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Privatsphäre des Verdächtigen nicht gewahrt

Tödlicher Angriff auf den Sohn des früheren Bundespräsidenten

Eine Boulevardzeitung berichtet online an zwei Tagen über den tödlichen Angriff von Georg S. (57) auf Dr. Fritz von Weizsäcker, Berliner Klinikchef und Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. In den Artikeln wird über den tödlichen Messerangriff und dessen mögliche Folgen für den Täter berichtet. Einem der Artikel sind zwei Videos beigefügt. Im ersten Video sind Aufnahmen vom Rettungseinsatz zu sehen, der Stellungnahme des Pressesprechers der Staatsanwaltschaft sowie Standbilder von der Abführung des mutmaßlichen Täters, dessen Kopf von einer übergestülpten Jacke verdeckt ist. Im zweiten Video geht es um die Ermittlungsarbeiten der Polizei. Zu sehen ist ein großes Foto des mutmaßlichen Täters. Dessen Wohnort wird genannt. Gregor S. soll Ermittlern und einem Arzt zufolge psychisch krank sein und im Wahn gehandelt haben. Die Zeitung berichtet, der Mann befinde sich nun in einer psychiatrischen Einrichtung im Maßregelvollzug. Der Beschwerdeführer – ein Arzt – stellt fest, die Veröffentlichungen verstießen gegen mehrere presseethische Grundsätze. Vor allem verletzten sie das Persönlichkeitsrecht eines nicht verurteilten Beschuldigten und stigmatisiere einen offensichtlich psychisch schwer kranken Menschen. Der Chefredakteur der Zeitung hält dagegen. Er beruft sich auf Ziffer 8, Richtlinie 8.1, Absatz 1, des Pressekodex. Die Veröffentlichung von Namen, Fotos und anderen Angaben, durch die Verdächtige oder Täter identifizierbar werden könnten, begegneten zumindest dann keinen presseethischen Bedenken, wenn im Einzelfall das öffentliche Interesse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person überwöge. Wochenlang habe dieser Fall die Öffentlichkeit beschäftigt. Abschließend betont der Chefredakteur, dass die Redaktion dem Informationsauftrag der Presse nachgekommen sei und das Geschehen ausgewogen dargestellt habe.