Der Jogger, den niemand vermisste
Boulevardzeitung hätte das Foto nicht mehr veröffentlichen dürfen
Eine Boulevardzeitung berichtet online über ein Interview mit zwei Psychologinnen zum Thema Einsamkeit. Die Überschrift lautet „Wie kann es sein, dass mich niemand vermisst?“, die Dachzeile „Identität des Berliner Joggers geklärt“. Rund vier Monate nach seinem Sturz in einem Berliner Park, berichtet der Autor, sei nun die Identität des Joggers geklärt worden. Ein Anwohner habe den entscheidenden Hinweis gegeben, nachdem er einen Bericht gesehen habe. Danach habe den Mann offensichtlich monatelang niemand vermisst, obwohl er mitten in Berlin gelebt habe und sein Briefkasten übergequollen sei. Die Nachbarschaft habe die Abwesenheit des Joggers einfach ignoriert oder ausgeblendet. Die Zeitung stellt die Frage, wie ein Mensch monatelang von der Bildfläche verschwinden könne. Die Redaktion hat zwei Psychologinnen zu dem Phänomen im Interview befragt. Zum Bericht gestellt ist ein Foto, das in Nahaufnahme das verpixelte Gesicht des im Koma liegenden Joggers zeigt. Bildtext: „Er brach beim Joggen zusammen und schlug mit dem Kopf auf.“ Ein Leser der Zeitung kritisiert die Berichterstattung, die nach seiner Auffassung sensibler hätte ausfallen müssen. Dies umso mehr, als die Identität des Mannes für die Polizei nunmehr geklärt sei. Die Zeitung hätte die Identität des verunglückten Joggers schützen müssen. Die Chefredaktion der Zeitung bedauert die Darstellung des Verunglückten mit einem Foto. Das Bild hätte zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung aus presseethischen Gründen nicht mehr veröffentlicht werden dürfen. Leider passierten derartige Missgeschicke im bisweilen unübersichtlichen und hektischen Arbeitsalltag einer Online-Redaktion. Vermutlich würden sie sich nie ganz vermeiden lassen. Die Redaktion bemühe sich jedoch nach Kräften, derartiges möglichst zu verhindern. Das fragliche Foto sei aus dem Angebot der Zeitung genommen worden. Es könne auch über Suchmaschinen nicht mehr angesehen werden.