Presserat rügt Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht und den Opferschutz
Der Deutsche Presserat hat zwischen dem 21. und 23. März 17 Rügen ausgesprochen.
Handyvideo von Gewalttat unter Minderjährigen
FOCUS.DE wurde gerügt für einen Bericht über eine Gewalttat unter Jugendlichen. Die Redaktion veröffentlichte Ausschnitte eines Handyvideos, in dem zwei 13-Jährige auf eine 14-Jährige eintraten. Der Presserat kritisierte, dass das minderjährige Opfer durch das Zeigen des Videos erneut zum Opfer gemacht wurde. Er sah darin eine unangemessen sensationelle Darstellung und einen Verstoß gegen den Jugendschutz nach Ziffer 11 sowie gegen die Menschenwürde des Opfers und das Ansehen der Presse nach Ziffer 1 des Pressekodex.
Redaktion ließ Kläger über eigenes Gerichtsverfahren schreiben
Die VOLKSSTIMME wurde wegen eines schweren Verstoßes gegen die journalistische Sorgfaltspflicht gemäß Ziffer 2 des Pressekodex und eines Verstoßes gegen die in Ziffer 6 geforderte Trennung von Tätigkeiten gerügt. Ein freier Mitarbeiter der Zeitung hatte unter geändertem Namen über ein Gerichtsverfahren berichtet, an dem er als Kläger beteiligt war. Die Redaktion hatte später in einer Kolumne unter der Überschrift „Die Transparenz im Journalismus“ den Vorgang öffentlich gemacht, u.a. mit dem Hinweis, der Redaktion sei der Interessenkonflikt nicht bekannt gewesen. Dabei lagen Nachweise vor, dass der Mitarbeiter die Redaktion im Voraus auf seinen Interessenkonflikt hingewiesen hatte.
Einseitige Vorwürfe gegen Gewerkschaftsfunktionär
Die Online-Ausgabe der BERLINER ZEITUNG wurde wegen eines Beitrags innerhalb eines Live-Tickers über den 1. Mai 2022 gerügt. In diesem zitierte die Redaktion sehr ausführlich die schweren Vorwürfe, die auf einer linksradikalen Plattform gegen einen namentlich genannten Gewerkschaftsfunktionär geäußert wurden. Die Vorwürfe wurden für die Leserschaft weder eingeordnet, noch wurde der Betroffene selbst dazu gehört. Der Presserat sah darin einen schweren Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex.
Redaktion unterstellte Klimaaktivsten Antisemitismus
BILD.DE erhielt für einen Bericht unter der Überschrift „Klima-Chaoten wollen Auslöschung Israels“ sowie einen Folgeartikel eine Rüge wegen eines Verstoßes gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex. Während einer Hörsaalbesetzung von Klimaaktivisten in der Frankfurter Universität hatte eine Person israelfeindliche Flyer verteilt. Diese Aktion rechnete die Redaktion jedoch fälschlicherweise den Klimaaktivisten zu und unterstellte ihnen, sie forderten die Auslöschung Israels. Dies verstößt gegen die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit nach Ziffer 1 des Pressekodex.
Vorzeitiger Nachruf auf den emeritierten Papst
Der Presserat rügte TAZ.DE für die frühzeitige Veröffentlichung eines Nachrufs auf den verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. Die Redaktion hatte den Nachruf bereits vor dessen Tod online gestellt. Der Presserat sah in der Tatsache, dass die Redaktion einen noch Lebenden für tot erklärt, einen schweren Sorgfaltspflichtverstoß nach Ziffer 2 des Pressekodex - auch wenn es sich offenbar um ein redaktionelles Versehen handelte und der Artikel zügig gelöscht wurde.
Formulierungen verherrlichen den Zweiten Weltkrieg
Das TRAUNSTEINER TAGBLATT erhielt eine Rüge für den Bericht „Den Ruhpoldinger Soldaten ein Denkmal gesetzt“ wegen eines Verstoßes gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex. Die Redaktion hatte Erinnerungen und Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gesammelt und dabei nationalsozialistische und kriegsverherrlichende Formulierungen veröffentlicht. Eine ausreichende Distanzierung der Redaktion fand nicht statt. Dies ist nach Ansicht des Presserats mit dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Presse nicht vereinbar. Ein in einer späteren Ausgabe erfolgter Hinweis der Redaktion war aus Sicht des Presserats zu unspezifisch und nicht ausreichend in Anbetracht des presseethischen Verstoßes.
Politikerin unbelegt als „Autohasserin” bezeichnet
Eine Verletzung der Ziffern 2 und 9 des Pressekodex sah der Presserat in der Berichterstattung von BILD und BILD.DE über die stellvertretende niedersächsische Ministerpräsidentin Julia Willie Hamburg und ihre Position als Mitglied des Aufsichtsrats bei VW. Die Politikerin wurde in den Überschriften von zwei Artikeln als „Autohasserin“ tituliert. Der Presserat sah in dieser Bezeichnung, für die keine hinreichenden Belege geliefert wurden, eine ehrverletzende Darstellung, mit der Hamburg in Misskredit gebracht wurde, und sprach eine Rüge aus.
Getötete Mutter eines Geiselnehmers war identifizierbar
BILD.DE erhielt eine Rüge für einen Verstoß gegen den Opferschutz nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex. Die Redaktion hatte unter der Überschrift „David W. erschlug seine Mutter“ über einen Geiselnehmer berichtet, der vor der Geiselnahme in der Dresdner Innenstadt seine Mutter getötet hatte. In den Bericht war ein unverpixeltes Foto des Opfers eingebettet. Nach Richtlinie 8.2 ist die Identität von Opfern jedoch besonders zu schützen. Eine Einwilligung für eine identifizierbare Abbildung konnte die Redaktion nicht vorlegen.
Zustimmung des Cousins zur Verwendung eines Opferfotos reichte nicht aus
BILD und BILD.DE erhielten eine weitere Rüge für einen Verstoß gegen den Opferschutz. Die Redaktion hatte in mehreren Artikeln über ein Tötungsdelikt in Nürnberg berichtet und dabei mehrfach das unverpixelte Foto des Opfers gezeigt. Die Identität von Opfern muss laut Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex jedoch besonders geschützt werden. Die für eine identifizierbare Berichterstattung notwendige Einwilligung eines nahen Angehörigen konnte die Redaktion nicht vorlegen, lediglich die eines Cousins.
Getötete Lehrerin identifizierend dargestellt
Eine Rüge erteilte der Presserat BILD und BILD.DE für die Berichterstattung „Nach der 8. Stunde erstach Sinan (17) seine Lehrerin“. Die Redaktion berichtete, dass ein Schüler seine Lehrerin getötet hatte. Die Berichterstattung enthielt ein unverpixeltes Bild der Lehrerin. Auch hier wurde der Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 in Verbindung mit dem Opferschutz nach Richtlinie 8.2 verletzt. Das Wissen um die Identität des Opfers ist in der Regel unerheblich. Eine Einwilligung der Angehörigen lag nicht vor, es handelte sich auch nicht um eine Person des öffentlichen Lebens.
Täter und Opfer erkennbar dargestellt
BILD und BILD.DE wurden gerügt für die Berichterstattung über Frauen, die von ihren Männern getötet wurden. U.a. unter der Schlagzeile „Milena gestalkt… und mit 41 Messerstichen niedergemetzelt“ zeigte die Redaktion das Porträt des Opfers, für das offenbar keine Einwilligung der Angehörigen vorlag. Neben dieser Verletzung des Opferschutzes nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 verstieß die Redaktion auch gegen den Persönlichkeitsschutz eines Tatverdächtigen nach Richtlinie 8.1 des Pressekodex. Sie hatte dessen Bild nicht hinreichend anonymisiert, sodass er für einen erweiterten Personenkreis erkennbar wurde.
Foto von der Homepage eines Bestatters übernommen
BILD.DE wurde gerügt für eine schwere Verletzung des Opferschutzes nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex. Unter der Überschrift „Verrät ihr Handy den Täter?“ zeigte die Redaktion das Foto einer jungen Frau, die in ihrer eigenen Wohnung getötet worden war. Das Bild stammte von der Gedenkseite eines Bestattungsunternehmens. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Veröffentlichung bei BILD.DE lag offenbar nicht vor.
Vorverurteilung eines Basketball-Profis
Gerügt für eine vorverurteilende Überschrift wurde BILD.DE. Die Redaktion hatte unter dem Titel „NBA-Profi (19) zog sich mehrfach vor Psychologin aus“ über die Vorwürfe gegen einen amerikanischen Basketball-Profi berichtet, er habe eine Team-Psychologin sexuell belästigt. In der Überschrift wurde ein Verdacht als Tatsachenbehauptung formuliert und damit gegen Ziffer 13 des Pressekodex verstoßen.
Schleichwerbung für Therapeutin
Wegen Schleichwerbung gerügt wurde die Online-Ausgabe des NORDKURIER. Unter dem Titel „Therapeutin setzt auf Selbstheilungskräfte“ berichtete die Redaktion über eine Therapeutin und ihre seit 2020 bestehende Praxis. Ihr Behandlungsspektrum wurde vorgestellt, und sie kam in der Berichterstattung ausführlich zu Wort. Am Ende des Artikels wurden ihre Telefonnummer und zwei Webadressen veröffentlicht. Eine solche Hervorhebung einer einzelnen Praxis ist nicht durch ein öffentliches Interesse gedeckt und stellt Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex dar.
Productplacement für Automarke
Die Grenze zur Schleichwerbung überschritt auch ein Artikel unter der Überschrift „24 Stunden 4 Stationen“ in der Zeitschrift GAULT & MILLAU. In dem Beitrag wurde eine Tagestour des Mitherausgebers des Magazins mit einem BMW i7 durch Südtirol und der Besuch eines Hotels, eines Weinguts und zweier Restaurants geschildert. Dabei wurde im Text und mit Foto auch der BMW vorgestellt und positiv beschrieben. Der Presserat sah in dieser Präsentation des Fahrzeuges Productplacement und sprach eine Rüge aus.
Artikel über Lotterie hätte als Anzeige gekennzeichnet werden müssen
EXPRESS.DE wurde gerügt für einen Artikel unter dem Titel „Millionenkracher 2022 zurück“, der sich mit einem Angebot eines Lotterieanbieters beschäftigte. Der Presserat sah in der sprachlichen Gestaltung einen eindeutig werblichen Charakter des Beitrags, aufgrund dessen eine Kennzeichnung als Anzeige notwendig gewesen wäre. Diese wurde jedoch nicht vorgenommen, sodass eine Verletzung der Ziffer 7, Richtlinie 7.1 Pressekodex vorlag.
Werblicher und unkritischer Artikel über Homöopathie
Die Zeitschrift CLOSER wurde wegen Schleichwerbung nach Ziffer 7 und übertrieben sensationeller Medizin-Berichterstattung nach Ziffer 14 des Pressekodex gerügt. Unter der Überschrift „Homöopathische Festtags-Apotheke“ hatte die Redaktion homöopathische Wirkstoffe gegen Beschwerden empfohlen. Dabei ließ sie jede journalistische Distanz zur wissenschaftlich nicht belegten Wirksamkeit der Mittel vermissen. Im Ergebnis war die Berichterstattung geeignet, bei der Leserschaft unbegründete Hoffnungen im Sinne von Ziffer 14 zu wecken. Die Nennung eines einzelnen Anbieters der beschriebenen Mittel überschritt zudem die Grenze zur Schleichwerbung gemäß Richtlinie 7.2 des Pressekodex.
Statistik:
17 öffentliche Rügen, 32 Missbilligungen und 30 Hinweise. 65 Beschwerden wurden als unbegründet erachtet, 8 Beschwerden waren begründet, es wurde aber auf eine Maßnahme verzichtet. Insgesamt behandelt wurden 160 Beschwerden. Bei 8 Beschwerden handelte es sich um Einsprüche und Wideraufnahmen.
Eine Liste der aktuellen Rügen finden Sie auf unserer Homepage:
https://www.presserat.de/ruegen-presse-uebersicht.html#2023
Den aktuellen Stand der Rügen-Veröffentlichungen aus den vergangenen Sitzungen können Sie hier einsehen: https://www.presserat.de/ruegen-presse-uebersicht.html#2022
Zum Pressekodex:
https://www.presserat.de/pressekodex.html