Fotos von Kinderleichen
Bei der Darstellung krasser Missstände sind schockierende Bilder nicht zu vermeiden
Eine Zeitschrift widmet einem ehemaligen “Playmate”, das sich nun für die Versorgung von Slum-Kindern auf Haiti engagiert, eine Reportage. Der Artikel enthält diverse Fotos, welche das Ex-Model in schlichter, aber doch gestylter Aufmachung beim Hilfeleisten zeigen. Auf einigen Fotos ist die Frau mit toten Kindern zu sehen. Das Aufmacherfoto zeigt auf einer Doppelseite das Innere einer Leichenhalle mit zahlreichen gestapelten Kinderleichen und der Leiche eines Erwachsenen links im Vordergrund. In der Mitte verharrt die Hauptperson des Berichts in einem Trägerkleid, leicht entrückt blickend und mit offenem Haar. Der Text vergleicht das heutige Privatleben des Ex-Models mit dem früheren, wobei seine äußeren Reize und das luxuriöse Ambiente seiner Wohnung in den USA farbig geschildert werden. Zwei Leserinnen nehmen die Reportage zum Anlass einer Beschwerde beim Deutschen Presserat. Die eine sieht in dem Aufmacherfoto eine Gefahr für Kinder. Diese könnten solche Bilder noch nicht verkraften. Zudem würden durch derlei Fotos Perverse und Pädosexuelle bedient, insbesondere durch eine mögliche Verbreitung über Internet. Die zweite Leserin beklagt, dass der Bericht von Klischees und “Schlimmerem” strotze. Es sei nicht erkennbar, ob der Wahrheitsgehalt der Reportage mit der nötigen journalistischen Sorgfalt überprüft worden sei. Die Beschwerdeführerin vermutet zudem einen Missbrauch des Leids der dargestellten Kinder zu einer Form der Selbstdarstellung der Akteurin. Dies stelle eine Verletzung der Menschenwürde dar. Die Rechtsabteilung des Verlags betont das Anliegen der Redaktion, die Leser auf das unbeschreibliche Elend in der beschriebenen Region hinzuweisen. Ferner solle der Beitrag auf die selbstlose Arbeit einer Frau hinweisen, die im ersten Abschnitt ihres Erwachsenenlebens etwas völlig anderes gemacht habe. Der Bezug zu der Welt und den Lebensumständen in westlichen Industrienationen werde gerade durch den Bericht über das Ex-Model und dessen Abbildung auf den Fotos hergestellt. Dabei konnte das Elend nicht ausschließlich durch Worte, sondern musste auch durch Bilder dargestellt werden. Die Bildsprache der Zeitschrift sei nicht sensationsheischend, sondern mitleid-erweckend und aufrüttelnd. (1998)