Satire
Auch eine Glosse darf nicht ehrverletzend sein
In einer Glosse beschäftigt sich eine Tageszeitung kritisch mit der Haltung des bayerischen Ministerpräsidenten zur Einwanderungspolitik. Sie bezieht sich dabei auf eine Agenturmeldung, laut der Edmund Stoiber vor einem Schnellschuss bei der Einwanderung gewarnt hat. Der Autor der Glosse schreibt u.a.: „Erst mal reinlassen und prüfen, wen man braucht. Dann die anderen schön langsam totmachen. Bloß keinen Schnellschuss Munition vergeuden. Da haben Sie, Doktor @mund Stoiber, völlig Recht. Noch besser wäre es, sie würden sich persönlich in Breeches und Schaftstiefeln an die Rampe stellen und die ‚durchrasste Gesellschaft‘ verhindern. Wie bitte, Doktor @mund Stoiber? Das hätten Sie wörtlich gar nicht gesagt. Die Agentur habe ihre Worte unzulässig wiedergegeben. Und ‚verboten‘ (Titel der Kolumne) würde Ihnen mit dieser Interpretation bitteres Unrecht zufügen? Doktor Stoiber! Sie reden doch sonst wie ein Herrenmensch!“ Ein Leser des Blattes hält die Glosse für ehrverletzend und schaltet den Deutschen Presserat ein. Stoiber werde offensichtlich mit den Selektoren an der Rampe von Auschwitz gleichgestellt. Das sei unanständig und einer Demokratie unwürdig. Der Leser fragt schließlich, ob dieser Stil tatsächlich durch Pressefreiheit und Recht auf freie Meinungsäußerung abgedeckt sei. Die Chefredaktion der Zeitung entgegnet, der Beitrag sei deutlich erkennbar eine Glosse. Dieser sei eigen, dass sie Kritik mit den Stilmitteln der Ironie und Satire übe. Anlass für den Beitrag sei eine Agenturmeldung unter der Überschrift „Stoiber warnt vor Schnellschuss bei Einwanderung“ gewesen. Diese Meldung habe man im Zusammenhang mit hinlänglich bekannten Aussagen von Stoiber zum Thema „Zuwanderung“ zum Anlass für eine Glossierung seines Sprachduktus genommen. Stoiber sei bei dem Thema „Asylfrage“ nicht vorurteilsfrei und in seiner Wortwahl wenig zimperlich. Bei Gelegenheit habe er u.a. auch schon von einer „durchrassten Gesellschaft“ gesprochen. Die vorliegende Glosse übertreibe in durchaus zulässiger Weise den Sprachgebrauch von Edmund Stoiber und drücke ihn ironisch in die Nähe offenbar historischer Vorbilder, ohne ihn mit diesen gleichzusetzen. Die Glosse verstoße daher nicht gegen den Pressekodex und sei durch das Recht auf freie Meinungsäußerung abgedeckt. (2001)