Polizei: Gewalt muss verhältnismäßig sein
Bis zu einer Verurteilung haben Beamte als unschuldig zu gelten
„Derek Chauvin: Das ist der Mann, der den US-Protest auslöste“ – so lautet die Überschrift über einem Beitrag in einer Großstadtzeitung. Im Anreißer heißt es: „Derek Chauvin ist der Mann, der die Massenproteste auslöste. Was weiß man über den Polizisten, der George Floyd umgebracht haben soll?“ Der Artikel beginnt mit dem Satz: „Der Mord an George Floyd sorgt weltweit für Entsetzen.“ Später heißt es dann, Chauvin sei wegen Mordes „angeklagt“. Der Vorwurf laute Mord zweiten Grades, was mit dem deutschen Tatbestand des Totschlags in besonders schwerem Fall zu vergleichen sei. Ein Leser der Zeitung sieht einen Verstoß gegen die in Ziffer 13 des Pressekodex verankerte Unschuldsvermutung. Die Polizei sei zur Erfüllung ihrer Aufgaben ermächtigt, Gewalt anzuwenden, sofern diese verhältnismäßig sei. Zu entscheiden, ob die von Polizeibeamten ausgeübte Gewalt gegen George Floyd verhältnismäßig gewesen sei, müsse ein amerikanisches Gericht auf der Grundlage der dortigen Rechtslage entscheiden. Bis zu einer etwaigen Verurteilung seien die Polizeibeamten daher als unschuldig und nicht als Beteiligte an einem Mord zu betrachten. Die Redaktion habe aber den Todesfall als Mord eingestuft. Erschwerend komme hinzu, dass sie den verantwortlichen Täter Derek Chauvin mit seinem vollen Namen und sogar in der Überschrift nenne. Die vorverurteilende Wirkung werde noch durch den Hinweis am Beginn des Artikels verstärkt, gegen Derek Chauvin seien schon „vor dem Mord an George Floyd“ 18 Beschwerden erhoben worden. Die Redaktion habe in diesem Kontext nicht darauf hingewiesen, dass sich diese Beschwerden im Verlauf von nahezu zwei Jahrzehnten angesammelt hätten. Die Rechtsabteilung der Zeitung widerspricht der Beschwerde. Der Artikel sei nach den Maßstäben der Verdachtsberichterstattung zulässig. Die gebotene Sorgfalt sei gewahrt worden. Das Video von dem Vorfall lasse keinen Zweifel am Vorliegen eines Mindestmaßes an Beweisen aufkommen. Zudem habe ein außergewöhnlich hohes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem Vorgang bestanden. Der Name des Polizisten, der George Floyd getötet habe, sei zum Zeitpunkt der Berichterstattung weithin bekannt gewesen. Schon aufgrund des für jedermann zugänglichen Videos habe keine Gefahr der Vorverurteilung bestanden.