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Redaktion als Werkzeug der Täter

Ermordeter wird von der Zeitung zum zweiten Mal zum Opfer gemacht

Unter der Überschrift „Terror und Tote in Wien“ berichtet eine Boulevardzeitung online über einen Anschlag in der österreichischen Hauptstadt. Zum Bericht gestellt ist ein Foto des mutmaßlichen Attentäters, der mit einer Pistole auf einen am Boden liegenden Menschen zielt. Die Berichterstattung enthält ferner mehrere Videos. Sie zeigen, wie ein Terrorist die Straße entlangläuft, einen Menschen niederschießt, danach zurückkommt und erneut auf denselben Passanten schießt. Der Passant ist gepixelt. Der Sprecher im Video teilt mit, dass der Passant nach Angaben des Rettungsdienstes gestorben sei. Das Geschehen wird durch Handyvideos dokumentiert, die von Twitter übernommen worden sind. Zu sehen ist auch der mutmaßliche Täter. Er trägt Waffen bei sich. Es wird mitgeteilt, dass der Mann der Terrororganisation IS angehört. Ein weiteres Video zeigt, wie ein Terrorist offenbar mit einem Handy gefilmt wird. Menschen sind zu sehen, die panisch über eine Brücke davonlaufen. 54 Personen beschweren sich beim Presserat über die Berichterstattung. Die Redaktion habe entgegen der klaren Empfehlung der Wiener Polizei, keine Bilder und Videos vom laufenden Einsatz zu verbreiten, Aufnahmen von dem Terroranschlag publiziert. Dies sei unverantwortlich. Kritisiert wird das Aufmacherbild der schwer verletzten oder toten Person, auf die offensichtlich gerade geschossen wird. Das verstoße gegen die Ziffer 11, Richtlinie 11.1, des Pressekodex. Das sei eine übertrieben sensationelle Berichterstattung, stellen viele der Beschwerdeführer fest. Die Redaktion habe sich zum Werkzeug der Täter machen lassen. Die Rechtsvertretung des Verlages sieht auch nach Kenntnis der 54 Beschwerden kein Fehlverhalten der Redaktion.