Tatverdächtigen als „Mädchen-Killer“ bezeichnet
Vorverurteilung in Überschrift und Verstoß gegen Persönlichkeitsschutz durch Fotos
„Um 20.10 Uhr hatten sie den Mädchen-Killer“: Unter dieser Schlagzeile berichtet eine Boulevardzeitung online über die Festnahme eines Landwirts, der eine Schülerin erstochen und eine weitere Frau schwer verletzt haben soll. Die Polizei hatte mit einem Foto nach ihm gefahndet. In dem Beitrag wird der Festgenommene mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen, Wohnort, Alter, Beruf und Ehrenamt als Hauptfeuerwehrmann beschrieben. Bebildert ist der Artikel mit zwei Porträtfotos, auf denen lediglich die Augenpartie mit schwarzen Balken verdeckt wurde. - Der Beschwerdeführer sieht in der Überschrift einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, denn bisher habe weder ein gerichtliches Verfahren die Schuld bewiesen noch der Verdächtige ein Geständnis abgelegt. - Bei der Vorprüfung des Falles erweitert der Presserat wegen der beiden Fotos das Verfahren auf einen möglichen Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz. - Die Zeitung weist die Vorwürfe zurück. Die Redaktion habe sprachlich hinreichend deutlich zwischen Verdacht und erwiesener Schuld unterschieden. Dies lasse sich schon an der Dachzeile der Überschrift erkennen: „Andreas B. soll Mara-Sophie (†17) getötet haben.“ Aus der Unterzeile lasse sich entnehmen, dass der Bauer erst geflüchtet und dann gefasst worden sei. Dachzeile, Schlagzeile und Unterzeile würden als Einheit gelesen. Auch im Beitrag seien mehrfach die Begriffe „soll“ oder „mutmaßlich“ verwendet worden. Von verfrühter Schuldzuweisung könne keine Rede sein. Bei der Bebilderung habe die Redaktion ein zuvor von der Polizei veröffentlichtes Fahndungsfoto verwendet. Das Aussehen des Tatverdächtigen sei also nicht durch die Zeitung, sondern durch die Polizei publik gemacht worden. Trotzdem habe die Redaktion nach Ende der Fahndung das bereits allseits bekannte Foto anonymisiert; mehr pressemäßige Sorgfalt sei nicht zu verlangen. Dabei hätte in diesem Fall sogar voll identifizierend berichtet werden dürfen, denn das öffentliche Interesse an der Berichterstattung habe die schutzwürdigen Belange des Betroffenen überwogen. Die Taten hätten bundesweit für großes Entsetzen gesorgt, nahezu jedes Medium habe darüber berichtet. Insofern sei auch das Regelbeispiel einer außergewöhnlichen, schweren Straftat erfüllt. - Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Zum einen hat die Redaktion gegen den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Pressekodex verstoßen. Denn auf den Fotos ist der Mann erkennbar. Ein öffentliches Interesse an einer identifizierbaren Darstellung bestand zwar während der Fahndung, aber nicht mehr nach der Festnahme. Hier lag auch kein überwiegendes öffentliches Interesse an einer identifizierbaren Abbildung vor. Zum anderen bewertet der Ausschuss die Überschrift „Um 20.10 Uhr hatten sie den Mädchen-Killer“ als Vorverurteilung des identifizierbaren Tatverdächtigen nach Ziffer 13 des Pressekodex. Denn mit dem Begriff „Killer“ wird eine festgestellte Schuld unterstellt. Der Ausschuss sieht hier keine Unterscheidung zwischen Verdacht und erwiesener Schuld gegeben. Der Gesamteindruck, der durch die Schlagzeile entsteht, überlagert den Eindruck der Dachzeile und der Unterüberschrift.