Polarisierende Warnung vor Einwanderung fällt unter Meinungsfreiheit
In einer Anzeigenblatt-Kolumne beschäftigt sich ein Unternehmer und CDU-Kommunalpolitiker mit dem wachsenden Anteil „Nicht-Deutscher“ in seinem Landkreis. Unter der Überschrift „‘Das ist einfach nur Mathematik‘“ zitiert er die offizielle Einwohner-Statistik, erwähnt aber auch eigene Schätzungen, wonach etwa 15.000 Personen mit deutschem Pass hierzulande nicht integriert seien. Seine Schlussfolgerung: „In fünf Jahren haben wir dann mit diesen 15 000 einen Anteil von knapp einem Drittel ‚Nicht-Deutsche‘ von allen Bewohnern im Landkreis. Alle brauchen Essen, Trinken und ein Dach über dem Kopf. Und wir sind auf einem strammen Marsch, Richtung 50 %“. Die Kolumne endet mit dem Fazit: „In zehn Jahren wird unser Land keine eigene DNA mehr haben!!! Unseren Enkeln wird es wie vor 250 Jahren den Indianern gehen, wenn sich nichts ändert. Wollen wir das? Ich möchte das jedenfalls NICHT! Noch ist die Flasche nicht voll, wir haben es immer noch selbst in der Hand – jeder Einzelne!“ Sechs Beschwerdeführende kritisieren die Kolumne mit jeweils ähnlichen Begründungen: Der Verfasser missachte völlig die publizistischen Sorgfaltsregeln, verstoße gegen die Menschenwürde von Menschen mit Migrationshintergrund und wolle fremdenfeindliche Ressentiments schüren. Er liefere eine diskriminierende Scheinargumentation, die durch bewusst irreführende Tatsachenbehauptungen die Grenzen einer reinen Meinungsäußerung eklatant überschreite. Mit herabwürdigender Metaphorik und falschen Analogien versuche er, die Geflüchteten und Nicht-Deutschen zu entmenschlichen. Außerdem solle der falsche Eindruck einer sich exponentiell verschlechternden Entwicklung vermittelt werden. Sein Rechenexempel erinnere an die propagandistischen Mathematik-Aufgaben aus der Nazizeit. Auf dieser Grundlage gipfele der Text in volksverhetzenden Szenarien, die einen Untergang der „deutschen“ Bevölkerung beschreiben. Die Passage „Wir haben es alle selbst in der Hand“ könne auch als Aufruf zu Fremdenhass und Gewalt verstanden werden. Eine Beschwerdeführerin fragt, wie die Zeitung es verantworten könne, solch rechtes Gedankengut und Hetze gegen Ausländer zu verbreiten. Der ganze Artikel basiere auf falsch interpretierten Zahlen und verzerrten Fakten. Am schlimmsten finde sie die Aussage, dass in zehn Jahren unser Land keine eigene DNA mehr haben werde. Die Redaktion verteidigt den Abdruck der Kolumne: Der Verfasser sei eine der bekanntesten Unternehmer-Persönlichkeiten in der Region, außerdem CDU-Kreistagsabgeordneter und Großaktionär eines Fußball-Bundesligisten. Eine von ihm gegründete und nach ihm benannte Stiftung unterstütze soziale Projekte in der Region. In seiner Kolumne, die deutlich als solche erkennbar sei und für die der Autor keine Vergütung erhalte, agiere er ausschließlich als Privatperson. Das Wochenblatt selbst stehe für demokratische Werte und eine offene Gesellschaft. Viele der Zusteller und Beschäftigten hätten einen Migrationshintergrund. Aufgrund dieser Tatsache habe der Verlag bei der letzten Bundestags- und Landtagswahl sämtliche Werbeanfragen der AfD abgelehnt. Die Veröffentlichung der strittigen Kolumne verstoße nicht gegen den Pressekodex. Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt seien zu schützen, und eine Zensur von Textpassagen sei für die Redaktion deshalb keine Option gewesen. Der Verfasser selbst wehrt sich gegen den Vorwurf, er verbreite übelste rassistische Ansichten, indem er eine Aufteilung in „Deutsche“ und „Nicht-Deutsche“ vornehme.