Bericht zieht 15 Beschwerden nach sich
Regionalzeitung: Vergewaltigte Frau mit ihrem Namen genannt
Eine Regionalzeitung berichtet, ein Mitarbeiter der Landes-SPD-Fraktion sei wegen der Vergewaltigung einer Grünen-Politikerin angeklagt worden. Die im Beitrag namentlich genannte Grünen-Spitzenkandidatin habe nach eigenen Angaben 2017 in einer Beziehung mit dem jetzt Angeklagten gelebt. 2019, etwa eineinhalb Jahre nach der Trennung, habe sie Strafanzeige erstattet. Ende August 2020 habe sie über Twitter zumindest zeitweise veröffentlicht, dass sie ihren Vergewaltiger angezeigt habe. Im Rahmen ihrer Kandidatur habe sie zuletzt wiederholt öffentlich erklärt, sie sei bisexuell. Die Berichterstattung veranlasst 15 Leserinnen und Leser der Zeitung zu einer Beschwerde beim Presserat. Sie machen Verstöße gegen zahlreiche Ziffern des Pressekodex geltend. In der Vorprüfung wurde das Verfahren nach Paragraf 5 der Beschwerdeordnung auf die Ziffern 2 (Falschzitat), 8 und 13 (Schutz der Persönlichkeit bzw. Vorverurteilung zu Lasten des Opfers) zugelassen. Ein Beschwerdeführer macht ein falsches Zitat geltend. Seinen Informationen zufolge habe die zitierte Politikerin von einem „traumatischen“ und nicht von einem „dramatischen“ Ereignis, wie die Zeitung schreibe, gesprochen. Die Beschwerdeführenden kritisieren insbesondere die identifizierende Berichterstattung über das Opfer, während der Täter anonym bleibe. Dies verstoße gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.2, des Kodex. Auch wenn die Frau politisch aktiv sei, dürfe über sie im Sinne des Opferschutzes nicht identifizierbar berichtet werden. Die mutmaßliche Tat habe nichts mit ihrem Mandat zu tun. Mehrere Beschwerdeführende monieren zudem, dass die sexuelle Orientierung des Opfers genannt werde. Diese stehe in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Strafanzeige bzw. dem Tatvorwurf. Für die Zeitung nimmt deren Chefredakteur Stellung. Der Autor des kritisieren Beitrages sei ein sehr erfahrener Journalist, der auch in diesem Fall sehr sorgfältig recherchiert habe. Die betroffene Frau habe selbst den Weg in die Öffentlichkeit gewählt und dadurch auf ihren Anonymitätsschutz verzichtet. Da sie selbst Juristin sei, habe ihr aus Sicht der Redaktion die Tragweite ihrer öffentlichen Äußerungen und der Verknüpfung von politischen Funktionen mit dem Privatleben bekannt sein müssen.