Leitsätze zur Richtlinie 12.1

Herkunft von Straftätern

Wann darf die Presse die Zugehörigkeit (Nationalität, Religion, Ethnie) von Straftätern oder Verdächtigen nennen und wann nicht? In der zugehörigen neuen Richtlinie 12.1 und nachfolgenden Leitsätzen gibt der Presserat eine Empfehlung für die Redaktionspraxis (veröffentlicht am 31.05.2017).

Pressekodex (Richtlinie 12.1):

"In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."

Kein Verbot, die Herkunft zu nennen

Ziffer 12 und die zugehörige Richtlinie 12.1 enthalten kein Verbot, die Zugehörigkeit von Straftätern und Verdächtigen zu Minderheiten zu erwähnen. Sie verpflichten die Redaktion jedoch, in jedem einzelnen Fall verantwortungsbewusst zu entscheiden, ob für die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit ein begründetes öffentliches Interesse vorliegt oder die Gefahr der diskriminierenden Verallgemeinerung überwiegt.

Gründe gegen die Herkunftsnennung von Straftätern:

  • Reine Neugier ist kein geeigneter Maßstab für presseethisch verantwortliche Abwägungen.
  • Die Nennung der Zugehörigkeit durch andere Quellen, z.B. durch Behörden oder Polizei entbindet nicht von der redaktionellen presseethischen Verantwortung
  • Reine Vermutungen über den Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit eines Täters und der Tat

Das Risiko einer diskriminierenden Verallgemeinerung besteht zudem, wenn

  • durch die Nennung der Herkunft oder durch die Verknüpfung mit abwertenden Begriffen lediglich diskriminierende Stereotype bedient werden.  
  • Die Gruppenzugehörigkeit unangemessen herausgestellt wird, etwa durch Erwähnung in der Überschrift oder Wiederholungen.
  • Die Gruppenzugehörigkeit als bloßes Stilmittel benutzt wird.


Gründe für die Nennung:

  • Es liegt eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat vor.

    Beispiele: Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Mord, Folter, Sprengstoffanschlag (z.B. auf den BVB-Mannschaftsbus 2017).

  • Eine Straftat wird aus einer größeren Gruppe heraus begangen, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist.  

    Beispiel: Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/16

  • Die Biografie eines Täters oder Verdächtigen ist für die Berichterstattung über die Straftat von Bedeutung.

    Beispiel: Täter ist Flüchtling und hat auf seiner Migration bereits vergleichbare Straftaten begangen.

  • Der Zusammenhang zwischen Form oder Häufigkeit einer Straftat und der Gruppenzugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen selbst ist Gegenstand der Berichterstattung.  

    Beispiel: Die Redaktion thematisiert den Handel mit bestimmten Drogen an bestimmten Plätzen durch Täter einer bestimmten Gruppe.

  • Ein Straftäter oder Tatverdächtiger hat die eigenständige Struktur seiner Herkunftsgruppe für die Tatausführung benutzt.  

    Beispiele: Der Täter nutzt ausländische Absatzwege für Diebesgut. Besondere Clan-Strukturen ermöglichen erst die Begehung von Straftaten (Ehrenkodex, Schweigeverpflichtungen, Solidaritätszwang usw.).

  • Ein Verdächtiger flüchtet unter Ausnutzung von Strukturen in sein oder aus seinem Herkunftsland.  

  • Die Gruppenzugehörigkeit eines Tatverdächtigen hat eine besondere Behandlung im Ermittlungsverfahren zur Folge.  

    Beispiel: Ein Ermittlungsrichter erlässt Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, da die ausländische Staatsangehörigkeit des Verdächtigen ein Absetzen ins Ausland erleichtern würde.

    Bei einem Verdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit wäre im vergleichbaren Fall kein Haftbefehl erlassen worden.    

  • Während eines Strafverfahrens wird die Gruppenzugehörigkeit eines Verdächtigen durch Verfahrensbeteiligte in besonderem Maße thematisiert.  

    Beispiel: In einem Strafprozess wegen schwerer Körperverletzung bleibt es nicht bei der bloßen Nennung der  Staatsangehörigkeit des Angeklagten bei der Feststellung der Personalien. Zudem plädiert die Verteidigung für ein mildes Strafmaß, weil sich der Angeklagte bei der Tatbegehung an den Traditionen der Konfliktregulierung seiner Gruppe orientiert habe.

Stets hilfreich ist es, wenn Leser die Entscheidung der Redaktion aus dem Beitrag selbst heraus nachvollziehen können.

Leitsätze zu 12.1 und weitere Informationen als pdf:

Journalistische Interessenkonflikte

Ein freier Journalist schreibt über Veranstaltungen seiner Partei, bei der er Kassenprüfer ist; eine Pressesprecherin berichtet über die Spendenaktion ihres Unternehmens: Anhand von konkreten Fallbeispielen gibt der Presserat Empfehlungen für die Praxis, welche Interessenkonflikte Redaktionen vermeiden bzw. zumindest für Leserinnen und Leser nachvollziehbar machen müssen (veröffentlicht am 19.3.2025).

Mit Ziffer 6 des Pressekodex bekennen sich die deutschen Print- und Onlinemedien der Presse, welche sich dem Pressekodex angeschlossen haben, zu einer klaren Trennung von journalistischen und sonstigen Tätigkeiten, welche die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten. Mit der neu gefassten Richtlinie 6.1 aktualisiert der Deutsche Presserat die presseethischen Grundsätze. In ergänzenden Leitsätzen gibt er Empfehlungen für die Umsetzung dieser Selbstverpflichtung.

Ziffer 6 – Trennung von Tätigkeiten

Wer journalistisch oder verlegerisch tätig ist, übt keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Presse infrage stellen könnten.

Richtlinie 6.1 – Interessenkonflikte

(1) Üben journalistisch oder verlegerisch Tätige neben der publizistischen Arbeit zusätzliche Funktionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus, müssen alle Beteiligten für eine strikte Trennung dieser Funktionen sorgen. Dies gilt sinngemäß auch für persönliche Beziehungen oder Verflechtungen, sofern diese Zweifel an der erforderlichen Unabhängigkeit einer Berichterstattung begründen können. Dabei ist zu beachten, dass bereits der Eindruck einer interessengeleiteten Veröffentlichung der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen der Presse schaden kann.

(2) Sofern aufgrund objektiver Anhaltspunkte ein Interessenkonflikt naheliegt, sollen betroffene Personen nicht an der journalistisch-redaktionellen Bearbeitung des jeweiligen Gegenstands mitwirken, es sei denn, der mögliche Interessenkonflikt wird gegenüber der Leserschaft offengelegt.

I. Interessenkonflikte und Transparenz

Ziffer 6 und die zugehörige Richtlinie 6.1 enthalten kein Verbot von Nebentätigkeiten. Sie verpflichten die Redaktionen jedoch, mögliche Interessenkonflikte, die der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen der Presse schaden können, zu vermeiden bzw. offenzulegen.

Ziffer 6 und Richtlinie 6.1, des Pressekodex sind nicht erst dann berührt, wenn ein tatsächlicher Interessenkonflikt vorliegt. Vielmehr ist entscheidend, ob der Eindruck einer interessengeleiteten Veröffentlichung entstehen kann.

II. Zusätzliche Tätigkeiten bzw. Funktionen im Sinne von Richtlinie 6.1

Typische Fallkonstellationen aus der Spruchpraxis der Beschwerdeausschüsse (nicht abschließend) sind


• Ämter, Behörden, Aufsichtsgremien öffentlicher Unternehmen
Beispiele: Agentur-Betreiber nimmt die Aufgabe eines Pressesprechers für eine Kommune wahr und beliefert gleichzeitig die örtliche Zeitung; Autor ist Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit einer Diözese und interviewt für die Tageszeitung einen Priester aus dieser Diözese; Gemeinderatsmitglied, das zugleich im Aufsichtsrat der Stadtwerke und im Umweltausschuss sitzt, bearbeitet als Redakteur auch das Thema „Stadtwerke“.

• Eigene wirtschaftliche Interessen, finanzielle Beteiligungen, berufliche Haupt- und Nebentätigkeiten, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedschaften
Beispiele: Redakteur, der Produkttests im Fachmagazin schreibt, vertreibt einige der genannten Produkte im eigenen Online-Shop; Inhaber einer PR-Agentur für Outdoorprodukte schreibt für ein Magazin über solche Produkte; Autor interviewt Chef einer Modemarke, für die er selbst als Model auftritt; Pressesprecherin berichtet als Online-Redakteurin für ein Pressemedium über Spendenaktion ihres Unternehmens; Redaktionsleiterin einer Klinik-Zeitschrift berichtet auch für die Tageszeitung über das Klinikum; Verleger ist an Unternehmen beteiligt, dessen Produkte in einem Interview seiner Zeitung mit einem Vertreter des Unternehmens mehrfach positiv dargestellt werden.

• Ämter oder formale Funktionen in Parteien
Beispiele: Unterlegener Bewerber um einen Stadtratsposten berichtet über die Ratstätigkeit seiner erfolgreichen Konkurrenten; Schriftführer im Partei-Ortsvorstand schreibt ein Portrait über den neu gewählten Bürgermeister seiner Partei; Mandatsträger berichtet über PR-Termine seiner Partei; Freier Journalist schreibt über Veranstaltungen der Partei, bei der er Kassenprüfer ist; Mitglied und Kassenprüfer im Partei-Ortsverein schreibt über Lokalpolitik.

• Aktive Tätigkeiten für andere Organisationen wie NGOs, Verbände, Vereine
Beispiele: Freie Mitarbeiterin ist Teilnehmerin an einer Protestaktion, über die sie für ein Pressemedium schreibt; Journalist berichtet über Wildtierschutz und ist zugleich in einem Wildtierschutzverband tätig; Redakteurin schreibt über lokale Gartenmesse, die sie ehrenamtlich mit organisiert; Autor berichtet über die Veranstaltung eines Vereins, in dem er Vorstandsmitglied ist; stellvertretender Chefredakteur ist als Bezirksbundesmeister einer Schützengesellschaft Gegenstand der Berichterstattung in seiner Zeitung; Gründerin einer Lobbyplattform für Psychedelika schreibt für ein Magazin einen „Selbst-Erfahrungsbericht”.


Persönliche Beziehungen und Verflechtungen im Sinne der Richtlinie 6.1 mit Bezug zum Gegenstand der Berichterstattung:

• Familienmitglieder und nahe Angehörige, wie Ehe- und Lebenspartner, Eltern, Kinder sowie sonstige nahe Verwandte, wie Großeltern, Enkelkinder, Schwiegereltern und Geschwister
Beispiel: Ehefrau eines Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl gibt Kandidatinnen und -kandidaten kommentierende Stylingtipps, auch ihrem Ehemann.

Verflechtungen, die ein Eigeninteresse an der Darstellung eines Berichterstattungsthemas nahelegen. Beispiel: Kläger in einem Mietrechtsstreit schreibt den Prozessbericht.


III. Verantwortlichkeit und interne Offenlegung
Verantwortlich für die Einhaltung von Ziffer 6, Richtlinie 6.1, des Pressekodex ist die Redaktion bzw. der Verlag. Welche Maßnahmen hierfür ergriffen werden, liegt allein im Ermessen der Redaktion bzw. des Verlags.