Bankdirektor unter Verdacht
Presse ist berechtigt, über Verdachtslagen unter Mitteilung der Quelle zu berichten
In einer Reihe von Artikeln berichtet eine Regionalzeitung über den Verdacht, das Vorstandsmitglied einer Bank sei verdeckt an mehreren Firmen, insbesondere Immobilien- und Baufirmen, beteiligt. Unter Bezugnahme auf Informanten wird der Vorwurf erhoben, der Bankdirektor steuere das Geschäftsgebaren dieser Firmen und ziehe daraus private finanzielle Vorteile. Es wird auf mögliche Interessenkollisionen zwischen einer Gesellschaftertätigkeit des Betroffenen und seiner Funktion als Vorstandsmitglied der Bank hingewiesen. Weiter wird berichtet, dass gegen den Mann ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil seiner Bank eingeleitet worden sei. In Kommentaren der Zeitung heißt es u.a., dass sich der Verdacht, der Banker betreibe Strohfirmengeschäfte, „weiter verdichtet“ habe und „immer konkreter“ werde. In diesem Zusammenhang veröffentlicht die Zeitung unter der Überschrift „Die Firmenverbindungen“ eine grafische Darstellung der wechselseitigen Verflechtungen verschiedener Firmen. Dabei wird der Name des Bankdirektors jedoch nicht erwähnt. Im Laufe der gesamten Berichterstattung werden vier Firmen genannt, an deren Steuerung der Bankfachmann maßgeblich beteiligt sei. Unter Berufung auf Informanten wird u.a. berichtet, dass er Zugriff auf die Konten dieser Firmen nehmen könne und Beträge „hin- und hergebucht“ habe, dass es zwischen den fraglichen Firmen Scheingeschäfte über Grundstücke gegeben habe. Mit den „Gewinnen“ aus diesen Scheingeschäften seien Kredite finanziert worden, die der Betroffene nach Fehlspekulationen an der Börse habe aufnehmen müssen. Der Staatsanwaltschaft liege inzwischen ein großer Stapel brisanten Materials mit Quittungen und Notarverträgen vor. Steuerfahnder hätten nach Aussage von Augenzeugen kastenweise Dokumente und Mikrofilme mitgenommen. Die betroffene Bank ruft den Deutschen Presserat an. Sie sieht sich als Opfer einer systematischen Pressekampagne und legt eidesstattliche Erklärungen vor, in denen wirtschaftliche Verflechtungen und Beteiligungen des Bankdirektors an den einzelnen Firmen bestritten werden. Die Berichterstattung der Zeitung über das eingeleitete Ermittlungsverfahren sei tendenziös. Der zuständige Leitende Oberstaatsanwalt habe in einem Interview erklärt, dass der Tatverdacht gegen das Vorstandsmitglied vage geblieben sei. Die Berichterstattung der Zeitung erwecke jedoch den Eindruck, dass eine Anklage oder sogar ein Urteil gegen den Betroffenen bevorstehe. Mitarbeiter der Steuerfahndung hätten kein einziges Blatt Papier und keinen Mikrofilm mitgenommen. Die Chefredaktion der Zeitung weist den Vorwurf einer Kampagne zurück. Die kritische Berichterstattung laufe bereits seit über einem Jahr, erfolge allerdings immer in Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Presse und unter Beachtung der Publizistischen Grundsätze. Stets sei nur von einem bestehenden Verdacht geschrieben und auch dem Grundsatz „audiatur et altera pars“ entsprochen worden. Die mit erheblichem Aufwand durchgeführten Recherchen haben aus Sicht der Redaktion den Verdacht erhärtet, dass der Bankdirektor – ohne dabei persönlich in Erscheinung zu treten – ein Geflecht von Immobilien- und Baufirmen „dirigiert“, in welchen er indirekt über Familienangehörige oder ihm sonst verbundene Dritte Leitungs- und Steuerungsfunktionen ausübt. (1997/98)