Presserat rügt irreführende Überschriften und Verletzungen des Opferschutzes
Der Deutsche Presserat hat auf seinen Sitzungen vom 6. bis 8. Dezember 10 Rügen ausgesprochen.
Irreführende Überschrift über angebliche Trennung
Für einen schweren Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex wurde INTOUCH.WUNDERWEIB.DE gerügt. Das Portal hatte unter der Überschrift „Jan Josef Liefers und Anna Loos: Traurige Trennung! Jetzt wird alles anders“ über den Auszug von deren gemeinsamer Tochter aus dem Elternhaus berichtet. Überschrift und Teaser erweckten jedoch den Eindruck, dass sich das Schauspieler-Ehepaar selbst getrennt habe. Darin sah der Presserat Clickbaiting und eine schwerwiegende Irreführung der Leserschaft.
Sexualisierendes Symbolbild bei Bericht über Vergewaltigung
Die Online-Ausgabe der STUTTGARTER ZEITUNG erhielt eine Rüge für die Verwendung eines sexualisierenden Symbolbildes im Rahmen der Berichterstattung über eine polizeiliche Fahndung nach einer Vergewaltigung. In dem Beitrag mit dem Titel „Unbekannter vergewaltigt Prostituierte in Auto“ hatte die Redaktion ein Symbolbild veröffentlicht, auf dem in einem Autorückspiegel der Torso und Po einer Frau in Korsage und Hotpants zu sehen war. Der restliche Körper war nicht zu sehen. Der Presserat sah in der Betonung sexuell konnotierter Körperteile in Zusammenhang mit der Berichterstattung über eine Vergewaltigung eine Verschiebung der Schuld von Tat und Täter auf das Opfer. Dies verstößt gegen die Menschenwürde und das Ansehen der Presse nach Ziffer 1 des Pressekodex.
Foto von Opfer eines Tötungsdelikts veröffentlicht
BILD.DE erhielt eine Rüge wegen der Berichterstattung über eine Frau, die von ihrem Ex-Freund im Supermarkt erschossen worden war. Der Beitrag unter der Überschrift „Die Sehnsucht nach Liebe war ihr Tod“ enthielt ein unverpixeltes Porträtfoto des Opfers sowie ein Foto von dessen Wohnhaus. Im Artikel wurde auch der Wohnort genannt. Die identifizierende Berichterstattung über das Opfer bewertete der Beschwerdeausschuss als schweren Verstoß gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex. Danach ist die Identität von Opfern besonders zu schützen. Fotos können nur dann veröffentlicht werden, wenn eine Einwilligung der Angehörigen vorliegt, was hier offenbar nicht der Fall war.
Identifizierende Berichterstattung über Gewalt beim CSD
BILD AM SONNTAG und BILD.DE erhielten eine Rüge für die Berichterstattung über die Tötung eines Teilnehmers des Christopher Street Day in Münster. In der gedruckten Ausgabe lautete die Überschrift „Hier läuft der Boxer zum Richter“, online sprach die Redaktion von einem „Homophoben CSD-Killer in U-Haft“. Beide Beiträge nannten den Vornamen und abgekürzten Nachnamen des Opfers und zeigten es mit Bild. Dies bewertete der Beschwerdeausschuss als schweren Verstoß gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex, wonach die Identität von Opfern besonders zu schützen ist. Eine Einwilligung der Angehörigen fehlte. Zudem verstieß die Darstellung des Tatverdächtigen gegen Richtlinie 8.1, da dessen Foto zwar mit einem Augenbalken versehen war, er aber durch die Nennung seines Vornamens und abgekürzten Nachnamens sowie weiterer Angaben zu seiner Person identifizierbar wurde. Ein öffentliches Interesse an der identifizierenden Darstellung bestand mit Blick auf den Verfahrenstand aber nicht. Die Bezeichnung des Tatverdächtigen als „CSD-Killer“ verstieß zudem gegen Ziffer 13, Richtlinie 13.1. des Pressekodex, da sie nach Auffassung des Ausschusses Schuld und Tötungsvorsatz vorwegnahm.
Identifizierende Berichterstattung über Mordprozess
BILD.DE erhielt eine Rüge für die Berichterstattung über einen Strafprozess gegen einen Mann, der seine Lebensgefährtin getötet haben soll. Unter der Überschrift „Plötzlich rammte Merhawi (35) ihr das Messer in den Hals“ veröffentlichte die Redaktion ein Familienfoto, auf dem das Gesicht des späteren Opfers unverpixelt und der Tatverdächtige lediglich mit einem Augenbalken versehen war. Opfer und Täter wurden zudem mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen genannt. Da eine Einwilligung der Angehörigen nicht vorlag, verstieß die identifizierende Darstellung gegen den Opferschutz nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex. Mit Blick auf Richtlinie 8.1 hätte die Redaktion auch den mutmaßlichen Täter ausreichend anonymisieren müssen. Zwar war davon auszugehen, dass er eine schwere Straftat begangen hatte, es bestanden aber konkrete Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit. Laut dem Artikel ging die Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt der Berichterstattung davon aus, dass der Verdächtige wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht voll schuldfähig sei.
Geschäftsführerin nicht ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt
Die BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG erhielt eine Rüge, weil sie einer Betroffenen nicht ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte. Unter dem Titel „Dicke Luft in der Autostadt Wolfsburg“ berichtete die Redaktion über Gerüchte um eine mögliche Abberufung einer Geschäftsführerin des Freizeitparks Autostadt Wolfsburg. Die Redaktion gab an, alle Beteiligten um Stellungnahme dazu gebeten zu haben, die Geschäftsführerin sei aber kurzfristig nicht erreichbar gewesen. Der Presserat sah darin einen schweren Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Mit Blick auf die im Beitrag geäußerte massive Kritik hätte die Redaktion sich intensiver um eine Stellungnahme der Betroffenen bemühen müssen.
Persönlichkeitsschutz einer psychisch Kranken verletzt
SUEDKURIER.DE wurde gerügt für einen Artikel unter der Überschrift „Nackte Frau rennt durch Singener Innenstadt: Das steckt dahinter.“ Eine nackte Frau war durch die Innenstadt gelaufen und dabei von zwei Passanten gefilmt worden. Drei Standbilder aus diesen Videos waren in dem Artikel enthalten. Eine Polizeisprecherin wurde mit den Worten zitiert, dass die Frau sich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe und in eine Fachklinik gebracht worden sei. Der Presserat sah in den Fotoveröffentlichungen eine Verletzung der Menschenwürde und des Persönlichkeitsschutzes einer psychisch Kranken sowie eine unangemessene sensationelle Berichterstattung und damit Verstöße gegen die Ziffern 1, 8 und 11 des Pressekodex.
Grobe Irreführung der Leserschaft
Eine schwere Verletzung des Wahrhaftigkeitsgebots und der Sorgfaltspflicht nach Ziffer 1 und 2 des Pressekodex erkannte der Presserat in dem Beitrag unter dem Titel „Trauriges Aus! Gleich 4 TV-Sender werden eingestellt“ auf WUNDERWEIB.DE. Die Veröffentlichung erweckte den falschen Eindruck, dass die vier TV-Sender Phoenix, Arte, One und Tagesschau24 komplett abgeschaltet würden. Dabei wurde deren Ausstrahlung lediglich von SD- auf HD-Empfang umgestellt. Der Presserat sah in der Darstellung eine grobe Irreführung der Leserschaft und eine Gefährdung des Ansehens der Presse.
Eigeninteresse des Verlags nicht offengelegt
DIE ZEIT erhielt eine Rüge für ein Interview mit der Chefin eines Kreuzfahrt-Veranstalters. Unter der Überschrift „‘Verzicht macht die Welt nicht besser‘“ wurde sie unter anderem zu Reisen und Klimaschutz befragt. Zu dem Kreuzfahrt-Unternehmen gehört ein weiterer Veranstalter von Kreuzfahrten, mit dem der Verlag zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gemeinsam eine „Seereise Brasilien“ angeboten hatte. Darauf hatte DIE ZEIT jedoch nicht hingewiesen. Nach Auffassung des Beschwerdeausschusses verstößt dies gegen Ziffer 7 des Pressekodex, wonach Redaktionen bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlags betreffen, dieses erkennbar machen müssen.
Affiliate-Links zum Online-Shop einer Autorin
STERN.DE erhielt eine Rüge für einen Beitrag über alkoholfreien Sekt. Unter der Überschrift „Null Promille: Dieser alkoholfreie Sekt beweist, dass die Nullprozentigen nicht mehr nur Kinderkram sind“ gab die Redaktion einer „Expertin“ und Mitgründerin eines namentlich genannten Online-Versands für alkoholfreie Getränke Raum, drei Produkte im Detail vorzustellen. Die Produkte waren mit Affiliate-Links versehen und mit einem Einkaufswagen-Symbol gekennzeichnet. Die Links führten auf das jeweilige Produkt im Shop des Online-Versands. Das Setzen der Links zum Shop der Autorin verstößt in schwerer Weise gegen die Pflicht zur Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten gemäß Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex.
Keine Rüge: Lokalzeitung darf kursierende WhatsApp-Nachrichten veröffentlichen
Der Presserat bewertete eine Beschwerde gegen eine Lokalzeitung, die den Text zweier in der Stadt kursierender WhatsApp-Nachrichten abgedruckt hatte, als unbegründet. Die Redaktion hatte einen Aufruf der Polizei veröffentlicht, in dem Zeugen einer versuchten Vergewaltigung gesucht wurden. Hierbei hatte sie auch zwei WhatsApp-Nachrichten abgedruckt, die über den Vorfall informierten. Diese stammten erkennbar von einer Nachbarin des Opfers, enthielten aber keine weiteren personenbezogenen Daten. Die Veröffentlichung hielt der Presserat für zulässig, da die Absenderin für die Öffentlichkeit nicht erkennbar wurde. Die mögliche Identifizierbarkeit durch ihr nächstes Umfeld und das Opfer hatte die Absenderin dagegen hinzunehmen, da sie bei Versendung der Nachrichten an mehrere Personen damit rechnen musste, dass diese geteilt werden und so auch das nähere Umfeld – insbesondere das Vergewaltigungsopfer – hiervon erfuhr. Ein Verstoß gegen den Daten- bzw. den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex lag daher nicht vor.
Statistik
Die Ergebnisse: 10 öffentliche Rügen, 21 Missbilligungen und 19 Hinweise. 48 Beschwerden wurden als unbegründet erachtet, 6 Beschwerden waren begründet, es wurde aber auf eine Maßnahme verzichtet. Insgesamt behandelt wurden 118 Beschwerden. 14 davon wurden vertagt bzw. es wurden Einsprüche gegen sie angenommen bzw. abgelehnt.
Den aktuellen Stand der Rügen-Veröffentlichungen aus den vergangenen Sitzungen können Sie hier einsehen:
https://www.presserat.de/ruegen-presse-uebersicht.html#2022
Zum Pressekodex:
http://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/