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Ethnische Gruppen

Eine Boulevardzeitung berichtet über die Razzia eines mobilen Einsatzkommandos der Polizei in einer Wohnanlage für Obdachlose. Gesucht wird ein Mann, der mit seinem Bruder eine 15jährige Schülerin vergewaltigt haben soll. Der eine mutmaßliche Täter sitzt bereits in Haft, der zweite wird entdeckt und festgenommen. In dem Beitrag wird erwähnt, dass es sich um zwei Roma-Brüder handele. Ihre Sippe gelte als gefährlich. Die Zeitung nennt Vornamen aus dem Clan, die “Schlagzeilen machten”. Zitiert wird ein Polizist, der annimmt, dass die Sippe bewaffnet ist. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma nimmt den Fall in eine Sammelbeschwerde beim Deutschen Presserat auf. Wie in allen anderen gleich gelagerten Fällen erinnert er an einen Erlass von Reichsinnenminister Wilhelm Frick im Jahre 1935, in dem dieser anordnete, “bei allen Mitteilungen an die Presse über die Straftaten von Juden die Rassenzugehörigkeit hervorzuheben.” Die Kennzeichnung der Verdächtigen im vorliegenden Zeitungsbericht entspreche diesem Geist und schüre rassistische Vorurteile. Die Chefredaktion hält die Beschwerde für unbegründet. In dem Beitrag seien keine Vorurteile geschürt worden. Man habe vielmehr eine Aktion der Polizei geschildert, deren Hintergrund der Verdacht war, ein Angehöriger der Roma-Sippe , deren Mitglieder schon mehrfach erheblich straffällig geworden seien, könne das 15-jährige Mädchen vergewaltigt haben. Eine solche Berichterstattung wäre unvollständig, müsse grundsätzlich im Sinne einer Verpflichtung darauf verzichtet werden, die Zugehörigkeit eines möglichen Täters zur Gruppe der Roma oder Sinti zu erwähnen. Dadurch würde letztlich die Pressefreiheit beschädigt, denn eine solche Verpflichtung würde darauf hinauslaufen, dass im Rahmen einer Berichterstattung Fakten unterdrückt werden müssten. Schließlich gehe es um die Pflicht, die Leser korrekt und vollständig zu unterrichten. (1995)