gibt aber Hinweise darauf, dass an Putins Version etwas dran ist, wiewohl auch russische Provokationen und Aktionen zum Scheitern beigetragen haben können und der Entwurf ein Datum trägt, an dem die russischen Truppen rund um Kiew ihren Rückzug bereits begonnen hatten. Genau hinsehen muss man also bei Telegram.“ Aber: „Mein Bild der Vorgänge bereichert das sehr.“ - Die Beschwerdeführerin hält den Artikel für einen Sorgfaltspflicht-Verstoß, da der Wahrheitsgehalt der verbreiteten Informationen nicht überprüft worden sei. Zwar habe der Autor die Quelle „Telegram“ als nicht immer glaubwürdig gekennzeichnet, aber die drei daraus entnommenen Beispiele stelle er als Fakten dar, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Außerdem sei der Artikel nicht als Kommentar gekennzeichnet. Ferner verstoße der Autor gegen das Verbot unangemessener Sensationsberichterstattung, indem er darauf verweise, dass auf „Telegram“ Bilder von „Blut und Brutalität“ verbreitet werden könnten. - Die Zeitung weist in ihrer Entgegnung darauf hin, dass der Beitrag in einer persönlichen Kolumne des stellvertretenden Chefredakteurs erschienen und somit eindeutig als Meinungsbeitrag erkennbar sei. „Telegram“ sei zu einer weltweit relevanten Quelle für den Ukraine-Krieg geworden, deren Bedeutung auch in zahlreichen Medien von „Tagesschau“ über „Bild“ bis „Spiegel“ erkannt worden sei. Dass die Informationen wie in jedem sozialen Netz nicht ohne Weiteres als bare Münze genommen werden dürften, habe der Autor mehrfach klar herausgestellt. Im konkreten Fall jedoch könnten keine ernsthaften Zweifel bestehen, dass ein relevanter Anteil der Leopard-Panzer zerstört sei. Zu dem auf „Telegram“ erwähnten Vertragsentwurf heißt es, dass Putin das Dokument teilweise lesbar in die Kamera gehalten habe. Die brutalen „Abschussvideos“ beider Seiten seien Dokumente der Zeitgeschichte. Die Zeitung habe die Aufnahmen aber nicht gezeigt, sondern lediglich ihre Existenz erwähnt. „Von einer überbordenden Sensationsberichterstattung kann keine Rede sein.“ - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus, weil der Artikel in massiver Weise gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex verstößt. Diese Pflicht gilt auch bei einem Meinungsbeitrag, soweit er Tatsachenbehauptungen enthält. Diese müssen mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt recherchiert und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft und, wenn nötig, für die Leserschaft eingeordnet werden. In dem beanstandeten Artikel nimmt der Redakteur „Telegram“-Meldungen als Beispiele dafür, warum dort aktive russische Militärblogger eine gute Quelle seien. Er stellt diese Meldungen zum Großteil als Fakten hin, ohne sie einzuordnen oder in einen Kontext zu setzen. Auch die Unterüberschrift („Informationen aus russischen Quellen entpuppen sich regelmäßig als zutreffend“) erweckt den Eindruck, die erwähnten Beispiele seien zutreffend. Denn warum sonst sollte der Redakteur sie für seine These anführen? Zudem stützt er sich auf die Meldungen, um weitere Meinungen zu äußern, etwa zu den Leopard-Panzern. Deshalb sind auch seine Relativierungen (z. B.: „Nicht alles dort stimmt“) nicht geeignet, die Beispiele als reine Gerüchte beziehungsweise Vermutungen erkennbar zu machen. Gerade bei einem so sensiblen Thema wie dem Ukraine-Krieg, über den Propaganda und viele Falschnachrichten zirkulieren, hätte es die journalistische Sorgfalt zwingend geboten, die Beispiele zu prüfen und gegebenenfalls zu kontextualisieren. So wäre es ein Leichtes gewesen, beim dritten Beispiel herauszufinden, dass bei den genannten Verhandlungen unter anderem territoriale Fragen noch nicht geklärt waren und dass die Verhandlungen über den Waffenstillstand spätestens durch die Gräueltaten von Butscha als gescheitert galten. Dass die Kolumne nicht ausdrücklich als Meinungsbeitrag gekennzeichnet wurde, stellt hingegen keine Verletzung des Pressekodex dar; ihm lässt sich keine solche Verpflichtung entnehmen. Auch eine unangemessen sensationelle Berichterstattung kann der Ausschuss nicht erkennen.

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„Diese Milchgesichter sind brutale Räuber“

„Diese Milchgesichter sind brutale Räuber“: Unter dieser Schlagzeile berichtet eine Boulevardzeitung online über die Fahndung nach zwei Jungen und einem Mädchen wegen Raubes und Körperverletzungen. Die Redaktion zeigt identifizierbare Fotos der drei. Die Polizei schätzt das Alter der Jungen auf maximal 15, das Mädchen sei höchstens 17 Jahre alt. - Der Beschwerdeführer sieht einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Die tatverdächtigen Kinder würden durch die Überschrift als verurteilte Straftäter dargestellt. - Die Zeitung beruft sich auf einen Fahndungsaufruf von Polizei und Staatsanwaltschaft. Den Jugendlichen (nicht Kindern) würden mehrere Straftaten und Verbrechen an verschiedenen Tatorten vorgeworfen. Raub und Körperverletzung seien mit der Ausübung von Gewalt verbunden. Dies rechtfertige die Bezeichnung „brutal“. Selbstverständlich habe der Verfasser vor der Veröffentlichung bei den Behörden nachgefragt. Sie hätten versichert, dass die Taten eine erhebliche Schwere hätten. Dafür spreche auch, dass es überhaupt zu einer Öffentlichkeitsfahndung kam, denn dafür bestünden besondere rechtliche Anforderungen, gerade bei Jugendlichen. Nach der Rücknahme der Fahndung habe die Redaktion die Bilder sofort verpixelt. Die Jugendlichen seien auch nicht vorverurteilt worden, denn es sei durchweg der Konjunktiv verwendet worden („sie sollen gefährliche Gewalttäter sein“, „2022 sollen sie (...) zugeschlagen haben“). Dadurch und durch die Tatsache der Fahndung werde dem objektiven Durchschnittsleser unmissverständlich vermittelt, dass die Jugendlichen noch nicht rechtskräftig verurteilt seien.

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Verwendung von Künstlicher Intelligenz muss gekennzeichnet werden

Eine Koch- und Backzeitschrift veröffentlicht in einem Extra-Heft „99 Pasta-Rezepte zum Nachkochen“ und zeigt dazu Bilder der jeweiligen Gerichte. Kennzeichnungen oder Quellennachweise enthalten die Bilder nicht. Erst durch den Bericht einer überregionalen Tageszeitung erfährt die Öffentlichkeit, dass diese Ausgabe weitgehend mit Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt wurde. - Der Beschwerdeführer kritisiert, im Magazin fehle jeder Hinweis darauf, dass die Rezepte nicht von Menschen geschrieben, die Gerichte nicht fotografiert und wohl auch nie gekocht und geschmeckt worden seien. Diese Intransparenz verletze die Pflicht zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit als oberstes Gebot der Presse (Ziffer 1 des Pressekodex). - Der Verlag hatte bereits nach Bekanntwerden des Vorgangs seine Motivation erläutert: Die Leser hätten unvoreingenommen an das Produkt herangehen sollen. Die Ergebnisse der KI seien von den Redakteuren sorgfältig geprüft und einige Rezepte auch gekocht worden. Das Heft habe sogar mehr Arbeit gemacht als eine normale Ausgabe. Man habe sehen wollen, „inwieweit KI-Tools die Arbeitsabläufe bei der Erstellung von Print- wie Digitalprodukten sinnvoll unterstützen können“. In seiner Stellungnahme zur Presseratsbeschwerde schreibt der Verlag, um diese Ausgabe des Rezeptmagazins habe sich sowohl eine interne als auch eine wichtige öffentliche Diskussion über den Umgang von Medien mit KI und den Einbau von Leitplanken entsponnen. Diesen Findungsprozess durchlaufe der Verlag derzeit mit hohem Tempo. Als Ergebnis habe man sich auf Grundsätze verständigt, die einen richtungsweisenden Beitrag auch für eine Linie des Presserats leisten könnten. In den Grundsätzen heißt es unter anderem: „Wir kennzeichnen KI dort, wo es keine abschließende menschliche Kontrolle und Qualitätssicherung gibt.“ Auf jeden Fall gelte: „Wir übernehmen die volle Verantwortung für alles, was wir produzieren - unabhängig davon, welche Werkzeuge und Technologien wir einsetzen.“ - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge wegen Verstoßes gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex aus, allerdings nur wegen der Bilder: Die fehlende Kennzeichnung als KI führt zu einer Irreführung der Leserinnen und Leser. Die Bilder könnten den Eindruck erwecken, tatsächlich zubereitete Gerichte zu zeigen, womit aus Sicht der Leserschaft auch eine Aussage über die Qualität der Rezepte selbst verbunden ist. Weil kein Unterschied zu Fotos von tatsächlich zubereiteten Gerichten zu erkennen ist, hätte die Redaktion deutlich wahrnehmbar in Bildlegende oder Bezugstext erwähnen müssen. dass es sich nur um symbolische Illustrationen handelt. Bei den Rezepten selbst liegt hingegen kein Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze vor. Denn der Pressekodex enthält in Bezug auf Texte keine Kennzeichnungspflicht.

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Pressesprecher nicht als Autor eines Zeitungsartikels kenntlich gemacht

Eine Lokalzeitung veröffentlicht ein ausführliches Interview mit dem ältesten Priester des katholischen Bistums zu seiner Person und seiner beruflichen Laufbahn. - Der Beschwerdeführer teilt mit, dass das Interview nicht von einem Redakteur der Zeitung, sondern einem Mitarbeiter der Stabsstelle Medien und Öffentlichkeit der Diözese geführt worden sei. Darüber würden die Leser aber nicht informiert. - Der Chefredakteur teilt mit, das Interview sei mit dem Namen des Pressesprechers sowie dem Kürzel „pde“ abgedruckt worden; dahinter verberge sich die Pressestelle des Bistums. Dieses Kürzel werde immer wieder von der Redaktion verwendet, es sei also eingeführt. Insofern sei das Interview gekennzeichnet. Allerdings habe er die Lokalredaktion darauf hingewiesen, dass sie hier in Zukunft mehr Transparenz walten lassen müsse. Das bloße Kürzel reiche bei einem blattprägenden Artikel wie dem beanstandeten nicht mehr aus. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus, weil hier ein schwerer Verstoß gegen Ziffer 6 des Pressekodex (Trennung von Tätigkeiten) vorliegt. Presseethisch wäre es zwingend erforderlich gewesen, die Leserschaft darüber zu informieren, dass der Autor des Beitrags nicht Mitglied der Redaktion, sondern Pressesprecher ist. Das Kürzel „pde“ ist hier nicht ausreichend, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Leser wissen, was sich dahinter verbirgt. - Der Redaktionsleiter beantragt eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil er eine mildere Maßnahme als eine Rüge für angemessen hält. Die Redaktion nehme ihren Fehler sehr ernst und werde in Zukunft auf eine Kennzeichnung achten. Zu bedenken sei auch, dass es sich bei dem Interview nicht um einen gesellschaftskritischen oder kirchenpolitischen Beitrag handele, der eine interessengeleitete Agenda transportieren könnte, sondern nur um eine „Personality-Geschichte“. - Ein anderer, mit dem Fall bisher nicht befasster Beschwerdeausschuss lehnt den Wiederaufnahmeantrag ab. Er sieht keine neuen Gegebenheiten, die eine wesentlich andere Entscheidung begründen könnten.

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Auch Fragen können Persönlichkeitsrechte verletzen

Eine Boulevardzeitung berichtet über einen jungen Mann, der in einer Kleinstadt vor seinem Haus von Anwohnern gefunden wurde und wenig später im Krankenhaus verstarb. Die Polizei stehe vor einem Rätsel, schließe aber einen Verkehrsunfall sowie direkte Gewalteinwirkung durch Dritte aus; „ein Sturzgeschehen ist wahrscheinlich“. Die Zeitung stellt dazu Fragen: „Doch wie stürzte er? Mit dem Fahrrad, das gefunden wurde? Oder ist er aus dem Fenster gestürzt? Ist deshalb der Rollladen am Haus halb abgerissen? Und wieso fällt man einfach aus dem Fenster? Haben eventuell Drogengeschäfte etwas damit zu tun? Musste [Vorname und abgekürzter Nachname] fliehen?“ Ein Anwohner habe der Zeitung berichtet, dass die Mutter des Toten ihm das Haus besorgt habe, „weil sie gehofft hatte, dass er hier von den Drogen loskommt“. Der Artikel enthält noch weitere persönliche Details, zum Beispiel, dass er adoptiert gewesen sei und in einer anderen (namentlich genannten) Stadt aufgewachsen sei. Zu dem Beitrag gehören auch Fotos vom Haus und der Straße sowie ein großes, stark verpixeltes Bild des Mannes, auf dem er mit einer Pillenkapsel in der Hand zu sehen ist. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Redaktion gegen mehrere Ziffern des Pressekodex verstoßen habe. Sie habe den Persönlichkeitsschutz verletzt, denn aus der Summe der persönlichen Angaben und Abbildungen könnten Ortskundige den Verstorbenen identifizieren. Mit der Frage nach Drogengeschäften habe sie seine Ehre und die Unschuldsvermutung verletzt. Außerdem hätte sich die Redaktion bei ihren Schilderungen zurückhalten müssen, weil der Mann vielleicht drogenkrank gewesen sei und ein Suizid nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne. Insgesamt handele es sich um eine unangemessen sensationelle Darstellung. - Die Zeitung weist alle Vorwürfe zurück. Ein Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz liege nicht vor, denn zum einen sei der Nachname des Opfers abgekürzt und sein Foto bis zur Unkenntlichkeit verpixelt worden, und zum anderen sei die Nachricht vom Tod des Mannes in dem kleinen Ort schon allgemein bekannt gewesen. Es sei keinesfalls Schutzzweck des Pressekodex, bereits bekannte Informationen „quasi zu unterdrücken“; dies liefe sonst auf eine erhebliche, vorzensurähnliche Einschränkung der Pressefreiheit hinaus. Auch eine Ehrverletzung oder Kriminalisierung liege nicht vor. Mit der Frage „Haben eventuell Drogengeschäfte etwas damit zu tun?“ werde nicht die Behauptung einer Straftat aufgestellt. Im Übrigen habe der junge Mann selber das Foto mit der Drogenkapsel in der Hand in einem Social-Media-Kanal gepostet. Auch die Richtlinien zur Zurückhaltung bei Erkrankungen und Selbsttötungen seien nicht verletzt worden. Denn es gebe keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür, dass hier überhaupt eine psychische Erkrankung oder ein Suizid vorgelegen hätten. Auch sei die Berichterstattung nicht unangemessen sensationell. Sie erwähne nur die Fakten und frage, was angesichts dieser Sachlage vorgefallen sein könnte. - Der Beschwerdeausschuss erklärt die Beschwerde für teilweise begründet und spricht eine öffentliche Rüge aus. Der Verstorbene ist zumindest für ein lokales Umfeld identifizierbar. Durch die im Artikel gestellten Fragen wird der Leserschaft suggeriert, der junge Mann sei in illegale Drogengeschäfte verwickelt gewesen, die zu dem Todessturz geführt hätten. Hierfür liegen jedoch keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen vor. Zudem berichtet die Redaktion über zahlreiche weitere persönliche Details, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Fall stehen (zum Beispiel die Adoption). Insoweit überwiegen die schutzwürdigen Interessen des Opfers das Informationsinteresse der Öffentlichkeit; deshalb liegt hier ein Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex vor. Außerdem hat die Redaktion gegen Ziffer 9 verstoßen, denn die Behauptung, dass eventuell Drogengeschäfte etwas mit dem Sturz zu tun hätten, und die damit einhergehende Suggestion, das Opfer sei in illegale Drogengeschäfte verwickelt, sind geeignet, den Mann in seiner Ehre zu verletzen. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet: Die Ausschussmitglieder können keine unangemessene Darstellung von Gewalt, Brutalität und/oder Leid erkennen.

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