Vorverurteilung
Verdächtige soll sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen haben
Es sei eine Szene wie aus einem schlechten Horrorfilm gewesen, schreibt eine Regionalzeitung im Vorspann eines Gerichtsberichts: Ein Mann wird in der Nacht von einem Pärchen in seiner Wohnung überfallen und mit glühendem Besteck gefoltert. Das Motiv: Geld. Die Beute: jämmerliche 50 Mark. Jetzt steht der Mann vor Gericht, ist des schweren Raubes angeklagt. Seine Komplizin, heißt es zum Schluss des Berichts, habe sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen. Sie sei bereits wenige Monate nach der Tat als Drogentote in die Kriminalstatistik eingegangen. Eine Leserin findet die Passage über die Frau zynisch und menschenverachtend. Sie schreibt dem Deutschen Presserat, dass sie die Formulierung für eine Vorverurteilung halte. Die Chefredaktion der Zeitung räumt ein, dass die Formulierung in der Tat nicht glücklich sei und durchaus als zynisch angesehen werden könne. Den Vorwurf einer Vorverurteilung weist sie jedoch zurück, weil ausdrücklich auf das Ergebnis der Ermittlungen verwiesen werde. (2002)