Mehr Schutz für Opfer
Der Deutsche Presserat tagte am 14., 15. und 16.09.2010 in Berlin und sprach insgesamt sieben Rügen aus.
Die SÄCHSISCHE ZEITUNG berichtete über Ermittlungen zum Tod eines jungen Mädchens, dessen Leiche mit einbetonierten Füßen in einem Gewässer gefunden wurde. Die Mordkommission muss klären, ob die Tote Opfer eines Mordes ist oder bei einem Unfall im Laufe sexueller Aktivitäten starb, wie ein Tatverdächtiger behauptete. Die Zeitung schrieb, der Fall dürfte für die Ermittler „...schon jetzt der Fall mit dem meisten Sexappeal sein“. Die Zeitung nannte den abgekürzten Namen und druckte ein gepixeltes Bild des Mädchens. Darauf blieb es wegen besonderer äußerer Merkmale dennoch für einen nicht unbedeutenden Personenkreis erkennbar. Der Beschwerdeausschuss hielt Teile der Formulierungen für zynisch und sah darin einen Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen. Er sprach eine nicht-öffentliche Rüge aus.
Ziffer 8, Richtlinie 8.1 Absatz 2
Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf den besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen gerechtfertigt sein.
Diesen besonderen Opferschutz hatte die Redaktion nicht walten lassen. Der Bericht war auch nicht durch ein überwiegendes öffentliches Interesse an dem Fall gedeckt.
Die Online-Ausgabe der NORDWEST-ZEITUNG erhielt eine nicht-öffentliche Rüge für die Berichterstattung über ein Familiendrama. In dessen Verlauf tötete der Familienvater seine zwei Kinder und seine Frau. Der Bericht enthielt Fotos der beiden minderjährigen Opfer sowie der Eltern. Somit wurden alle drei Opfer sowie der Täter identifizierbar. Zusätzlich wurde auch das Haus der Familie abgebildet, zudem wurde der Straßenname genannt. All diese Details gingen nach Auffassung des Beschwerdeausschusses über das öffentliche Interesse hinaus und verletzten die Ziffer 8, insbesondere Richtlinie 8.1 des Pressekodex.
Eine öffentliche Rüge sprach das Gremium für die Berichterstattung von WELT-Online über einen Vergewaltigungsprozess aus. Darin wurde das Tatopfer, eine junge Frau, mit vollständigem Namen und ihrem Alter genannt. Ort des Geschehens war eine Party, an der prominente Bundesliga-Fußballer teilnahmen, die später auch im Prozess als Zeugen vernommen wurden. Inzwischen wird nur noch der abgekürzte Name des Opfers in der Berichterstattung verwendet. Die Anonymisierung fand jedoch erst nach etwa zwanzig Tagen und auf einen nachdrücklichen Hinweis des Strafgerichts an den Redakteur Eingang in die Berichterstattung. Die Prominenz des Gastgebers und der anderen Partygäste begründete kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Identität des Opfers, entschied der Ausschuss. Die Verletzung der Opferrechte wog trotz späterer Korrektur so schwer, dass eine Rüge angemessen ist.
BRAVO GiRL! erhielt eine öffentliche Rüge für einen Artikel über die Selbsttötung einer 15-jährigen Schülerin in den USA. Das Mädchen, das von seinen Mitschülern gemobbt wurde, hatte sich zu Hause erhängt. Die Jugendzeitschrift schilderte in dem Betrag den Suizid so minutiös, als sei sie selbst Augenzeuge gewesen. So hieß es u.a. „Vorsichtig bindet sie ihn zu einer Schlinge. Ihre schmalen Finger zittern“. Durch diese Art der Darstellung wurde die in Ziffer 8, RL. 8.5 geforderte Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Suizide grob missachtet.
Richtlinie 8.5 – Selbsttötung
Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt.
Mit Formulierungen wie „Phoebe wollte sterben, weil sie zu hübsch war“ emotionalisierte die Redaktion den Suizid zudem so stark, dass der Beschwerdeausschuss eine unangemessen sensationelle Darstellung nach Ziffer 11 feststellte.
Ziffer 11 - Sensationsberichterstattung, Jugendschutz
Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.
Die FERNSEHWOCHE wurde gerügt für die Veröffentlichung einer Anzeige für ein medizinisches Präparat. Die Werbung war in Form eines redaktionellen Beitrages gestaltet. Es bestand Verwechslungsgefahr mit einem redaktionellen Artikel. Die in Richtlinie 7.1 geforderte klare Abgrenzung zwischen Redaktion und Werbung war somit nicht gegeben.
Richtlinie 7.1 – Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen
Bezahlte Veröffentlichungen müssen so gestaltet sein, dass sie als Werbung für den Leser erkennbar sind. Die Abgrenzung vom redaktionellen Teil kann durch Kennzeichnung und/oder Gestaltung erfolgen. Im Übrigen gelten die werberechtlichen Regelungen.
Das KICKER WM-Sonderheft 2010 enthielt Mannschaftsfotos der an der Fußball WM-Endrunde teilnehmenden 32 Mannschaften. Auf den Fotos der von Puma ausgerüsteten Teams, insgesamt sieben, war in vier Fällen der Schriftzug „Puma“ zu lesen. Die anderen drei Bilder enthielten grafische Elemente, die auch in einer Anzeige des Ausrüsters enthalten waren. Im Namenszug und in den grafischen Elementen erkannte der Ausschuss Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 und sprach ebenfalls eine öffentliche Rüge aus.
Richtlinie 7.2 – Schleichwerbung
Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird.
Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material.
Insgesamt wurden in den drei Beschwerdeausschüssen 126 Beschwerden behandelt. Neben den fünf öffentlichen und zwei nicht-öffentlichen Rügen gab es 27 Missbilligungen und 22 Hinweise. In 56 Fällen wurden die Beschwerden als unbegründet erachtet. In neun Fällen wurde die Beschwerde als begründet angesehen, auf eine Maßnahme wurde verzichtet. In fünf Fällen gab es mehrere Beschwerdeführer gegen eine Publikation, die Maßnahme wird jedoch nur einmal gezählt.