Zeitung dürfte über Verdacht der Steuerhinterziehung berichten
Kommunalpolitiker hatte Einnahmen aus seinem Freibadkiosk oft nicht in Kasse eingetippt
Eine Tageszeitung berichtet über eine mögliche Steuerhinterziehung durch einen namentlich genannten CSU-Stadtrat, der zugleich Pächter des Kiosks in einem städtischen Freibad ist: Recherchen der Redaktion würden den Schluss nahelegen, dass er Kiosk-Einnahmen nicht registriert haben könnte. Die elektronische Registrierkasse habe oftmals offen gestanden, ohne dass der Pächter oder sein Mitarbeiter die Verkäufe eingetippt habe. Der Bericht befasst sich detailliert mit der Frage, wie die Vorgänge bewertet werden könnten, vor allem, ob hier ein zulässiger Ausnahmefall vorliegt. Die Zeitung zitiert dazu einen namentlich genannten Wirtschaftskriminologen, das örtliche Finanzamt und auch einen erfahrenen Steuerstrafrechtler, der anonym bleiben möchte. Er antwortet auf die Frage, ob das geschilderte Vorgehen zulässig sein könnte, mit den Worten: „Nein, da fällt mir wirklich nichts ein. Eine elektronische Registrierkasse wie eine offene Kasse zu nutzen, macht nur Sinn, wenn vorsätzlich nicht jeder Vorgang registriert werden soll, um Steuern zu hinterziehen.“ Und weiter: „Das ist klare Steuerhinterziehung und für die Steuerfahndung müsste das leicht nachzuweisen sein. Bei den beschriebenen Vorgängen sprechen wir nicht mehr über eine Ordnungswidrigkeit, sondern über eine Straftat.“ Abschließend schreibt die Zeitung, es sei Sache der Ermittlungsbehörden, zu klären, ob hier tatsächlich ein Anfangsverdacht für eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat vorliege. Der beschuldigte Stadtrat äußerte sich auf Anfrage der Zeitung nicht zu den Vorwürfen. - Drei Beschwerdeführende sehen die gebotene Unschuldsvermutung verletzt. Es handele sich um reine Verdachtsberichterstattung. Der gesamte Artikel sei in einer Art und Weise verfasst, dass ein Leser am Ende nur die Schlussfolgerung ziehen könne, der Betroffene hätte sicher den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. An keiner Stelle werde den Lesern klar, dass die befragten „Experten“ den Sachverhalt gar nicht genau genug kennen könnten, um eine abschließende rechtliche Bewertung vorzunehmen. Dass eine nicht ordnungsgemäße Kassenführung zwangsläufig eine Steuerhinterziehung darstelle, sei auch inhaltlich falsch, da noch keine Steuererklärung abgegeben worden sei. Eine fehlerhafte Kassenführung möge allenfalls ein Indiz für eine Ordnungswidrigkeit (Steuergefährdung) darstellen. - Der Chefredakteur entgegnet, bei der mehrmonatigen aufwändigen Recherche habe ein Hauptaugenmerk darauf gelegen, die Unschuldsvermutung zu wahren. In der Tat handele es sich um Verdachtsberichterstattung; die dafür geltenden Kriterien seien aber durchweg eingehalten worden: Es gebe einen Mindestbestand an Beweistatsachen, nämlich Beobachtungen eines Zeugen, das Video eines Hinweisgebers, eigene dokumentierte Beobachtungen über einen längeren Zeitraum sowie gesicherte Experteneinschätzungen dazu. Das besondere öffentliche Interesse sei gegeben, weil es sich bei dem Betroffenen um ein Stadtratsmitglied handele. Die Unschuldsvermutung sei in jedem Beitrag herausgestellt worden, indem sie explizit benannt worden sei und indem der Betroffene angehört worden sei. Die Redaktion habe deutlich unterschieden zwischen Tatsachen und Einschätzungen dieser Tatsachen, etwa durch Experten. Eine anonyme Zitierung des Steuerfachanwalts sei in diesem Fall notwendig, um die Quelle zu schützen. Nur der auch gesetzlich sichergestellte Informantenschutz gewährleiste die Bereitschaft kompetenter Gesprächspartner, sich in der Presse ungefährdet zu solchen Sachverhalten zu äußern. - Der Beschwerdeausschuss erklärt die Beschwerde einstimmig für unbegründet. Denn die Berichterstattung verstößt nicht gegen die in Ziffer 4 des Pressekodex gezogenen Grenzen der Recherche oder das in Ziffer 13 festgeschriebene Gebot zur Unschuldsvermutung. Das Gremium folgt dabei weitgehend der Argumentation der Redaktion. Sie macht glaubhaft, dass die Anonymisierung des Experten notwendig war, um den Quellenschutz zu gewährleisten und die veröffentlichte Einschätzung zu bekommen. Zudem gibt die Zeitung an, den Experten lediglich zum abstrakten Sachverhalt befragt zu haben. Insofern war hinreichend sichergestellt, dass er seine Auffassung ohne Ansehen der Person und somit frei von sachfremden Erwägungen äußerte. Sofern die Leserschaft durch die Berichterstattung einen für den Betroffenen unvorteilhaften Gesamteindruck bekommen sollte, wäre dies vor allem darauf zurückzuführen, dass der Betroffene nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Stellungnahme abzugeben. Dies ist jedoch nicht der Redaktion zur Last zu legen und kann vor allem nicht dazu führen, dass eine umfassend recherchierte Verdachtsberichterstattung zu unterbleiben hätte.