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Obduktion

Unter der Überschrift „Mein Mann wurde mit Zellstoff ausgestopft“ berichtet eine Boulevardzeitung über die unerlaubte Obduktion einer Leiche. Anlass war die Suche nach der Todesursache des Patienten. Bei einer amtlich verfügten Nachobduktion sei festgestellt worden, so die Zeitung, dass alle wichtigen Organe fehlten und der Leichnam mit Zellstoff „ausgestopft“ war. Der Chefpathologe des Krankenhauses, in dem die erste Obduktion durchgeführt worden war, weist in einer Beschwerde beim Deutschen Presserat darauf hin, dass das Einverständnis der Familie für die Obduktion vorlag. Als Beweis dafür legt er die Aussage eines Arztes vor. Er kritisiert die reißerische Aufmachung des Artikels und erklärt, dass die Entnahme von Organen eine normale Verfahrensweise bei einer Obduktion sei. Durch den Artikel werde jedoch einem Laien suggeriert, dass es sich im vorliegenden Fall um etwas Besonderes handele, das ausschließlich in seinem Institut für Pathologie praktiziert werde. Die Rechtsabteilung des Verlags betont, die Veröffentlichung habe inhaltlich in vollem Umfang den Angaben der Hinterbliebenen entsprochen. Sie seien war mit der Obduktion des Verstorbenen einverstanden gewesen, hingegen nicht mit der „Totalausräumung“ der Leiche. Darüber seien sie vor der Obduktion nicht informiert worden. Der Chefarzt der Pathologie könne nicht davon ausgehen, dass die Angehörigen des Verstorbenen oder auch die Journalisten unter einer Obduktion das völlige Ausräumen eines Leichnams und das Ausstopfen desselben mit Zellstoff verstehen würden, obwohl dies aus medizinischer Sicht vielleicht zutreffen möge. Eine Einwilligung in eine Explantation sei keineswegs eine Einwilligung in eine Multiorganentnahme. (1997)