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„Kind zur Auflagensteigerung instrumentalisiert“

Ein Mann verprügelt seinen drei Monate alten Sohn

Eine Boulevardzeitung veröffentlicht online einen Videoclip, der zeigt, wie ein vollständig verpixelter Mann in der Türkei sein drei Monate altes Baby schlägt. Die Zeitung schreibt, dass das furchtbare Video für großes Entsetzen gesorgt habe. Der Mann sei laut der türkischen Regierung verhaftet worden. Die Aufnahmen stammten – so die Redaktion – von einer versteckten Kamera, die die Mutter des Sohnes im Zimmer installiert habe. Das Video zeigt, wie die Mutter dem Vater das Kind abnimmt. Es ist mit einem Warnhinweis versehen: „Achtung, das Video enthält verstörende Szenen“. Die Prügelszene wird am Ende des Videos wiederholt. Eine Leserin der Zeitung sieht mehrere presseethische Grundsätze (Ziffern 1, 4 und 8) verletzt. Das Video der Misshandlung eines Säuglings widerspreche dem Pressekodex und jeglicher Menschlichkeit, auch wenn es verpixelt und mit einem Warnhinweis versehen sei. Das Video – so die Beschwerdeführerin – diene in keiner Weise der journalistischen Berichterstattung und instrumentalisiere das Kind zur Auflagensteigerung. Der Presserat erweitert die Beschwerde auf die Kodex-Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung). Die Justiziarin des Verlages nimmt Stellung zu der Beschwerde. Es handele sich um eine redaktionelle Veröffentlichung über ein zugegebenermaßen tragisches Geschehnis von zeitgeschichtlicher Bedeutung, über das auch andere Medien berichtet hätten. Die Redaktion habe insbesondere den Opferschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex beachtet und eine vollständige Verpixelung vorgenommen. Die Justiziarin steht auf dem Standpunkt, dass ein Verstoß gegen den Pressekodex nicht zu erkennen sei.