Resozialisierung
In zwei Beiträgen berichtet eine Boulevardzeitung über einen Mann, der wegen Mordes an einem 11-jährigen Mädchen zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde und sich jetzt in der geschlossenen Abteilung einer Nervenklinik befindet. Beide Artikel beschreiben die derzeitigen Lebensumstände des Patienten und enthalten zahlreiche Zitate, die während eines Telefoninterviews durch einen Reporter der Zeitung geäußert wurden. Im ersten Beitrag wird der Betroffene als Kannibale beschrieben, der nach der Tat ein Stück Fleisch des Mädchens gegessen habe und jetzt nur noch Gemüse essen dürfe. Im zweiten Text wird berichtet, dass er jetzt per Kontaktanzeige eine Frau suche. Der Mann wird beim vollen Namen genannt und in beiden Beiträgen im Foto gezeigt. Das für den Therapieverlauf im Maßregelvollzug zuständige Ministerium legt Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Die Zitate seien teilweise falsch. Die Behauptung, der Mann habe Menschenfleisch gegessen, stimme nicht. Schließlich könnte durch die zweimalige Veröffentlichung eines Fotos des Betroffenen gegen dessen Persönlichkeitsrecht verstoßen worden sein. Die Rechtsabteilung des Verlags teilt mit, der Betroffene habe selbst ein Interesse an der Berichterstattung signalisiert, da er offenbar hoffe, so wieder eine Frau zu finden, die zu ihm Kontakt aufnehme. Dass er die Zeitung bereitwillig über seine privaten Gedanken und Überlegungen informierte, lasse den Schluss zu, dass er auch mit der Veröffentlichung der Fotos einverstanden gewesen sei. Die Aussage, dass er seinerzeit Menschenfleisch gegessen habe, stütze sich auf die Anklageschrift und die Aussage des Angeklagten während des Prozesses. In der Anklageschrift sei u.a. festgestellt worden: “Mit einem Messer zerschnitt er die Bekleidung des Mädels und begann mit dem Abtrennen von Fleischstücken aus dessen linkem Unterarm.” Bei der späteren Obduktion habe man das Fehlen von umfangreichem Weichgewebe im unteren Teil des linken Arms entdeckt. Zudem habe der Angeklagte in der mündlichen Verhandlung den ihm zu Last gelegten Sachverhalt bestätigt und ergänzend hinzugefügt, dass er Fleisch aus dem Unterarm geschnitten und in das Fleisch gebissen habe. (1996)