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Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung rechtfertigt keine Identifizierbarkeit

Augenbalken auf Foto einer verurteilten Apothekerin reicht nicht als Anonymisierung

Eine Boulevardzeitung berichtet online über die Verurteilung einer Apothekerin zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung. Die Pharmazeutin hatte einer jungen Schwangeren ein verunreinigtes Glukose-Präparat verkauft. Die Schwangere und ihr ungeborenes Kind starben an den Folgen der Vergiftung. Die Redaktion zeigt die „Apothekerin des Todes“ im Foto. Über die Augenpartie ist ein Balken gelegt. Im Beitrag wird sie mehrfach mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen erwähnt. Auch die Apotheke, in der sie als Filialleiterin tätig war, wird genannt und mit Foto abgebildet. Der Ehemann der Verstorbenen wird ebenfalls per Foto gezeigt. Sein Gesicht ist grob verpixelt. - Die Beschwerdeführerin sieht Verstöße gegen die Pressekodex-Ziffern 8 (Schutz der Persönlichkeit) und 13 (Unschuldsvermutung). Mit wenig Rechercheaufwand finde man den vollständigen Namen der Angeklagten heraus. - Bei der Vorprüfung des Falles beschränkt der Presserat das Verfahren auf mögliche Verstöße gegen Ziffer 8, erweitert es aber um das Foto des Witwers. - Die Zeitung bestreitet die Identifizierbarkeit der Apothekerin. Dank des Augenbalkens und des abgekürzten Nachnamens sei sie nur für diejenigen erkennbar, die sie sowieso schon gekannt hätten. Dabei hätte die Presse hier sogar voll identifizierend berichten dürfen, denn es bestehe ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse, das die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen deutlich überwiege. Dafür spreche zunächst, dass keine Zweifel an der Schuld der geständigen Apothekerin bestünden. Auch wenn sie die Tat offenbar nicht mit direktem Vorsatz begangen habe, so handele es sich doch um eine außergewöhnlich schwere Tat, die zu besonders schwerem Leid geführt habe. Die Tat sei folglich als „besonders“ einzustufen. In solchen Fällen erlaube der Pressekodex eine identifizierende Berichterstattung. Wegen des großen öffentlichen Interesses habe die Zeitung wegen ihrer Chronistenpflicht darüber berichten müssen. Zum Schutz der Betroffenen habe die Redaktion eine sehr zurückhaltende Form der, wenn überhaupt, Identifizierbarmachung gewählt. Dass man die Frau anhand dieser Angaben durch eine einfache Internetrecherche identifizieren könne, falle nicht in den Einfluss- und Verantwortungsbereich der Redaktion. Anderenfalls dürften Zeitungen im Internet-Zeitalter nur noch komplett neutralisierte Texte veröffentlichen, in denen noch nicht einmal der Ort des Prozesses erwähnt werden dürfte. Die Redaktion habe versucht, einen Mittelweg zu gehen. Hinzu komme, dass die Frau in einem hochsensiblen Tätigkeitsbereich einen irreversiblen Fehler begangen habe. Die Presse habe die unerlässliche Aufgabe, die Öffentlichkeit auch über den Namen der Apotheke zu informieren, damit jeder Leser selbst entscheiden könne, ob er seine Medikamente künftig lieber woanders kaufe. Dies gelte umso mehr, als die verurteilte Apothekerin kein Berufsverbot erhalten habe. Über den Ehemann der Getöteten äußert sich die Gerichtsreporterin so: „Mit dem Witwer waren wir während des Prozesses immer wieder im Gespräch, zu Beginn stellte er in Aussicht, dass er nach der Urteilsverkündung offen mit uns reden möchte. Das tat er dann nicht, daher haben wir ihn sehr stark gepixelt.“ Dabei hätte auch über ihn durchaus identifizierend berichtet werden dürfen, denn durch seine Gespräche mit der Redakteurin habe er sich selbst in den Fokus der Presseberichterstattung begeben. Außerdem sei er ebenso wie die Apothekerin in der lokalen Öffentlichkeit schon vor dem Artikel bekannt gewesen. - Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine öffentliche Rüge wegen Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8. Die Apothekerin ist auf dem Foto trotz des Augenbalkens erkennbar. An ihrer Identifizierbarkeit besteht kein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse. Zwar ist der Tod der Schwangeren und ihres Ungeborenen tragisch. Jedoch stellt die fahrlässige Tötung und unterlassene Hilfeleistung, für die das Gericht eine Bewährungsstrafe aussprach, keine „außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat“ dar, wo laut Pressekodex eine Identifizierung ausnahmsweise erlaubt wäre. Damit sind vielmehr Taten wie beispielsweise Attentate, Amokläufe oder Massenmorde gemeint. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeitung die Apotheke namentlich genannt und im Foto gezeigt hat. Der Beschwerdeausschuss sieht in dieser Form der identifizierenden Berichterstattung eine soziale Zusatzbestrafung in Form eines Medienprangers. Auch den Ehemann des Opfers halten die Ausschussmitglieder wegen des Fotos für identifizierbar. Laut Pressekodex sind Fotos von Angehörigen in der Regel unzulässig. Daran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass der Mann während des Prozesses mit der Redakteurin sprach und in Aussicht stellte, nach der Urteilsverkündung offen mit ihr zu reden. Dass er dies nicht tat, zeigt gerade, dass er letztlich kein Interesse daran hatte, in die Öffentlichkeit zu treten.