Deutlich mehr Beschwerden in unsicheren Zeiten
Der Presserat war im vergangenen Jahr so gefragt wie nie zu vor. In der besonderen Pandemie-Situation hat sich die Freiwillige Selbstkontrolle als Anlaufstelle für Leserinnen und Leser bewährt. Die Bilanz unseres Sprechers Sascha Borowski.
Gerade in Krisenzeiten ist der Deutsche Presserat ein gefragter Ansprechpartner - das zeigen die auf Rekordniveau gestiegenen Beschwerden. In der pandemiebedingten Ausnahmesituation wünschten sich Leserinnen und Leser klare und verlässliche Fakten und wandten sich besonders häufig an den Presserat, wenn sie am Wahrheitsgehalt der Berichterstattung zweifelten.
Ihre Kritik richtete sich etwa gegen die in den Medien genannten Infektionszahlen, unterschiedliche Szenarien zur Sterblichkeit, aber auch gegen Berichte, die über die Beweggründe von Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen informierten.
Der prominenteste Fall bezog sich auf eine Satire
Die Mehrzahl dieser Vorwürfe konnte der Presserat entkräften und bestätigte damit, dass die an den Pressekodex gebundenen Medien sich überwiegend an die Sorgfaltspflicht halten bzw. Fehler zügig und nachvollziehbar korrigieren. Auch machte der Presserat deutlich, dass er nicht beurteilt, ob eine Meinung „richtig” oder „falsch” ist.
Der wohl prominenteste Fall des vergangenen Jahres bezog sich allerdings nicht auf die Pandemie, sondern hatte eine Satire zum Gegenstand. Die umstrittene Kolumne mit dem Titel „All cops are berufsunfähig” in der taz zog so viele Beschwerden nach sich wie kein anderer Artikel in der Geschichte des Presserats.
Dass die Autorin sich als Arbeitsplatz für Polizisten nur die Mülldeponie vorstellen konnte, bewertete der Presserat als ethisch zulässig. Ausschlaggebend war, dass es sich hier um ein reines Gedankenspiel handelte, das zudem auf reale Defizite bei der Polizei anspielte.
Inhaltlich hat diese Entscheidung für kontroverse Reaktionen gesorgt. In jedem Fall hat sie aber gezeigt, wie wichtig eine funktionierende Selbstkontrolle für den Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit ist. Die – teilweise auch nur angekündigten – Strafanzeigen gegen die Autorin kamen aus Sicht des Presserats hingegen impliziten Drohungen gleich, die geeignet waren, die Meinungsfreiheit zu beschädigen.
Interessen von Opfern stärker berücksichtigen
Die Presse hat die Aufgabe, über Missstände, Gewalttaten oder Unglücksfälle zu berichten. Sie trägt dabei aber auch Verantwortung für die von der Berichterstattung Betroffenen. Dieser Verantwortung sind mehrere Redaktionen nicht nachgekommen, als sie vertrauliche WhatsApp-Nachrichten des einzigen überlebenden Jungen im Fall der mehrfachen Kindstötung in Solingen veröffentlichten.
Der Presserat sah in der Berichterstattung einen schweren Verstoß gegen die Vorgabe, dass über einen seelisch leidenden Menschen nicht in einer über das öffentliche Interesse hinausgehenden Art berichtet werden soll. Die Redaktionen hätten das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsamer abwägen müssen.
Verletzt eine Redaktion wiederholt ethische Prinzipien, bewirkt sie im schlimmsten Fall einen Vertrauensverlust gegenüber den Medien insgesamt. Dies gilt nicht nur für die Berichterstattung über Opfer von Straftaten, sondern in einem hohen Maße auch bei der Vermischung von redaktionellen und interessengeleiteten Inhalten.
Interessenkonflikte offenlegen
Wenn für Leserinnen und Leser nicht auf Anhieb deutlich wird, ob ein Text von einem Redakteur oder einem Anzeigenkunden stammt, werden sie – zu Recht – misstrauisch. In etlichen Fällen sah der Presserat im vergangenen Jahr die Gefahr, dass unterschiedliche Formen von Schleichwerbung die Glaubwürdigkeit der Presse aufs Spiel setzten und verhängte hier besonders häufig seine schärfste Sanktion, die öffentliche Rüge.
Ebenso schwerwiegend ist, wenn nicht deutlich wird, ob Autorinnen oder Autoren nebenher noch eine weitere Funktion innehaben, die ihre journalistische Unabhängigkeit in Frage stellt - etwa im Gemeinderat, als Gründerin eines Unternehmens oder als Vorsitzender eines Vereins.
Auch hier gilt das Transparenzgebot: Redaktionen sollten mögliche Interessenkonflikte offenlegen, genauso wie sie es auch von Politik und Wirtschaft erwarten.