Vorverurteilung in einer Überschrift
Dringend tatverdächtiger Mann darf im Bild gezeigt werden
Nach 46 Tagen Beziehung löschte er eine Familie aus“ – unter dieser Überschrift berichtet eine Boulevardzeitung online über einen dreifachen Mord in der Lüneburger Heide. Eine Mutter und ihre beiden Kinder seien getötet worden. Unter Verdacht stehe der Lebensgefährte der Mutter. Die Redaktion zeigt ein Foto des mutmaßlichen Täters. Sein Gesicht ist mit einem kleinen Balken bedeckt. Die Bildunterschrift lautet: „Dringend tatverdächtig ist der Lebensgefährte von Stefanie L., Maurice G. (34)“. Ein Leser der Zeitung kritisiert die Fotoveröffentlichung. Er sieht einen Verstoß gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.1, des Pressekodex. Das Foto stamme von der Facebook-Seite des Mannes. Die Rechtsvertretung des Verlages übermittelt die Stellungnahme des Autors, der die Veröffentlichung in dieser Form für gerechtfertigt hält. Er teilt mit, dass die Recherchen in diesem Fall einen besonderen Aufwand gefordert hätten. Der Dreifach-Mord habe ein gewaltiges öffentliches Interesse bewirkt. Die Rechtsvertretung ergänzt, dass der Täter auf dem veröffentlichten Bild durch den Augenbalken nicht identifizierbar und auch nicht im Netz unter diesem Foto auffindbar sei. Das öffentliche Interesse an diesem Fall überwiege die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen. Der Presserat erweitert das Verfahren auf die Ziffer 13 des Pressekodex (Unschuldsvermutung). Der Verlag teilt mit, man müsse den Artikel schon sehr oberflächlich gelesen haben, um eine Vorverurteilung wahrzunehmen. Der Autor mache deutlich, dass der Fall im Stadium des Ermittlungsverfahrens sei. Es werde deutlich: Selbst oberflächlichste Leser würden dem Konjunktiv nicht entkommen.