Anfrage bei einer Zeitung
Brief an den Arbeitgeber einer Frau weitergereicht
Eine Lokalzeitung erhält einen Brief aus den USA. Der Absender berichtet von einer deutschen Frau, die seit zwölf Monaten krank geschrieben sei und monatelang auf Kosten ihrer Krankenkasse Übersee-Urlaube mache. Er fragt, ob die ganze Sache legal sei, und bittet, etwas Licht in die Angelegenheit zu bringen. Die Frau ist Angestellte eines Regierungspräsidiums. Die Zeitung recherchiert dort den Wahrheitsgehalt des Briefes mit dem Ergebnis. dass er in die Personalakte aufgenommen wird. Der Anwalt der Betroffenen schaltet den Deutschen Presserat mit dem Vorwurf an die Zeitung ein, der Brief hätte nicht an den Arbeitgeber weitergereicht werden dürfen. Die Rechtsabteilung des Verlages kann nicht erkennen, welchen Schaden die Weitergabe des Briefes letztendlich angerichtet haben soll. Wenn die in dem Brief enthaltenen Vorwürfe korrekt gewesen sein sollten, so hätte sich die Frau die sich daraus ergebenden Konsequenzen selbst zuzurechnen. Seien die Vorwürfe jedoch unberechtigt, so könne man davon ausgehen, dass ihr Arbeitgeber das Schreiben als gegenstandslos betrachtet. Im übrigen vertrete man die Auffassung, dass eine Rüge des Presserats letztlich kontraproduktiv für die Interessen der betroffenen Frau wäre, da eine Rüge eine Veröffentlichung nach sich ziehen würde und die Leser somit über den Sachverhalt informiert werden müssten. Eine solche Publizität würde sich die Beschwerdeführerin jedoch vermutlich nicht wünschen. Der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung übersendet dem Presserat die Kopie eines Schreibens an die Beschwerdeführerin, in dem er sich für die Weitergabe des streitbefangenen Schreibens an das Regierungspräsidium entschuldigt und einräumt, dass sie aus heutiger Sicht vermeidbar gewesen wäre. Gleichzeitig äußert er die Hoffnung, dass die Frau die Entschuldigung annimmt und die Beschwerde damit erledigt sei. Die Rechtsabteilung teilt schließlich mit, dass man dem Anwalt angeboten habe, seiner Mandantin ein zeitlich begrenztes Freiabonnement zu gewähren. Dieses Angebot sei jedoch abgelehnt worden. (1998)