Konflikt zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten
Von elf Rügen, die der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats in seiner Sitzung am 18. September ausgesprochen hat, betrafen allein acht die Verletzung von Persönlichkeitsrechten. In den meisten Fällen musste der Beschwerdeausschuss auf Ziffer 8 (Schutz des Privatlebens und der Intimsphäre), Ziffer 9 (Schutz vor ehrverletzenden Behauptungen) oder Ziffer 13 (Verbot der Vorverurteilung) der Publizistischen Grundsätze Bezug nehmen, um die Berichterstattung einzelner Zeitungs- und Zeitschriftenartikel kritisch zu würdigen. So wurde u.a. die Zeitschrift STERN für ihre Reportage über "Das einsame Leben und Sterben von Hannelore Kohl" gerügt. In der Ausgabe Nr. 29/2001 hatte die Zeitschrift ausführlich über das Privatleben der durch Selbstmord ums Leben gekommenen Ehefrau des früheren Bundeskanzlers berichtet. Darin, so der Presserat, wurden neben einer Reihe von nachvollziehbaren Darstellungen auch private Details beschrieben, die zur Intimsphäre des Ehepaars Kohl gehörten. Damit seien neben Frau Kohl selbst auch Hinterbliebene in ihren Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt worden. Ziffer 8 des Pressekodex schreibt vor:
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden.
Außerdem sei eine Vielzahl von bloßen Vermutungen geäußert worden, für die keine konkrete Quelle genannt wurde. Darum sah der Beschwerdeausschuss zusätzlich einen Verstoß gegen Ziffer 2 des Pressekodex. Er verpflichtet die Presse, die "zur Veröffentlichung" bestimmten
Nachrichten und Informationen in Wort und Bild ... sowie ... unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen als solche erkennbar zu machen.
Ebenfalls wegen einer Verletzung von Ziffer 8 sprach das Publizistische Selbstkontrollorgan eine nicht-öffentliche Rüge gegen die DRESDNER MORGENPOST aus. Die Zeitung hatte auf deutlich erkennbaren Fotos einen jungen Mann dargestellt, der - offenbar in Suizid-Absicht - auf einen Brückenträger geklettert war und Schüsse aus einer Pistole abgegeben hatte. Einen ähnlichen Fall behandelte der Beschwerdeausschuss in der Berichterstattung von BILD und BILD-Online sowie der HAMBURGER MORGENPOST: Beide Zeitungen wurden nicht öffentlich gerügt, weil sie in ausführlichen Bildstrecken und unter voller Namensnennung den Tod eines jungen Mannes dargestellt hatten, der erfolgreich an einem Selbstmordversuch gehindert wurde, beim Abstieg von einem Gerüst jedoch zu Tode stürzte. Hier sah der Presserat insbesondere die Richtlinie 8.4 verletzt, die eine besondere "Zurückhaltung" bei der "Berichterstattung über Selbsttötung" verlangt, sowie Richtlinie 8.1, in der es wörtlich heißt:
(1) Die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern und Tätern in der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren ... sind in der Regel nicht gerechtfertigt. Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen.
(2) Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich.
Wegen der Schwere der Fälle wurden beide Zeitungen auch ausdrücklich auf Ziffer 11 des Pressekodex hingewiesen, die von der Presse den Verzicht "auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt" verlangt. Auf der Grundlage von Richtlinie 8.1 rügte der Beschwerdeausschuss außerdem die BILD-Zeitung in ihren Ausgaben vom 19. Juni und 21. August 2001. Im Juni hatte die BILD-Zeitung in Bremen mit einer Reihe von falschen Behauptungen über den Unfalltod eines Mannes berichtet, der mit seiner Ehefrau die USA bereist hatte. Unter anderem gab die Zeitung fälschlicherweise an, sie habe mit der Ehefrau des Unfallopfers ein Interview geführt. In der BILD-Zeitung vom 21. August wurde das Foto eines Mannes gezeigt, der im Verdacht steht, ein achtjähriges Mädchen ermordet zu haben. Daneben schilderte BILD Details, die zusätzlich zur Identifizierung des Mannes beitragen. Darin sah der Presserat überdies einen eindeutigen Verstoß gegen Ziffer 13 der Publizistischen Grundsätze, in der die Presse aufgefordert wird:
Die Berichterstattung über schwebende Ermittlungs- und Gerichtsverfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Die Presse vermeidet deshalb vor Beginn und während der Dauer eines solchen Verfahrens in Darstellung und Überschrift jede präjudizierende Stellungnahme. Ein Verdächtiger darf vor einem gerichtlichen Urteil nicht als Schuldiger hingestellt werden.
In der gleichen Sache - und ebenfalls auf Basis von Ziffer 13 - wurde die Ausgabe der BILD-Zeitung vom 22. August 2001 gerügt. Unter der Überschrift: "Ärzte kämpfen um das Leben von Julias Mörder" wurde der Verdächtige erneut so dargestellt, als sei er bereits des Mordes überführt. Wegen der Veröffentlichung ehrverletzender Behauptungen (Ziffer 9) rügte der Deutsche Presserat die Zeitung JUNGE FREIHEIT, die in einem Artikel am 18. Mai unter Nennung des Namens über einen Berliner Politiker geschrieben hatte, er habe der rechtsradikalen Wiking Jugend angehört und sei Spitzel des Verfassungsschutzes gewesen. Beide Behauptungen entsprachen offenbar nicht der Wahrheit. Ebenfalls wegen Verstoßes gegen Ziffer 9 wurde die Koblenzer RHEIN-ZEITUNG gerügt, die in ehrverletzender Weise einen Richter an den Pranger gestellt hatte. Dem Juristen wurden eine Vielzahl von unbewiesenen Verfehlungen vorgeworfen und es wurden falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt. Darum zog der Presserat auch die Recherchegrundsätze aus Ziffer 2 des Pressekodex zur Begründung der öffentlichen Rüge heran.
Ebenfalls wegen der Verletzung von Ziffer 2 wurde wiederum die BILD-Zeitung gerügt: Sie berichtete im Juni über einen jungen Mann, der als Geisterfahrer einen tödlichen Unfall mit der Tochter der TV-Moderatorin Petra Schürmann provoziert hatte. Es wurde behauptet: "Der Geisterfahrer fuhr schon mal jemanden tot". Diese Behauptung entbehrte nach Auskunft der Staatsanwaltschaft jedoch jeder Grundlage. Eine öffentliche Rüge wurde schließlich auf der Grundlage der Ziffern 2 und 4 des Pressekodex gegen die Zeitschrift MAX ausgesprochen. Das Magazin hatte in einem Jahresrückblick das illegal beschaffte Foto einer an Lassa-Fieber gestorbenen Studentin veröffentlicht. Ziffer 4 der Publizistischen Grundsätze schreibt vor, dass bei "der Beschaffung von Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern ... keine unlauteren Methoden angewandt werden" dürfen.
In seiner vierten Sitzung in diesem Jahr sprach der Beschwerdeausschuss insgesamt 16 Missbilligungen gegen verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen sowie 9 Hinweise aus. 21 Beschwerden wurden als unbegründet abgewiesen.