Der „Fall Tuğçe“ und der „Koma-Schläger“
Identifzierende Berichterstattung hätte unterbleiben müssen
Die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung veröffentlicht einen Bericht unter der Überschrift „So lebt der Koma-Schläger im Jugendknast“. Es geht darin um einen jungen Mann, der mutmaßlich für den tödlichen Angriff auf die deutsch-türkische Lehramtsstudentin Tuçğe Albayrak verantwortlich ist. Die Zeitung nennt seinen Vornamen, seinen abgekürzten Nachnamen, sein Alter und seinen Wohnort. Zum Artikel gestellt ist ein Foto, das laut Bildtext von Facebook stammt. Das Gesicht des Inhaftierten ist erkennbar. Eine Leserin der Zeitung sieht in der Berichterstattung einen Verstoß gegen mehrere presseethische Grundsätze. Entgegen der Vorschrift in Richtlinie 8.1 wird das Gesicht des jugendlichen Täters nicht verfremdet. Bei der besonders hohen Emotionalität in diesem Fall wäre dies erforderlich gewesen. Die Rechtsabteilung der Zeitung berichtet in einem ersten Schreiben, sie bemühe sich derzeit um eine einvernehmliche Lösung der Angelegenheit. Sie werde sich erneut mit dem Presserat in Verbindung setzen, wenn die Beschwerdeführerin Stellung bezogen haben werde. Die Antwort kommt. Darin bleibt die Beschwerdeführerin dabei, den Vorgang vom Presserat klären zu lassen. Sie rechne der „Redaktion sehr positiv an“, dass diese sich entschlossen habe, das Bild des mutmaßlichen Täters nachträglich zu anonymisieren. Die Rechtsabteilung weist den Vorwurf zurück, die Zeitung habe den Schutz der Identität des durch Videoaufnahmen vom Tatort überführten Täters vernachlässigt. Gerade zum Schutz seiner Persönlichkeit habe sie von vorneherein nur den Vornamen und den abgekürzten Nachnamen genannt. Für Personen, die den Täter nicht kannten, sei er damit auch anhand des Fotos nicht identifizierbar gewesen. Dennoch habe sich die Zeitung entschlossen, das Foto des jungen Mannes zu anonymisieren, und zwar in allen bereits erfolgten und allen künftigen Veröffentlichungen über die Tat.