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Selbsttötung im Fotoroman

Foto einer erhängten Türkin schockiert zwei Mütter

Eine Jugendzeitschrift veröffentlicht im Laufe des Jahres zwei Fotoromane. Der eine handelt von Ayse, einer jungen Türkin, die einen Deutschen liebt. Als ihre Familie davon erfährt, fühlt diese sich in den Schmutz gezogen. Der Vater beschließt, die Tochter in die Türkei zu bringen und dort mit dem Mann zu verheiraten, der für sie ausgesucht worden ist. In seiner Verzweiflung erhängt sich das Mädchen auf dem Dachboden. Held des zweiten Romans ist Erik, der verzweifelt ist, weil er schon wieder in Mathe eine Sechs geschrieben hat. Zufällig landet er im Internet auf einer Selbstmord-Site und lernt dadurch Maria kennen, die Selbstmordgedanken nachhängt. Um der neuen Liebe zu beweisen, dass er Mut hat, schneidet sich Erik die Pulsadern auf und wird in letzter Minute gerettet. Zwei Mütter, deren elfjährige Söhne die Zeitschrift begeistert lesen, schreiben besorgt den Deutschen Presserat an. Sie sind der Ansicht, dass diese Fotoromane Selbstmorde verherrlichen und verharmlosend wirken. Solche Fotoromane seien für pubertierende Kinder gefährlich. Insbesondere kritisieren die beiden Beschwerdeführerinnen das Foto des türkischen Mädchens, das sich erhängt hat. Die Geschäftsführung des Verlages ist davon überzeugt, dass keiner der beiden Fotoromane das Thema Suizid verherrliche. Innerhalb des Fotoromans „Tod aus dem Internet“ werde deutlich gemacht, dass Selbstmord keine Lösung für Probleme darstelle. Der Selbstmordversuch des Jungen werde schließlich von ihm selbst klar bereut. Der Roman ende damit, dass ausdrücklich vor Internetseiten, die Suizid verherrlichen, gewarnt werde. Es werde dazu aufgerufen, seine Probleme anders zu lösen und sich u.a. mit der Telefonseelsorge in Verbindung zu setzen. Mit dem Selbstmord der Türkin in dem Roman „Freiheit“ solle eine Warnung ausgesprochen werden. Dieser Fotoroman sei als sozialkritischer Beitrag zu sehen. Es solle in verständlicher Form aufgezeigt werden, welche Schwierigkeiten junge, in Deutschland geborene Türken hätten, wenn sie gezwungen würden, sich zwei verschiedenen Kulturen anzupassen. Die Geschäftsführung sieht ein, dass man auf das Foto der Selbstmorddarstellerin hätte verzichten sollen. Die ausweglose Lage der Türkin hätte man tatsächlich anders darstellen können. In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass der damals verantwortliche Chefredakteur nicht mehr im Hause beschäftigt sei. (2001)