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Selbsttötung

Boulevardzeitung wartet mit Angaben zur Person des Täters auf

Unter der Überschrift „Irrer Selbstmord“ berichtet eine Boulevardzeitung über die Selbsttötung eines 18-jährigen Schülers. Sie schildert, wie der junge Mann ein 50 Meter langes Seil an einen Baum gebunden, durch den geöffneten Kofferraum seines Autos zum Fahrersitz geführt und sich dann um den Hals gelegt hat. Dann habe er Gas gegeben und sei losgefahren. Nach 250 Metern sei das Auto in einem Graben gelandet. Der Fahrer war sofort tot. Die Zeitung nennt Vornamen und Initial des Familiennamens, gibt das Alters des Schülers an, erwähnt, dass er mit dem Notendurchschnitt 1,3 vor dem Abitur stand und ein begnadeter Schachspieler gewesen sei. Dem Bericht ist ein Foto vom Ort des grausigen Geschehens beigestellt. Der Onkel des Opfers ruft den Deutschen Presserat an. Er hält die Berichterstattung für unangemessen sensationell. Vor allem kritisiert er die Vorgehensweise der Reporterin, die sich nicht gescheut habe, bei den verzweifelten Eltern des Opfers anzurufen. Er selbst habe das Gespräch entgegen genommen und sich den Anruf verbeten. Später habe er erfahren, dass sich die Journalistin bei der örtlichen Zeitung vergeblich um ein Foto des jungen Mannes bemüht habe. Die Veröffentlichung des Falles löst eine zweite Beschwerde aus. Darin kritisiert die Rechtsvertretung eines Lesers gleichfalls die unangemessen sensationelle Darstellung, die jede Zurückhaltung vermissen lasse. Zudem sieht dieser Beschwerdeführer die Gefahr der Nachahmung. Die Redaktionsleitung des Blattes kann die Betroffenheit des Onkels nachvollziehen, bittet aber um Verständnis dafür, dass sie auch im Falle eines Selbstmordes Recherchen anstellen müsse. Bei ihrem Anruf sei die Reporterin von dem Beschwerdeführer beschimpft worden. Um ein Foto des jungen Mannes habe man sich bemüht, weil eine andere Kollegin erfahren habe, dass er als außergewöhnlicher Schachspieler bekannt gewesen sei. Diese beiden Recherchevorgänge könne man nicht als verwerflich bezeichnen. Dass bei Selbstmorden die allgemeine Form der Durchführung beschrieben werde, sei keineswegs unüblich. Wirkliche Details seien bewusst weggelassen worden. (2000)