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Getötete „Sex-Sklavin“ ist keine Person des öffentlichen Lebens

Zeitung hätte Todesopfer nicht mit identifizierendem Foto zeigen dürfen

Unter dem Titel „Sex-Sklavin (37) erstochen" berichtet eine Boulevardzeitung online über eine Frau, die über ein in der Sadomaso-Szene beliebtes Portal einen Mann kennengelernt, ihn geheiratet und 2022 mit ihm einen „Sklavenvertrag" geschlossen habe. Als sie sich von ihm trennte, soll der „Herr“ seine „Sklavin" ermordet haben. Zu dem Beitrag gehörten ein zunächst unverpixeltes Foto der Getöteten und ein Foto des verdächtigten Ehemannes. Es zeigt ihn mit einem Hund posierend. Seine Augenpartie ist mit einem schwarzen Balken verdeckt. - Ein Beschwerdeführer sieht die Ehre des Opfers verletzt, da die Frau als Sexsklavin betitelt wird. Dieser Begriff sei negativ besetzt und würdige das Opfer herab. Ein weiterer Beschwerdeführer kritisiert, dass die Frau unverpixelt gezeigt wurde. - Der Presserat beschränkt das Verfahren in der Vorprüfung des Falles auf mögliche Verstöße gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex, erweitert es aber auf die Abbildung des mutmaßlichen Täters. - Die Zeitung bestreitet einen Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte. Sie habe die Identität des Opfers besonders geschützt: Der Name sei abgekürzt und das Foto verpixelt worden, zumindest später. Dabei wäre sogar eine identifizierende Berichterstattung zulässig gewesen, meint die Zeitung und beruft sich dabei auf Richtlinie 8.2 des Pressekodex, wonach Name und Foto eines Opfers veröffentlicht werden dürfen, wenn es sich dabei „um eine Person des öffentlichen Lebens handelt“. Nicht nur Bürgermeister oder Fußballtrainer seien öffentliche Personen, meint die Zeitung, sondern auch solche, die anderweitig in den Fokus der Öffentlichkeit gerieten. Im vorliegenden Fall gehe es um einen vergleichsweise kleinen Ort. Die Identität des Opfers einer derart bizarren und ungewöhnlichen Straftat werde sich dort bereits wie ein Lauffeuer herumgesprochen hoben, noch bevor die Zeitung berichtet habe. Deshalb sei eine Ent-Anonymisierung des Opfers durch die Berichterstattung schon denklogisch nicht (mehr) möglich gewesen. Um die Angehörigen nicht erneut leiden zu lassen, habe die Redaktion extra kein Foto der bereits Ermordeten verwendet, sondern ein neutrales Bild, das die Frau selbst in Social-Media-Kanälen veröffentlicht habe. Versehentlich sei das Foto wohl für kurze Zeit unverpixelt gezeigt worden. Die Redaktion bitte dafür um Entschuldigung, habe diesen kleinen presseethischen Fehler aber umgehend korrigiert. Außerdem habe sie die Überschrift später neutralisiert, indem sie die Bezeichnung „Sex-Sklavin“ durch „Sanitäterin“ ersetzt habe. Sollte der Presserat die Beschwerden trotzdem für begründet halten, sollte er zumindest auf die Verhängung einer Maßnahme verzichten. - Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine öffentliche Rüge wegen Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz sowohl hinsichtlich des Opfers als auch des mutmaßlichen Täters. Wegen der Veröffentlichung des zunächst unverpixelten Opferfotos war die Frau für die breite Öffentlichkeit - und nicht nur für das lokale Umfeld - identifizierbar. Im Übrigen halten die Ausschussmitglieder das Opfer auch auf dem später verpixelten Foto für noch erkennbar. Auch der mutmaßliche Täter ist trotz Augenbalkens aufgrund seiner Gesichtszüge und Körpergestalt identifizierbar. Die Zeitung hat auch keine tragfähigen Argumente dafür vorgetragen, dass es sich bei den beiden um sogenannte Lokalprominenz handele, was eine identifizierende Berichterstattung hätte rechtfertigen können. Dass die beiden durch den Todesfall zum Gesprächsstoff in der Stadt geworden sind, reicht dafür nicht aus.