Scheckbuch-Journalismus
Ein 19-jähriger Hobby-Pilot landet mit einem Sportflugzeug auf dem Roten Platz in Moskau. Er ist - unbemerkt von militärischer Sicherheitsüberwachung der sowjetischen Streitkräfte - von Helsinki aus durch die UdSSR über den Kreml geflogen. Der junge Mann wird zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und inhaftiert. Seine Eltern werden unterdessen von einer deutschen illustrierten für die Story exklusiv unter Vertrag genommen. Als der Pilot nach 14 Monaten Haft in die Bundesrepublik zurückkehrt, gewährt er am Flughafen nur ein kurzes Fernsehinterview, das mit Genehmigung der Illustrierten und einem entsprechenden Hinweis darauf gesendet wird. Die Versuche zahlreicher Journalisten, den Heimkehrer zu befragen, bleiben ohne Erfolg. Der junge Mann wird sogleich von Mitarbeitern der Illustrierten an einen unbekannten Ort gebracht und dort von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Eine Woche später erscheint der Erlebnisbericht: »Mein Flug - meine Haft - meine Heimkehr«. Ein Journalist und der Deutsche Journalistenverband fordern den Deutschen Presserat auf, sich dieses Falles von »Scheckbuch-Journalismus« anzunehmen. Es sei unerträglich, dass Exklusiv- Verträge immer ungenierter dazu genutzt würden, die Informationsmöglichkeit anderer Journalisten einzuschränken oder. aufzuheben. Aufgabe der Presse sei, zur breiten Information der Öffentlichkeit beizutragen und sie nicht durch die Sicherung von Exklusivstories zu behindern. Journalisten, die sich dieser Kommerzialisierung bewusst verweigerten und weniger finanzstarke Blätter und Sender sowie deren Publikum blieben auf der Strecke. Die Illustrierte erklärt dazu, sie habe mit dem Sportflieger einen Exklusiv-Vertrag über die Presse- und Buchrechte abgeschlossen und ihm ein Honorar sowie eine Beteiligung am Weiterverkauf des Berichts zugesichert Zusätzlich habe die Redaktion die Erwartung ausgesprochen, dass der Vertragspartner nicht Fernsehrechte ausübe, die das Presseerstveröffentlichungsrecht der Illustrierten beeinträchtigen. In einer Presselandschaft, die marktwirtschaftlichen Gesetzen unterliege, sei auch die Information eine Ware, für die bisweilen ein Preis gezahlt werden müsse, der sich in der Regel nach Angebot und Nachfrage richte. Der vorliegende Fall sei da kein Einzelfall. Das Informationsrecht der Presse sei hier nicht gefährdet. Der Informant dürfe selbst entscheiden, ob und wem er Einzelheiten seiner Erlebnisse erzählen wolle. Niemand könne ihn zwingen, Auskünfte zu erteilen. (1988)