Presserat rügt unangemessen sensationelle Fotoveröffentlichungen
Auf seiner Sitzung am 15. und 16.06.2004 in Bonn behandelte der Beschwerdeausschuss des Presserats mit seinen zwei Kammern insgesamt 78 Beschwerden. In fünfzehn Fällen sprach er Rügen aus.
Der Beschwerdeausschuss hatte es in seiner zweiten Sitzung des Jahres mit einer Vielzahl von Beschwerden zu tun, die sich gegen die Veröffentlichung von Fotos richteten, auf denen sterbende, ermordete oder verletzte Menschen zu sehen waren.
Ziffer 11 des Pressekodex fordert:
Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität. Der Schutz der Jugend ist in der Berichterstattung zu berücksichtigen.
Über die Entführung und Ermordung des US-Amerikaners Berg im Irak, der vor laufender Kamera enthauptet wurde, hatte die BILD-Zeitung drei Fotos aus dem Video veröffentlicht. Das letzte Foto zeigt einen der Mörder mit dem abgetrennten Kopf des Amerikaners in der Hand. Hierin sah der Beschwerdeausschuss eine unangemessen sensationelle Darstellung und rügte die Zeitung. Das Gremium wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Fotos aus dem Video kein journalistisches Produkt sind. Es handele sich vielmehr um Aufnahmen der Mörder, die den Mord gezielt begingen, um mit den Aufnahmen davon Angst zu schüren und Propaganda für ihre Ziele zu machen. Eine Veröffentlichung der Bilder vom Mordvollzug kann daher die Absichten der Mörder fördern. Sie hätte unterbleiben müssen.
Wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 11 und 1 erhielt die BILD-Zeitung noch zwei weitere öffentliche Rügen. So hatte sie unter den Überschriften „Hier stirbt Herthas Hoffnung“ und „Hier stirbt ein Fußballstar“ über den Tod des jungen Fußballspielers Feher ein Foto des Sterbenden veröffentlicht. Einen sterbenden Menschen zu zeigen, wie es die Überschriften suggerieren, ist mit der Aufgabe der Presse jedoch nicht vereinbar, so der Ausschuss.
Ziffer 1:
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.
Über die Ermordung des palästinensischen Scheichs Jassin hatte die Zeitung mit einem Foto des Schauplatzes des Attentates, auf dem die Reste seines Rollstuhls sowie der abgetrennte und zerfetzte Kopf von Jassin zu sehen war, berichtet. Den zerschmetterten Kopf des Toten zu zeigen, war nach Meinung des Ausschusses unangemessen sensationell und nicht durch ein öffentliches Interesse zu rechtfertigen. Weil der Tod Jassins zu keinem Zeitpunkt bestritten wurde, konnte die Veröffentlichung auch nicht als publizistischer Beweis dienen und sich damit rechtfertigen.
Die Jugendzeitschrift POPCORN wurde ebenfalls wegen der Verletzung der Ziffer 11 öffentlich gerügt. In einem Artikel über eine Mädchengang, dem eine nachgespielte Fotostory beigefügt war, war zu sehen, wie eine Gruppe Jugendlicher ein junges Mädchen schlug und ihr ein Messer an den Hals setzte. Nach Meinung des Ausschusses ließ der Beitrag jegliche Distanz der Redaktion zu dem dargestellten Thema vermissen. Eine ablehnende Haltung der Redaktion gegenüber gewaltbereiten Jugendlichen konnte nicht festgestellt werden. Vielmehr erscheint der Beitrag dem Ausschuss gewaltverherrlichend. Er bietet zudem keinerlei Aspekte der Hilfe für Opfer solcher jugendlicher Gewalt.
Verletzungen des Persönlichkeitsrechts waren ein weiterer Schwerpunkt der Beschwerdeausschuss-Arbeit. Ziffer 8 des Pressekodex fordert:
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden ...
Die BILD-Zeitung erhielt eine öffentliche Rüge für die Publizierung eines Fotos des im Irak getöteten GSG9-Beamten, das unter der Überschrift „Der grausige Foto-Beweis“ veröffentlicht wurde. Der Beamte konnte auf dem Foto eindeutig identifiziert werden, was besonders im Hinblick auf die Angehörigen nicht tolerierbar sei, so der Ausschuss. Eines Beweises, der nur durch dieses Foto hätte geführt werden können, bedurfte es nach Auffassung des Gremiums nicht.
Wegen identifizierender Berichterstattung über den tödlichen Unfall einer jungen Frau erhielten der BERLINER KURIER und die BILD-Zeitung eine öffentliche Rüge. Eine nicht-öffentliche Rüge erhielten die CUXHAVENER NACHRICHTEN, die die Entlassung einer Jugendpflegerin wegen eines Verkehrsdelikts in einem Jahresüberblick unter voller Namensnennung noch einmal publizierte.
Die B.Z., die BILD-Zeitung und das NEUE BLATT erhielten eine nicht-öffentliche Rüge aufgrund der Berichterstattung über familieninterne Streitigkeiten. Der Beschwerdeführer wurde in identifizierbarer Art und Weise gegen seinen Willen in die von der Mutter unterstützte Veröffentlichung hineingezogen.
Das HAMBURGER ABENDBLATT erhielt ebenfalls eine nicht-öffentliche Rüge, da es in identifizierender und vorverurteilender Art und Weise über einen mutmaßlichen Täter und dessen Familie berichtet hatte. Eine Vorverurteilung ist nach Ziffer 13 des Pressekodex unzulässig.
Ziffer 13:
Die Berichterstattung über schwebende Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Die Presse vermeidet deshalb vor Beginn und während der Dauer eines solchen Verfahrens in Darstellung und Überschrift jede präjudizierende Stellungnahme. Ein Verdächtiger darf vor einem gerichtlichen Urteil nicht als Schuldiger hingestellt werden. [...]
Eine öffentliche Rüge erhielt die WALDECKISCHE LANDESZEITUNG/FRANKENBERGER ZEITUNG wegen einer nicht kenntlich gemachten Bildmanipulation. Die Zeitung hatte aus einem Foto einen Kommunalpolitiker herausretuschiert, wodurch sie gegen die in Ziffer 2 Richtlinie 2.2 Pressekodex festgeschriebene Kennzeichnung von Fotoveränderungen verstoßen hatte.
Richtlinie 2.2:
Kann eine Illustration, insbesondere eine Fotografie, beim flüchtigen Lesen als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden, obwohl es sich um ein Symbolfoto handelt, so ist eine entsprechende Klarstellung geboten. So sind [.....] Fotomontagen oder sonstige Veränderungen deutlich wahrnehmbar in Bildlegende bzw. Bezugstext als solche erkennbar zu machen.
Ebenfalls gerügt wurde die Zeitschrift LANDPOST wegen ihrer Berichterstattung über einen angeblichen Subventionsbetrug von Viehzuchtbetrieben. Die Redaktion hatte sich dabei auf die ungeprüften Aussagen eines einzelnen Informanten verlassen, die sich später als falsch herausstellten. Damit verstieß sie gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex:
Zur Veröffentlichung bestimmte Nachrichten und Informationen in Wort und Bild sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Dokumente müssen sinngetreu wiedergegeben werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.
Eine Beschwerde des Präsidenten des Bundesgerichtshofs gegen die BILD-Zeitung hatte ebenfalls eine öffentliche Rüge zur Folge. Die Zeitung hatte einzelne Entscheidungen des BGH zur Sicherungsverwahrung von Straftätern scharf kritisiert und diese Kritik an einem Richter persönlich festgemacht. Nach Meinung des Ausschusses wurde damit ein möglicher schwerer Gesetzesmangel mit weitreichenden Folgen zu einem Mangel in der richterlichen Arbeit gemacht. Ein komplexer juristischer Sachverhalt, den der BGH als Kollegialorgan zu entscheiden hatte, wurde zudem in der Berichterstattung als eine mangelhafte Entscheidung eines einzelnen Richters dargestellt. Die persönliche Haftung des Richters durch Sätze wie „Schämen Sie sich, Herr Richter“ ist nach Meinung des Ausschusses unzulässig. In dieser Darstellung sah der Ausschuss eine Verletzung der Ziffern 1 und 9 des Pressekodex. Ziffer 9 des Kodex dazu:
Es widerspricht journalistischem Anstand, unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen, insbesondere ehrverletzender Natur, zu veröffentlichen.