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Datenschutz bei historischen Kriminalfällen

Ein Gewalttäter wird 38 Jahre nach seiner Tat in seinem Umfeld erkennbar

In einer Serie über historische Kriminalfälle schildert eine Lokalzeitung eine Gewalttat im Jahre 1964. Der Nachtwächter einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft war damals erschlagen aufgefunden worden. Die Zeitung berichtet über die Ermittlungen der Kriminalpolizei und die Verhaftung eines 24-jährigen Mannes, der in der Genossenschaft als Traktorist gearbeitet hatte. Die Zeitung bezeichnet ihn in ihrer Überschrift als den „LPG-Hof-Mörder“. Der Betroffene wurde in erster Instanz wegen Mordes und Brandstiftung, in nächster Instanz wegen Totschlags und Brandstiftung zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. 1979 wurde die Strafe auf 15 Jahre herabgesetzt. Ende des Jahres wurde der Mann aus dem Gefängnis entlassen. Er wird in dem Bericht mit Vornamen und Anfangsbuchstaben des Nachnamens genannt. Die Ehefrau des damaligen Täters beschwert sich beim Deutschen Presserat, dass ihr Mann in der Überschrift als „Mörder“ bezeichnet wird, obwohl die rechtskräftige Verurteilung nicht auf Mord, sondern auf Totschlag lautete. Weiterhin ist sie der Ansicht, dass die Namensnennung hätte unterbleiben müssen, da es sich um eine Berichterstattung in Anschluss an ein Strafverfahren handele. Schließlich beklagt die Beschwerdeführerin, dass durch die Berichterstattung die bis dahin positiv fortschreitenden Bemühungen um eine Resozialisierung ihres Mannes zunichte gemacht worden seien. Der Chefredakteur der Zeitung gesteht ein, dass die Schlagzeile aus Sicht der journalistischen Qualität und der juristischen Stichhaltigkeit heute nicht berechtigt sei. Sie sei gewählt worden, weil sie prägnanter und griffiger sei als etwa die Formulierung „der LPG-Hof-Totschläger“. Der Autor mache zu seiner Rechtfertigung geltend, dass das Verbrechen ganz allgemein als „LPG-Hof-Mord“ in die Ortsgeschichte eingegangen sei. Auch seien die damaligen Ermittlungen der Kriminalpolizei in einem Mordfall geführt worden. Der Täter sei des Mordes angeklagt und wegen Mordes verurteilt worden. Erst im Nachhinein sei durch das Oberste Gericht der DDR der Straftatbestand neu bewertet und auf Totschlag statt Mordes erkannt worden. Darauf habe der Autor im Text aufmerksam gemacht. Für die Chefredaktion könne die Frage der Legitimität der Aufarbeitung historischer Kriminalfälle, wenn handelnde bzw. betroffene Personen noch leben und in ihren Persönlichkeitsrechten trotz Anonymisierung beeinträchtigt werden könnten, nur durch die Bewertung des konkreten Falles beantwortet werden. Bedauerlicherweise sei es dem Autor bei der Abfassung des Artikels trotz Nachfrage vor Ort nicht möglich gewesen, einen Hinweis auf den Verbleib des Täters zu erhalten, obwohl sich später herausstellte, dass dieser ganz in der Nähe wohnhaft sei. Wie der Presserat erfährt, wohnen Beschwerdeführerin und ihr Ehemann, der damalige Täter, heute etwa zehn Kilometer vom Ort der Tat entfernt. Da es sich jeweils um kleine Ortschaften handelt, kennen sich die Menschen der Gegend untereinander. (2002)