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Firmengeschichte

Eine Verunglimpfung der Stadt kann der Presserat nicht erkennen

Als Beispiel für viele Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben und sich noch immer davor drücken, in den Entschädigungsfonds zu zahlen, führt eine Zeitschrift in einer großformatigen Reportage einen Hersteller von Zigarettenpapier, ein Unternehmen mit „tief brauner Vergangenheit“, an. Der Firmengründer, SS-Obersturmbann- und Wehrwirtschaftsführer, laut Zeitschrift der eifrigste Nazi der Stadt, in der die Firma ihren Sitz hat, sei der größte Zwangsarbeitgeber vor Ort gewesen. Die Autorin des Beitrages berichtet, welche Einstellung die Stadtbewohner und die Erben ihres Ehrenbürgers zu dieser Vergangenheit haben. Im Text unter der Überschrift „Das ist für uns so unwichtig“ findet sich eine Passage, die den Unwillen des Bürgermeisters erregt: „Als die ..., stolz auf ihr über 1000-jähriges Bestehen, in den achtziger Jahren beschlossen, sich einen Stadtarchivar zuzulegen, wurde dem frisch Berufenen erst mal der Beschluss des Gemeinderates mitgeteilt, dass bezüglich der Jahre 1933 bis 1945 die Kisten für jegliche Anfragen verschlossen zu bleiben hätten.“ Der heutige Archivar steige nebenberuflich und oft ehrenamtlich in den Keller der Grundschule hinab, und mit dem, was er dort finde, würze er das jährlich erscheinende Stadtbuch. Er werde von den Leuten gefragt, ob er denn immer in diesen Dingen rumstochern müsse. Eine Stadträtin würde es ihm am liebsten verbieten. Der Bürgermeister schaltet nach Erscheinen der Zeitschrift den Deutschen Presserat ein. Er sieht seine Stadt in dem Beitrag als „braunen Sumpf“ verunglimpft. Des weiteren kritisiert er diverse Falschdarstellungen, darunter auch die Behauptung, dem Stadtarchivar sei per Gemeinderatsbeschluss auferlegt worden, das Archiv für jegliche Anfragen bezüglich der Jahre 1933 bis 1945 verschlossen zu halten. Die Rechtsabteilung des Verlages versichert, es sei keineswegs Sinn und Zweck der Veröffentlichung gewesen, die Stadt zu verunglimpfen. Anlass des Artikels sei vielmehr die Diskussion um den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter gewesen. Dabei habe sich abgezeichnet, dass längst nicht alle angesprochenen Unternehmen der Stiftung beitreten und einen Beitrag leisten wollen. Vor diesem Hintergrund sei der Zigarettenpapierhersteller, der seinen Sitz in der betroffenen Stadt habe, für einen exemplarischen Bericht besonders geeignet gewesen. Vor allem deshalb, weil der Firmengründer sich einerseits als überzeugter Nazi gegeben und Zwangsarbeiter beschäftigt, andererseits aber den Übergang in die Bundesrepublik geschafft habe. Aus diesem Grund sei in dem Artikel detailliert über den Mann und seine Firma berichtet worden. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die eigentlich Betroffenen, die Familie des Firmengründers und deren Firma, an dem Artikel nichts auszusetzen hätten. In dem Text stehe nicht, dass dem amtierenden Stadtarchivar bedeutet worden sei, seine Kisten für jegliche Anfragen bezüglich der Jahre 1939 bis 1945 geschlossen zu halten. Diese Aussage beziehe sich nach einer Auskunft des jetzigen Amtsinhabers auf den damaligen Stadtarchivar. Von dem heute tätigen Archivar stamme auch die Aussage, dass eine Stadträtin ihm die Arbeit über die Zeit des Dritten Reiches am liebsten habe verbieten wollen. (2001)