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Vorverurteilung

Ein evangelischer Pastor, der in der Kommission des Weltkirchenrats in New York für internationale Aufgaben tätig ist, soll aus seinem persönlichen Programm- und Sachkostenetat 150.000 Mark genommen und nicht zurückgezahlt haben. Eine Tageszeitung im Bereich der Landeskirche, die den Theologen für seine neue Aufgaben freigestellt hat, berichtet unter der Überschrift “Pastor der Landeskirche als Langfinger? 150.000 Mark weg” über den Fall. Sie nennt den Vornamen des Beschuldigten, den Anfangsbuchstaben seines Familiennamens, sein Alter und seine Funktion. Die Unterzeile zur Überschrift schließt mit der Feststellung “... griff dort in persönlichen Etat”. Der Betroffene beschwert sich beim Deutschen Presserat. Der Tatbestand sei falsch wiedergegeben. Die Darstellung, insbesondere die Überschrift, komme einer Vorverurteilung gleich. Seine Position beim Weltkirchenrat sei so herausgehoben, dass durch die Angaben zu seiner Person in dem Artikel offenkundig werde, um wen es sich handele. Die Chefredaktion der Zeitung beruft sich auf einen kirchlichen Pressedienst, der über den Vorfall berichtet habe. Durch die Zugehörigkeit des Betroffenen zur Landeskirche und seine Ambitionen, Abteilungsleiter an einer örtlichen Akademie zu werden, habe die Geschichte lokale Bezüge. Bei der Nennung des Vornamens und der Abkürzung des Familiennamens habe die Redaktion bedacht, dass der Mann bereits seit sieben Jahren in der Region nicht mehr in Erscheinung getreten sei. Der Vorwurf, er sei identifizierbar, gehe daher ins Leere. Auch von einer Vorverurteilung könne nicht die Rede sei. Die Vorwürfe des Weltkirchenrats seien durch ein Fragezeichen in der Überschrift als noch in der Schwebe befindlich kenntlich gemacht. (1996)