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Papst-Foto verfremdet

Ein Grenzfall, der jedoch nicht wesentlich verletzt

Ein Foto von Johannes Paul II. illustriert das Titelblatt eines Nachrichtenmagazins. Der Papst stützt sich auf einen Bischofsstab, der die Plastik einer barbusigen Frau enthält, die ihre Arme wie bei einer Kreuzigungsszene weit auseinander breitet. Die Bildmontage ist mit einem Text versehen: “Kulturkampf um Sex und Abtreibung – Das Kreuz mit dem Papst – Wojtylas letztes Gefecht”. Die Zentralstelle der Deutschen Bischofskonferenz beschwert sich beim Deutschen Presserat. Sie hält die Fotomontage für eine Verletzung religiöser Gefühle und eine Diskriminierung der Frau. Das billig zusammengestellte Titelbild entspreche nicht nur schlechtem Geschmack, sondern verletze grundlegend Ziffer 12 des Pressekodex. Auch zwei Leser der Zeitschrift beschweren sich. Eine Leserin ist der Ansicht, diese Gotteslästerung überschreite alle Grenzen eines kritischen Journalismus. Ein Leser sieht einen Souverän herabgewürdigt und das höchste Symbol der Katholiken blasphemisch verspottet. Die Redaktion weist diese Vorwürfe zurück. Das Titelbild befasse sich plakativ und überspitzt mit dem Kern des Titelthemas, nämlich der Anweisung des Papstes an die deutschen Bischöfe, aus der staatlichen Schwangerschaftsberatung auszusteigen. Es überschreite nicht die Grenzen des Anstandes und des handwerklich Zulässigen. Dem Titelbild liege die Idee zugrunde, ein sehr bekanntes Papst-Foto zu verfremden, um eine Aussage optisch zu vermitteln: Diese Anweisung des Papstes trifft in Not geratene Frauen. Die Verfremdung des zentralen christlichen Symbols, des Kreuzes, sei weder beleidigend noch diskriminierend. Ganz bewusst sei darauf verzichtet worden, die Frau als Gekreuzigte darzustellen. “Vielmehr sollen die ausgebreiteten Arme ihre Hilflosigkeit gegenüber der Kirche dokumentieren.” Die Zeitschrift hat im Anschluss an die Veröffentlichung das zustimmende, aber auch das kritische Leserecho veröffentlicht. (1998)