Presse darf nicht an den Pranger stellen
In ihrer ersten Sitzung des Jahres hat die Beschwerdekammer 2 des Presserats am 14. März 2006 in Bonn insgesamt 18 Beschwerden für begründet erklärt und dabei neben sieben öffentlichen Rügen fünf Missbilligungen und sechs Hinweise ausgesprochen. 21 Beschwerden wurden als unbegründet zurückgewiesen.
Die B.Z. (Berlin) wurde öffentlich gerügt, da sie unter der Überschrift „Du Drecks-Vater!“ über einen Mann berichtet hatte, der seine zwei kleinen Söhne verwahrlosen ließ. Nach Meinung der Kammer wird der Mann mit einer solchen Überschrift an den Pranger gestellt. Die ehrverletzende und menschenverachtende Äußerung „Drecks-Vater“ ist dabei eine der Presse nicht angemessene Formulierung, mit der die Zeitung die Grenze der zulässigen Berichterstattung verlässt und als Ankläger auftritt. Sie schadet mit einer solchen Überschrift dem Ansehen der Presse insgesamt. Die Kammer sah hier einen Verstoß gegen die Ziffer 6 des Kodex:
Richtlinie 6
Jede in der Presse tätige Person wahrt das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien sowie das Berufsgeheimnis, [...]
Gegenstand der Beratung in der Kammer war auch die Schlagzeile „Wird sie geköpft?“ über die entführte Susanne Osthoff in BILD vom 30. November 2005, die zu einer Vielzahl von Beschwerden beim Presserat geführt hatte. Das Gremium war der Meinung, dass die Fragestellung auch in dieser Form presseethisch vertretbar ist, da Susanne Osthoff aufgrund der zurückliegenden Ermordungen mehrerer Entführter im Irak zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eindeutig in Lebensgefahr schwebte. In diesem Zusammenhang konnte auch die Frage, ob sie „geköpft“ wird gestellt werden, da auf diese grausame Art und Weise bereits mehrere Entführte hingerichtet worden waren. Die Mitglieder äußerten Verständnis für die von Emotionen geprägten Beschwerden beim Presserat, gleichzeitig weist die Kammer jedoch darauf hin, dass die Zeitung hier eine reale Gefahr in Worten abgebildet hat. Auch grausame Realitäten zu schildern und darüber zu berichten, gehört zu den Aufgaben der Presse.
Wegen eines Artikels über einen siebenjährigen Jungen, der seinen fünfjährigen Bruder mit einem Sportgewehr erschossen hatte, wurde die ABENDZEITUNG (München) gerügt. Die Zeitung hatte der Veröffentlichung zwei Fotos der Kinder beigestellt. Diese waren zwar mit einem Balken versehen, trotzdem waren die Kinder aber erkennbar und die Gefühle der Angehörigen wurden somit verletzt. Hier hat die Zeitung die Richtlinie 11.3 des Pressekodex missachtet.
Richtlinie 11.3 - Unglücksfälle und Katastrophen
Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.
Ebenfalls wegen einer Bildveröffentlichung gerügt wurde BILD (Hannover). Die Zeitung hatte zu einem Artikel über die Pisa-Studie ein aus dem Jahr 2002 stammendes Foto einer Grundschulklasse veröffentlicht. Das Bild war damals zu einem anderen Zweck aufgenommen und jetzt ohne Rücksprache mit der Schule als Symbolfoto erneut publiziert worden. Diese Praxis verstößt gegen die Richtlinie 2.2 des Pressekodex und stellt zudem eine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes der abgebildeten Kinder dar (Ziffer 8).
Richtlinie 2.2 - Symbolfoto
Kann eine Illustration, insbesondere eine Fotografie, beim flüchtigen Lesen als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden, obwohl es sich um ein Symbolfoto handelt, so ist eine entsprechende Klarstellung geboten. [...]
Die ABENDZEITUNG (Nürnberg) wurde gerügt wegen der Veröffentlichung eines Fotos eines Angeklagten in einem Mordprozess. Durch dieses Bild sowie den Vornamen und den abgekürzten Nachnamen war der Mann eindeutig identifizierbar, so dass sein Persönlichkeitsrecht nach Ziffer 8 des Kodex verletzt wurde. Ziffer 8 lautet:
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. [...]
Wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der klaren Trennung von Redaktion und Werbung erhielt die OSTSEE-ZEITUNG eine Rüge. Sie hatte über das Angebot eines Fertighausbauers berichtet, das interessierten Kunden ermöglichen soll, für 45 Euro eine Nacht in einem Musterhaus zu verbringen. In dem Artikel wurden die Unternehmensleistungen ausführlich dargestellt sowie eine Telefonnummer veröffentlicht, unter der mehr Informationen zu erhalten waren. Diese Darstellung ging nach Meinung der Beschwerdekammer deutlich über ein öffentliches Interesse hinaus und stellt Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 des Kodex dar.
Richtlinie 7.2 - Schleichwerbung
Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht.[...]
Ebenfalls verletzt wurde das Trennungsgebot von der SCHWARZWÄLDER POST, die sich in einer redaktionellen Veröffentlichung mit einem Unternehmen beschäftigte, das eine Solaranlage in Betrieb genommen hatte. In die Veröffentlichung war eine Anzeige dieser Firma eingebettet. Diese Kombination von Anzeige und redaktionell aufgemachtem Beitrag ist nach Auffassung der Kammer eine reine PR-Veröffentlichung und verstößt damit gegen die Ziffer 7 des Pressekodex. Auch dieser Zeitung sprach der Presserat eine Rüge aus.
BILD (Rhein-Neckar) wurde gerügt wegen mehrerer Artikel über einen Mann, der in der Türkei in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Er hatte Jahre zuvor in der Türkei an einer Demonstration teilgenommen, die mit einem Brandanschlag endete, bei dem 37 Menschen starben. BILD bezeichnete den Mann in der Berichterstattung als „Attentäter“. Dies ist nach den Erkenntnissen der Kammer falsch und zudem vorverurteilend, da er seinerzeit nicht wegen eines Tötungsdeliktes angeklagt war, sondern ausschließlich wegen seiner Teilnahme an der Demonstration. Für eine Auslieferung fehlten den deutschen Behörden zudem konkrete Belege für seine Tatbeteiligung. Die Berichterstattung verstieß damit gegen die Ziffern 2 und 13.