Rügen für Verstöße gegen Sorgfaltspflicht und Opferschutz
Redaktion missachtet Regeln der Suizid-Berichterstattung
BILD.DE erhielt eine Rüge für einen Bericht über einen Manager, der sich das Leben genommen hatte. Unter der Überschrift „An dieser Eiche endete der Streit ums Sorgerecht” zeigte die Redaktion ein Foto des Verstorbenen, zitierte aus dessen Abschiedsbrief und beschrieb nähere Umstände des Suizids. Der Beschwerdeausschuss erkannte in dem Artikel einen schweren Verstoß gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.7 des Pressekodex, wonach die Berichterstattung über Selbsttötungen Zurückhaltung erfordert, insbesondere bezüglich der Nennung von Namen und Veröffentlichung von Fotos.
Spekulationen über Gefährlichkeit eines Taxifahrers
BILD.DE erhielt eine Rüge für einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex. Unter der Überschrift „Wie gefährlich war Ricarda Langs Taxifahrt?” zeigte die Redaktion die ehemalige Grünen-Chefin und ihren Ehemann in einem Taxi, dessen Fahrer ein grün-weiß gemustertes Tuch auf dem Kopf trägt und gab an, es handele sich um ein „Palästinensertuch“, ein „Erkennungszeichen der Israel-Feinde“. Die Kopfbedeckung nahm die Redaktion zum Anlass für Vermutungen darüber, ob der Fahrer gefährlich für die Politikerin gewesen sei, lieferte jedoch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür. Die Redaktion versäumte es zudem, den Taxifahrer mit dem Vorwurf zu konfrontieren. Neben einem Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 erkannte der Presserat auch eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes des Taxifahrers nach Ziffer 8 des Pressekodex, weil dieser auf dem Foto deutlich erkennbar wurde.
Anwältin des Solingen-Attentäters wurde erkennbar
BILD.DE erhielt eine Rüge wegen der identifizierenden Berichterstattung über die Anwältin des Attentäters, der im August auf einem Stadtfest in Solingen drei Personen mit einem Messer getötet und mehrere verletzt hatte. Unter der Überschrift „Half sie dem Solingen-Terroristen, seiner Abschiebung zu entgehen?” zeigte die Redaktion ein verpixeltes Foto der Anwältin. Nach Ansicht des Presserats wurde die Betroffene jedoch durch ihre Physiognomie und Frisur sowie weitere, im Text des Beitrags genannte Details zu ihrer Person für ein näheres Umfeld erkennbar. Da ihre anwaltliche Tätigkeit für den späteren Attentäter weit vor der Tat stattgefunden hatte und sie sich damit auch nicht strafbar gemacht hatte, überwog der Schutz ihrer Persönlichkeit das öffentliche Interesse an ihrer Identität gemäß Ziffer 8 des Pressekodex.
Details zu mutmaßlichem Missbrauchsfall berichtet
Der SOESTER ANZEIGER erhielt eine Rüge für die detaillierte Beschreibung eines mutmaßlichen Falls von sexuellem Missbrauch, der Gegenstand eines Strafprozesses war. Die Redaktion gab die Zeugenaussage eines der mutmaßlichen Opfer mit Einzelheiten zu den vorgeworfenen Missbrauchshandlungen wieder. Zudem enthielt der Beitrag zahlreiche Informationen über die Familie, was insbesondere die Opfer in ihrem Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 verletzte. Die Schilderung ging über das öffentliche Interesse hinaus und war unangemessen sensationell im Sinne von Ziffer 11 des Pressekodex. Hinzu kam ein Sorgfaltsverstoß nach Ziffer 2, da die Redaktion die Schwester des Angeklagten fälschlich als dessen Tochter bezeichnet hatte. Dies stellte sie jedoch später richtig.
Unangemessen detaillierte Berichterstattung über sexuellen Missbrauch
Die NORDWEST-ZEITUNG erhielt eine Rüge für eine unangemessen detaillierte Beschreibung eines mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs in einer Familie. Die Darstellung der näheren Umstände der Missbrauchstaten war nicht von öffentlichem Interesse, sondern unangemessen sensationell im Sinne von Ziffer 11 des Pressekodex. Zudem verletzte die Redaktion den Persönlichkeitsschutz des Opfers nach Ziffer 8, da sie das Mädchen nur unzureichend anonymisierte. Es wurde nach Ansicht des Presserats für ein näheres Umfeld erkennbar.
Redaktion spekuliert über Zwang gegen Kind
TAG24.DE erhielt eine Rüge für einen Bericht, in dem behauptet wurde, ein Kind sei vor einer Eisdiele angeleint worden. Unter der Überschrift „Angeleint am Regenrohr: Hier wartet ein Mädchen auf seine Familie“ spekulierte die Redaktion, die Fotos des Kindes von einem Dritten erhalten hatte, ob dies nur ein Spiel gewesen sei oder die Eltern ihr möglicherweise verhaltensauffälliges Kind nicht in die Eisdiele hätten mitnehmen wollen. Eine eigene Recherche zu den Hintergründen war nicht erkennbar. Nachdem die Großmutter des Mädchens der Redaktion mitgeteilt hatte, es habe sich um ein Spiel unter Geschwistern gehandelt, ergänzte sie den Beitrag entsprechend. Dies sah der Presserat jedoch nicht als ausreichend an, da der Beitrag weiterhin spekulativ blieb. Der Ausschuss erkannte massive Verstöße gegen die Wahrhaftigkeit und das Ansehen der Presse nach Ziffer 1, die Sorgfalt nach Ziffer 2, die Pflicht zur Richtigstellung nach Ziffer 3, den Ehrschutz nach Ziffer 9 sowie das Verbot der unangemessen sensationellen Berichterstattung nach Ziffer 11 des Pressekodex. Auf einem beigestellten Foto hatte die Redaktion zudem zunächst nur den Kopf des Kindes verpixelt. Da das Mädchen und damit auch dessen Familie für ein näheres Umfeld erkennbar wurden, verstieß die Darstellung auch gegen deren Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex.
Unzulässige verdeckte Recherche zu verurteiltem Straftäter
Ein freier Journalist erhielt eine nicht-öffentliche Rüge wegen unlauterer Recherchemethoden. Der Journalist recherchierte über einen Mann, der eine mehrjährige Haftstrafe wegen Betrugs verbüßt hatte. Um herauszufinden, ob dieser wieder kriminell geworden war, nahm der Journalist unter falschem Namen und mit einem gefälschten Social-Media-Profil Kontakt zu dem Betroffenen auf. Gegenüber dessen Anwältin gab er sich als Mandant aus, um schneller an einen Termin zu kommen, gab sich im Termin jedoch als Journalist zu erkennen. Nach Ziffer 4, Richtlinie 4.1 des Pressekodex sind unwahre Angaben über die Identität des Recherchierenden jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichem Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind. Dies sah der Ausschuss nicht als gegeben an. Ferner nahm der Journalist Kontakt zu einem Bekannten des Betroffenen auf und informierte diesen über mutmaßliche weitere, wohl verjährte Straftaten. Dadurch verstieß er gegen den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Pressekodex. Denn wegen der mutmaßlichen Verjährung überwog hier das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen. Zum Schutz des Betroffenen wurde eine nicht-öffentliche Rüge ausgesprochen, hier entfällt die Pflicht zur Veröffentlichung.
Nachrichtenagentur verbreitet Umfrage ohne erforderliche Angaben
Die Nachrichtenagentur AFP erhielt eine Rüge für einen Bericht über ein Ranking von Luftverkehrsunternehmen, das verschiedenen Fluglinien erhebliche Mängel bei Zuverlässigkeit und Servicequalität attestierte. Der Beitrag beruhte auf einer Erhebung eines Unternehmens, das Fluggastrechte gegen Airlines durchsetzt. Angaben zu Repräsentativität, Anzahl der Befragten, Erhebungszeitraum sowie dem Umstand, dass es sich bei den Befragten um Kundinnen und Kunden des Fluggastrechte-Portals handelte, lagen der Redaktion vor, wurden in der Agenturmeldung aber nicht veröffentlicht. Auch eine Korrektur bzw. nachträgliche Ergänzung blieb aus. Der Beschwerdeausschuss bewertete das Fehlen der Angaben als schweren Verstoß gegen Ziffer 2, Richtlinie 2.1. des Pressekodex. Danach muss die Presse bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen u.a. die Zahl der Befragten und den Zeitpunkt der Befragung angeben und mitteilen, ob die Ergebnisse repräsentativ sind.
Schätzung zur Tatsache erhoben
BILD erhielt eine Rüge wegen der Titelseiten-Schlagzeile „Bürgergeld: Jeder 10. Empfänger arbeitet schwarz“. Aus der Berichterstattung im Innenteil ergab sich, dass es sich lediglich um eine Schätzung eines Professors handelte. Der Beschwerdeausschuss erkannte hierin einen massiven Sorgfaltsverstoß nach Ziffer 2 des Pressekodex, da durch die Formulierung der Schlagzeile ohne Distanzierung eine Schätzung zur Tatsache erhoben wurde und dies für den Teil der Leserschaft, welcher nur die Titelseite zur Kenntnis nahm, nicht erkennbar war.
Redaktion führt Leser mit Clickbaiting-Überschrift in die Irre
Wegen einer irreführenden Überschrift, die der Presserat als Clickbaiting einordnete, erhielt DERWESTEN.DE eine Rüge. Das Online-Portal veröffentlichte einen Beitrag mit dem Titel „Kaufland kann es nicht schönreden – Beliebter Pizza-Hersteller wird deutlich: ‚Wir schließen‘“. Nach Auffassung des Presserats impliziert die Überschrift, dass ein großer Lebensmittel- und Tiefkühlpizza-Hersteller seine Werke oder sogar seine gesamte Produktion schließt. In Wahrheit hatte der Konzern nur angekündigt, einen seiner Social-Media-Kanäle zeitweise zu schließen. Die Redaktion hat damit gegen das Gebot der Wahrhaftigkeit nach Ziffer 1 und gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex verstoßen. Der Verstoß wiegt umso schwerer, als dass die Überschrift unter Lesern die Sorge verbreiten könnte, dass Arbeitsplätze in Gefahr sind.
Fotos von Mordopfer gezeigt
BILD.DE wurde gerügt für einen Artikel unter der Überschrift „Pürierstab-Killer ging eiskalt und ‚extrem technisch‘ vor“. Der Beitrag beschäftigte sich mit dem Mord an einer ehemaligen „Miss Schweiz“-Finalistin. Ihrem Ehemann wird vorgeworfen, sie getötet, ihre Leiche zerstückelt und Teile davon mit einem Pürierstab zerkleinert zu haben. Die Redaktion veröffentlichte diverse Fotos des Opfers und nannte dessen Vornamen, den abgekürzten Nachnamen und das Alter. Der Presserat erkannte in der identifizierenden Darstellung der Frau einen schweren Verstoß gegen den Opferschutz nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex. Sie war keine Person des öffentlichen Lebens, da ihre Teilnahme an der Miss-Wahl bereits über 15 Jahre zurückliegt.
Opfer und dessen Angehörige erkennbar abgebildet
BILD.DE wurde gerügt für einen Bericht über ein Tötungsdelikt im Westerwald. Unter der Überschrift „Sohn (37) löscht neue Familie des Vaters aus“ zeigte die Redaktion u.a. Fotos des Opfers und zwei weitere Personen, die offenbar von der Tat betroffen waren. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Veröffentlichung der Fotos legte die Redaktion nicht vor. Gemäß Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex ist die Identität von Opfern für das Verständnis des Tathergangs in der Regel unerheblich. Fotos dürfen nur veröffentlicht werden, wenn das Opfer selbst bzw. Angehörige zugestimmt haben.
„Verlagsangebot in Kooperation mit…“ als Bezeichnung für Fremd-Inhalte irreführend
Wegen eines schweren Verstoßes gegen das Gebot der Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten nach Ziffer 7 des Pressekodex wurde HANDELSBLATT.COM gerügt. Das Medium hatte Rankings zu elektronischen Geräten veröffentlicht und als „Verlagsangebot in Kooperation mit“ einer genannten Webseite gekennzeichnet. Unter den Tests war ein „Impressum“ verlinkt, das zu einer Seite von HANDELSBLATT.COM führte. Als Verantwortlicher wurde eine Firma genannt, die gegen Bezahlung durch andere Unternehmen Tests von deren Produkten durchführt. In den Teasern zu den Rankings hieß es, ein namentlich genannter Experte habe mit dem Team des Handelsblatts die Geräte geprüft bzw. die Testergebnisse seien „in Kooperation” mit dem Handelsblatt entstanden. Gemäß der Stellungnahme des Verlags gegenüber dem Presserat handelt es sich damit um Inhalte Dritter, die nicht von der Redaktion stammen. Als solche hätten sie jedoch eindeutig gekennzeichnet werden müssen. In der vorliegenden Form entstand hingegen der Eindruck einer – an journalistischen Standards zu messenden – redaktionellen Sonderveröffentlichung.
Schleichwerbung für Expeditions-Truck
Einen schweren Verstoß gegen das Gebot zur Trennung von werblichen und redaktionellen Inhalten nach Ziffer 7 des Pressekodex stellte der Beschwerdeausschuss bei einem Artikel unter der Überschrift „Auf den ist Verlass“ in OFF ROAD fest. Das Magazin befasste sich mit einem Truck eines im Beitrag genannten Fahrzeugbau-Spezialisten. Der Verlag hatte gegenüber dem Presserat angegeben, für den Artikel eine Pressemitteilung überarbeitet zu haben. Überschrift, Artikeltext und Bildunterschriften waren in werblicher Sprache gehalten und enthielten detaillierte Kontaktinformationen des Fahrzeugbauers. Der Presserat sah daher das Gebot zur besonderen Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material nach Richtlinie 7.2 des Pressekodex als verletzt und die Grenze zur Schleichwerbung als deutlich überschritten an.
Produkttest gerät zu Werbung für den Testsieger
Die Grenze zur Schleichwerbung überschritt ein Produkttest unter der Überschrift „Endlich Schluss mit Falten“ in DIE2. Während die Produkte auf Platz 2 und 3 des Tests nur kurze Erwähnung fanden, beschrieb das Magazin die Testsieger-Creme auf über der Hälfte des Artikel-Umfangs in werblicher Sprache und präsentierte sie in einer Grafik mit dem Titel „So reduzieren Sie die Hautalterung durch die regelmäßige Nutzung von [Produktname]“. Die Redaktion enthielt der Leserschaft zudem wichtige Kriterien zur Einordnung der Qualität des Tests vor. Der Beschwerdeausschuss sah in der Veröffentlichung einen schweren Verstoß gegen das Gebot zur Trennung von werblichen und redaktionellen Inhalten nach Ziffer 7 des Pressekodex.
Statistik:
14 öffentliche Rügen, eine nicht-öffentliche Rüge, 21 Missbilligungen und 28 Hinweise. 35 Beschwerden erachtete der Presserat als unbegründet. Vier Beschwerden waren begründet, es wurde aber auf eine Maßnahme verzichtet. Bei 14 Beschwerden handelte es sich um Wiederaufnahmen bzw. Einsprüche. Insgesamt behandelte der Presserat 117 Beschwerden.