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Bilanzberichte

Zweifel an der Bilanzierung eines Finanzdienstleisters

In zwei Beiträgen beschäftigt sich eine Börsenzeitschrift mit einem Finanzdiensleister. In dem ersten Beitrag heißt es, vieles deute darauf hin, dass das Unternehmen seit Jahren einen Teil seiner Gewinne durch eine zweifelhafte Bilanzierung erziele. Man habe das Geschäftsmodell sowie die Bilanzen einer detaillierten Analyse unterzogen und sei dabei auf Bilanzierungstricks gestoßen. Die Zeitschrift verweist auf die Expertise des Analysten einer Investmentbank, in der vermutet werde, dass der eigentliche Gewinn vor Steuern nur etwa ein Fünftel des ausgewiesenen Ergebnisses betrage. Der wichtigste kritische Punkt seien dabei die Finanzierungsrückversicherungen. Pikant sei, dass eine britische Investmentbank guten Kunden wie z. B. institutionellen Investoren, rate, die Finger von der Aktie des DAX-Unternehmens zu lassen. In dem zweiten Artikel ist von dubiosen Geschäften die Rede. Dabei bezieht sich die Zeitschrift auf den Bericht des Wirtschaftsprüfers der Firma. Eine Rechtsanwältin legt Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Sie beanstandet die Berichterstattung, da nicht erkennbar sei, dass es sich hierbei lediglich um Vermutungen der Zeitschrift handele. Dies gelte sowohl für die angeblich nicht rechtmäßige Bilanzierung als auch für den Vorwurf von Bilanzierungstricks und dubiosen Geschäftspraktiken. Die Beschwerdeführerin verweist auf eine Pressestimme, aus der hervorgehe, dass die genannte Investmentbank gegen die ihrem Analysten zugeschriebene Aussage rechtliche Schritte erwäge. Tatsächlich habe es sich nur um die E-Mail eines Londoner Händlers gehandelt. Die Bank habe schließlich ihre Kaufempfehlung beibehalten. Weiterhin weist die Anwältin darauf hin, dass die angebliche Aussage der britischen Investmentbank von dieser dementiert worden sei. Die Bank habe Investoren keinesfalls geraten, die Aktie des Finanzdienstleisters zu verkaufen. Im Gegenteil, ihre Kaufempfehlung sei noch einmal bestätigt worden. Die Beschwerdeführerin kritisiert zudem, dass sich hinter dem Autorennamen eine Autorengruppe verberge. Angeblich solle das gewählte Pseudonym vor Drohungen schützen. Da jedoch nicht ersichtlich sei, inwieweit eine Autorengruppe bedroht sein könnte, bittet sie den Presserat um Überprüfung, ob die Verwendung eines Pseudonyms dem Pressekodex widerspreche. Schließlich kritisiert die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die angeblich „dubiosen Geschäfte“, dass der Zeitschrift offenbar interne Berichte des Unternehmens vorgelegen haben, die nach ihrer Auffassung nicht legal in den Besitz der Redaktion gelangt sein können. Hier liege wohl ein Verstoß gegen die Recherchegrundsätze des Pressekodex vor. Insgesamt sieht die Beschwerdeführerin in der Berichterstattung eine gegen das Unternehmen gerichtete Rufmordkampagne. Die Rechtsabteilung des Verlages stellt fest, die Aussage, dass die beanstandete Bilanzierung des Unternehmens nicht rechtmäßig sei, finde sich an keiner Stelle des Artikels. Das Gegenteil sei der Fall. Der Chefredakteur der Zeitschrift habe in seinem Editorial geschrieben, bei genauerem Hinsehen entpuppe sich das Wachstumswunder als Resultat bilanztechnischer Schönheitsoperation, alles auf rechtlich einwandfreier Basis des Handelsgesetzbuchs. Warum die Redaktion diese Art der Bilanzierung betriebswirtschaftlich für zweifelhaft halte, werde im Artikel ausgeführt und den Lesern auch verdeutlicht. Die Rechtsabteilung teilt ferner mit, dass die beiden genannten Investmentbanken gegen Teile des Artikels rechtlich nicht interveniert hätten. Die Meldungen seien richtig und beruhten u.a. auf Recherchen bei institutionellen Kunden beider Banken. Es sei einhellige Meinung im Presserecht, dass der Name des Verfassers verschwiegen werden könne. Es gehe hier nicht um eine verdeckte Recherche, sondern nur darum, ob die Redaktion den Namen des Verfassers des Artikels nennen müsse. Dies sei nicht der Fall. Nur vorsorglich solle darauf hingewiesen werden, dass es aus Gründen der Fürsorgepflicht geboten war, ein Pseudonym zu wählen. In der Vergangenheit seien Redakteure der Zeitschrift nach ähnlich kritischen Artikeln von Unternehmen und Lesern per Brief, Fax, Telefonaten oder E-Mail massiv unter Druck gesetzt worden. Schließlich weist der Beschwerdegegner darauf hin, dass bei der Beschaffung des Materials keine unlauteren Methoden angewandt wurden. Es sei der Redaktion anonym zugesandt worden. Man habe die Authentizität des Materials und die Richtigkeit der Fakten nach den Geboten der journalistischen Sorgfalt geprüft. Wie das Material vom Einsender beschafft worden sei, sei der Redaktion nicht bekannt. Dies spiele im vorliegenden Fall aber auch keine Rolle. Es sei unstrittig, dass die Presse Informationen, die für die Anleger und die Öffentlichkeit von überragender Bedeutung seien, veröffentlichen dürfe. (2002)