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Software-Entwickler stirbt in seinem Büro

Chefredakteur: Pflicht der Presse, auch identifizierend zu berichten

“Software-Entwickler (22) stirbt in Google-Büro“ – unter dieser Überschrift berichtet eine Boulevardzeitung online über den Tod eines Google-Mitarbeiters. Dieser sei tot in seinem Büro am Schreibtisch aufgefunden worden. Genannt wird der volle Name des Mannes. Woran er gestorben ist, sei unklar. Laut New York Post habe er keine Vorerkrankungen gehabt, heißt es im Artikel, auf den die Zeitung verlinkt. „Oder fiel der 22-Jährige etwa einem Verbrechen zum Opfer?“, fragt die Redaktion. Das würden die Ermittler zurzeit ausschließen. Die Zeitung schreibt weiter, Bekannte und Kollegen seien schockiert vom plötzlichen Tod des Entwicklers. Sie beschrieben ihn als agil, neugierig und lebensfroh. Er habe bei Google bereits seit Mai 2016 gearbeitet. Seinen letzten Tweet habe er am Abend vor seinem Tod abgesetzt. Bezogen auf seine Spotify-Playlist habe er geschrieben: „Ich bin echt gespannt, was ich 2019 noch alles entdecken werde“. Zum Artikel gestellt sind zwei Fotos vom Facebook-Profil des Verstorbenen. Ein Leser der Zeitung kritisiert, dass diese sowohl den Klarnamen des Verstorbenen und als auch seine Fotos aus den privaten Facebook-Accounts veröffentlicht habe. Das Gesicht des jungen Mannes sei deutlich zu erkennen. Zudem verlinke die Zeitung Aussagen aus dem Spotify-Account des Verstorbenen und gebe diese wieder, geschmackloserweise ein Post, in dem sich der Verstorbene hoffnungsvoll über seine Zukunft äußert. Der Betroffene werde nicht nur eindeutig identifizierbar dargestellt. Durch den Zugriff auf gleich mehrere Social Media-Plattformen werde auch massiv in seine Privatsphäre eingegriffen. Zusammen mit dem veröffentlichten Link werde dem Leser geradezu ein Profil des Verstorbenen dargeboten, ohne dass ein erkennbares öffentliches Interesse daran erkennbar wäre. Der Chefredakteur der Zeitung sieht keinen Grund zur Beanstandung des Beitrages. In derartigen Fällen vertrete die Redaktion die Auffassung, dass die Öffentlichkeit – insbesondere bei spektakulären Geschehnissen, die sich im öffentlichen Raum ereignen – ein besonderes Interesse daran habe, von den Medien umfassend informiert zu werden. Dies könne durchaus Einzelschicksale einbeziehen und auch personalisierend geschehen. Im vorliegenden Artikel berichte die Redaktion über den Fragen aufwerfenden Tod eines jungen Menschen, der leblos an seinem Arbeitsplatz beim größten und vermeintlich „besten“ Arbeitgeber der Welt aufgefunden worden sei. Der Chefredakteur sieht es als Aufgabe der Presse an, die Entwicklung unserer Gesellschaft kritisch zu beobachten und zu diskutieren. Genau darum gehe es in dem Artikel. Das Schicksal des 22-jährigen Mannes zeige, wie Mitglieder vor allem jüngerer Generationen unter ungeheuren Strapazen versuchten, sich durch immer längere und immer härtere Arbeit gegen andere gut ausgebildete und ambitionierte Menschen durchzusetzen, oft um jeden Preis. Die Chronistenflicht der Presse erfordere es, identifizierend über das Schicksal des Softwareentwicklers zu berichten.