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Vorverurteilung

„Wärterin trieb es mit Häftling“, „Sex-Orgien hinter Gittern“ und „Ein Häftling: So trieb ich’s mit der Wärterin“ sind die Schlagzeilen der Artikelserie einer Boulevardzeitung über den Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Gefangenen durch zwei Mitarbeiterinnen einer Justizvollzugsanstalt. Das zuständige Justizministerium ist der Ansicht, dass die Artikel eine Vielzahl präjudizierender Passagen enthalten. Es beschwert sich beim Deutschen Presserat. Durch Begriffe wie „sexhungrig“ werde die Menschenwürde der Beteiligten verletzt. Schließlich berühre die Berichterstattung auch die Privatsphäre der Ehemänner der beiden Frauen. Die Redaktionsleitung beruft sich auf die Aussage eines Oberstaatsanwalts, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sich sicher gewesen sei, dass die Vorwürfe gegen die Mitarbeiterinnen der JVA begründet seien. Sie räumt jedoch ein, dass es sinnvoll gewesen wäre, zu erwähnen, dass die Überschrift auf einer Aussage des Staatsanwalts beruht. Der Beitrag „So trieb ich’s mit der Wärterin“ gebe die Aussagen eines Zeugen wieder, der mit einer der beschuldigten Frauen sexuelle Kontakte gehabt haben will. Dabei werde erwähnt, dass es sich um den Vorwurf eines Häftlings handelt und dieser der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft sei. Die Redaktionsleitung verweist abschließend auf einen vierten Artikel, in dem darüber berichtet wird, dass ein weiterer Hauptbelastungszeuge ein notorischer Lügner sei, der möglicherweise die Vorwürfe erfunden haben könnte. (1997)