Entscheidungen finden

Umfrageteilnehmer gibt 182 Stimmen ab

Der Presserat befasst sich mit problematischen Online-Votings

Die Online-Redaktion einer Regionalzeitung ruft ihre Nutzer zu einer Umfrage auf. Ihr geht es darum, die Meinung der Öffentlichkeit zu einer dritten Startbahn des Münchner Flughafens zu erkunden. Ein Leser der Zeitung und Nutzer des Online-Angebots sieht sich zu einer Beschwerde an den Presserat veranlasst. Er kritisiert, dass er an der Abstimmung mehrfach teilnehmen kann. Das funktioniere, wenn er auf seinem Computer die Speicherung von Cookies deaktiviere. Die Redaktion habe er über seine Beobachtung informiert. Diese habe geantwortet, die Umfrage sei nicht repräsentativ. Bei den Votings wie in diesem Fall handele es sich um reine Stimmungsbilder. Der Beschwerdeführer teilt dem Presserat mit, dass er kurz darauf innerhalb von einer Stunde 182 Stimmen abgegeben und damit die Umfrage deutlich beeinflusst habe. Der Nutzer kritisiert, dass die Redaktion ein manipulierbares Umfragetool verwendet habe. Das scheine in der Branche nicht unüblich zu sein. Interessengruppen seien somit in der Lage, Umfragen problemlos zu beeinflussen. Dies gefährde die Glaubwürdigkeit des journalistischen Umfeldes, da User bzw. Leser von seriösen Umfrageergebnissen ausgingen. Der Beschwerdeführer kritisiert auch, dass die Nutzer nicht erkennen könnten, unter welchen Bedingungen die konkrete Umfrage zustande gekommen und ob sie repräsentativ sei. Der Chefredakteur der Zeitung spricht von einer grundsätzlichen Natur des Falles, da dieser die Funktionsweise und den Umgang mit Votings in Online-Portalen in Gänze berühre. Er unterstütze daher die Aufarbeitung und gegebenenfalls die Entwicklung einer grundlegenden Richtlinie für den Umgang mit Votings durch den Presserat. Grundsätzlich – so der Chefredakteur – sei zwischen repräsentativen und nicht-repräsentativen Abstimmungen zu unterscheiden. Die Online-Redaktion seiner Zeitung setze ausnahmslos die nicht-repräsentative Version ein. Nicht-repräsentative Votings seien eine etablierte Darstellungsform nicht nur im digitalen Journalismus, sondern auch darüber hinaus. Als Beispiele nennt der Chefredakteur TED-Umfragen im Fernsehen oder tägliche Umfragen im Videotext. Sofern keine Identitätsfeststellung bei nicht-repräsentativen Abstimmungen erfolge, seien diese grundsätzlich immer anfällig für Mehrfach-Abstimmungen. Um diese zu vermeiden, sei die Erfassung personenbezogener Daten erforderlich. Die Durchführung von Votings und die Bekanntgabe der entsprechenden Abstimmungsergebnisse seien dann presseethisch unbedenklich, wenn für den Nutzer erkennbar sei, dass es sich um nicht-repräsentative, unterhaltende Elemente handele. Im vorliegenden Fall sei dies ausreichend deutlich gemacht worden.