Alternativmedizin
Der Beitrag einer Zeitschrift über die geplante Änderung des § 135 Sozialgesetzbuch löst zwölf Beschwerden beim Deutschen Presserat aus. Die Neufassung sieht vor, dass neue medizinische Verfahren von Krankenkassen bezahlt werden sollen, wenn das Verfahren “in der jeweiligen Therapierichtung anerkannt ist”. Die Zeitschrift schreibt: “Namhafte Mediziner hingegen warnen, das geänderte Gesetz bedeute im Kern, dass künftig jeder niedergelassene Kassenarzt jede noch so abstruse Heilmethode auf Krankenschein abrechnen darf – selbst wenn seine Pülverchen, Wässerchen und Heilslehren nach medizinischem Wissensstand noch niemals einem Patienten genutzt haben.” Im weiteren Verlauf des Artikels werden alternative Heilmethoden kritisch dargestellt. Die Beschwerdeführer, darunter Politiker, Mediziner, Fachverbände und Heilmittelhersteller, werten den Beitrag als tendenziös. Er verdrehe die Tatsachen und enthalte eine Vielzahl von falschen Darstellungen. Die einseitige Berichterstattung führe zu einer Verunglimpfung der nicht-schulmedizinischen Therapieeinrichtungen und erwecke bei den Patienten unbegründete Befürchtungen hinsichtlich der Wirksamkeit der Therapie. Eine medizinische Sektion in der Schweiz weist darauf hin, dass der Artikel Phytotherapie, Homöopathie und anthroposophische Medizin mit Laienmethoden wie Wünschelruten und Urintherapie verquicke. Eine Bundestagsabgeordnete erklärt, ihr Vater werde in dem Beitrag als “Naturheiler und Homöopath” bezeichnet, obwohl er gelernter Schulmediziner sei und fast 50 Jahre als niedergelassener Arzt praktiziert habe. Des weiteren solle die Formulierung “seliger Vater” wohl suggerieren, dass ihr Vater nicht mehr lebe. Es sei jedoch nachzuweisen, dass er noch am Leben sei, allerdings nicht mehr praktiziere. Die Chefredaktion der Zeitschrift ist der Ansicht, dass die Beschwerden unbegründet sind. Unzutreffend sei lediglich die Behauptung, dass der Vater der Politikerin bereits verstorben sei. Nach bekannt werden dieses Fehlers habe sich die Redaktion bei der Tochter entschuldigt. Diese habe es jedoch abgelehnt, die Entschuldigung anzunehmen. Anlass für den Beitrag sei die bevorstehende Verabschiedung einer Gesetzesänderung mit weitreichenden Konsequenzen gewesen. Bei der Beschreibung alternativer Behandlungsmethoden und der Kritik daran habe man sich auf Ergebnisse der Stiftung Warentest gestützt, die dem Leser im Verlaufe des Beitrages deutlich als Quelle benannt worden sei. Diese kritische Auflistung von Heilmethoden stelle eine zulässige, von der Rechtsprechung anerkannte Meinungsäußerung dar, da sogen. Warentests als Meinungsäußerung einzustufen seien. Damit fänden auf Warentests und vergleichbare Publikationen ausschließlich die allgemeinen Schranken wertender Berichterstattung Anwendung. Diese Schranken habe die Zeitschrift nicht durchbrochen. Mit der kritischen Betrachtung von unkonventionellen Therapiemethoden setze die Zeitschrift in zulässiger Weise einen Schwerpunkt, der ebenfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Durch das Hervorheben der Verfahren solle plakativ verdeutlicht werden, welch gravierende Folgen mit der auf den ersten Blick winzigen Gesetzesänderung verbunden seien. In erster Linie solle damit die Verhältnismäßigkeit des Gesetzesvorhabens in Frage gestellt und die finanziellen Auswirkungen auf die Solidargemeinschaft beschrieben werden. Um eine differenzierte Präsentation der unterschiedlichen Heilmethoden ginge es dagegen erkennbar nicht. Daher sei der Beitrag auch nicht geeignet, beim Leser unbegründete Befürchtungen im Sinne von Ziffer 14 des Pressekodex zu wecken. Soweit Beschwerdeführer kritisierten, der Beitrag ignoriere tatsächliche Heilerfolge einzelner Therapieeinrichtungen, so mache auch dies – unterstellt, die Beschwerdeführer hätten recht – die Veröffentlichung nicht angreifbar nach den Publizistischen Grundsätzen. Die Stiftung Warentest habe diese Fälle berücksichtigt und in ihre Methodik eingearbeitet. Zur Vorsicht im Umgang mit Erfolgsmeldungen ermahne auch der Pressekodex in Ziffer 14: “Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.” Abschließend betont die Chefredaktion, sie habe den heftigen Leserreaktionen nach Erscheinen des Beitrags angemessen Rechnung getragen, indem nahezu der gesamte Leserbriefteil einer der folgenden Ausgaben der Diskussion über dieses Thema gewidmet war. (1997)