Ein Foto, das Emotionen auslöst
Angeschwemmte Leiche eines Kindes dokumentiert Flüchtlingselend
Die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung veröffentlicht unter der Überschrift „Wir trauern“ das Foto des toten syrischen Flüchtlingsjungen, dessen Leichnam an einem Strand im türkischen Bodrum angeschwemmt worden war. In der Bildunterschrift zu dem Foto, das wie eine Traueranzeige in einen schwarzen Rahmen eingebettet ist, heißt es: „Bilder wie dieses sind schändlich alltäglich geworden. Wir ertragen sie nicht mehr, aber wir wollen, wir müssen sie zeigen, denn sie dokumentieren das historische Versagen unserer Zivilisation in dieser Flüchtlingskrise (…). Dieses Foto ist eine Botschaft an die ganze Welt, endlich vereint dafür zu sorgen, dass kein einziges Kind mehr auf der Flucht stirbt. Denn wer sind wir, was sind unsere Werte wirklich wert, wenn wir so etwas weiter geschehen lassen?“ In der Printausgabe erscheint das Foto tags darauf in gleicher Aufmachung. Die Bildunterschrift ist identisch. Beide Fotos zeigen das Kind seitlich von hinten. Dreizehn Leser der Zeitung wenden sich mit einer Beschwerde an den Presserat. Sie sehen die Würde des Kindes durch den Abdruck dieses Fotos verletzt. Auch die Rechte der Angehörigen würden verletzt. Die Zeitung präsentiere sich besorgt, doch spiele sie mit den Gefühlen der Menschen. Andere Leser sehen weitere presseethische Grundsätze verletzt. Es sei unangemessen und pietätlos, ein Foto des toten Kindes ohne Verpixelung und ohne Einwilligung der Eltern zu zeigen. Das Kind sei auf dem Bild sehr gut zu erkennen. Bei der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Darstellung des toten Jungen müsse das Informationsinteresse zurücktreten. Nach Richtlinie 11.3 müsse das Leid von Opfern, insbesondere von Kindern, respektiert werden und dürfe nicht dargestellt werden. Andere Beschwerdeführer argumentieren, dass Zeitungen auch Schreckliches dokumentieren könnten, ohne die Würde eines toten Menschen zu verletzen. Das Thema Flüchtlinge müsse dokumentiert werden, aber nicht auf diese Weise. Die Rechtsabteilung der Zeitung gibt keine detaillierte Stellungnahme ab. Aus ihrer Sicht spreche die Berichterstattung für sich.